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Schluss mit Scham Spotlight-Effekt: Warum uns im Gym niemand wirklich beobachtet

Viele Leute getrauen sich, trotz teurem Abo, nicht ins Fitnessstudio. Da flammen alte Erinnerungen an traumatische Turnstunden und schlimme Schulsportveranstaltungen auf. Meistens ist es aber eine soziale Phobie davor, bewertet zu werden.

Nie werden so viele Fitnessabos gelöst wie im Januar. Damit ist es aber nicht getan. Man muss auch hingehen. Und damit haben viele Mühe. Sie haben ein negatives Körperbild, ein geringes Selbstwertgefühl, sind unsicher oder unerfahren, wie trainiert wird. Und vor allen Dingen: Sie befürchten, von anderen bewertet zu werden.

«Dabei liegen Selbst- und Fremdwahrnehmung fast immer ganz schön auseinander», sagt Sandra Figlioli-Hofstetter. Sie ist Psychologin und Psychotherapeutin. Doch was ist der Grund für diese Wahrnehmungsverzerrung?

Spotlight-Effekt

«Weil wir selbst natürlich in unserem Fokus sind, haben wir das Gefühl, wir würden auch im Fokus der anderen stehen – was natürlich nicht der Realität entspricht», sagt die Psychotherapeutin Figlioli-Hofstetter. In der Sozialpsychologie nennt man dieses Phänomen «Spotlight-Effekt».

Eine Frau schaut im Fitnessstudio in Richtung einer anderen trainierenden Frau.
Legende: Werden wir im Fitnessstudio wirklich von anderen Trainierenden beobachtet und bewertet? Nicht unbedingt, denn der Spotlight-Effekt sorgt dafür, dass wir das Gefühl haben, auch im Fokus der anderen zu stehen. IMAGO/Dreamstime

Diesen Effekt beschreiben Forschende der Cornell University anhand eines simplen Experiments. Hierfür baten sie zufällig ausgewählte Studierende, ein T-Shirt mit einem peinlichen Aufdruck zu tragen. Später als ihre Mitstudierenden betraten sie den Vorlesungssaal, mussten in der vordersten Reihe Platz nehmen und bald darauf den Saal wieder verlassen. Bei anschliessenden Befragungen konnten sich 25 Prozent der Mitstudierenden an das T-Shirt erinnern.

Die Forschenden wiederholten das Experiment mit T-Shirts mit coolem Aufdruck. An diesen konnten sich gerade mal zehn Prozent erinnern. Bei beiden Experimenten gingen die T-Shirt-Tragenden davon aus, dass mindestens 50 Prozent Notiz vom Aufdruck nehmen. Damit haben sie die Aufmerksamkeit der Mitstudierenden massiv überschätzt.

Was man tut, ist anderen meist egal

Nun ging es im T-Shirt-Experiment aber ja lediglich um die Erinnerung an den Aufdruck. Erinnern ist aber nicht geleichbedeutend damit, dass sich das aufmerksame Publikum auch seinen Teil dazu denkt. Wer sich also im Fitnesscenter schämt, dass er oder sie noch nicht so viele Gewichte stemmt wie ein durchtrainierter Muskelmann, wer sich Gedanken über seine Ungeschicklichkeit an den Geräten macht – seien Sie unbesorgt. «Das merkt man ja auch im Alltag, wie wenig Notiz von anderen genommen wird, beispielsweise im Strassenverkehr», sagt die Psychotherapeutin Sandra Figlioli-Hofstetter.

Fitnesscenter mit Bedacht auswählen

Wer sich im Fitnessstudio trotz Kenntnis des Spotlight-Effekts unwohl fühlt, sollte dieses am besten sorgfältig auswählen. «Vielleicht hat man Freunde oder Bekannte, die schon dort trainieren. Oder man löst erst mal ein Probeabo», empfiehlt Sandra Figlioli-Hofstetter. Auch ein Training vor oder nach der Rush Hour kann sich lohnen. Am besten fragt man im Fitnesscenter nach, wann besonders viele Leute trainieren.

Wer sich trotzdem nicht ins Fitnessstudio wagt, ist vielleicht beim Joggen im Wald oder auf dem Vitaparcours besser aufgehoben.

SRF 1, Ratgeber, 16.01.2025, 11:08 Uhr

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