Wenn im Winter Menschen in Shorts und Shirt durch den Park laufen, ist das keine Trotz-Aktion gegen Kälte, sondern ein Trend, der gerade durch die Sozialen Medien geistert: Cold Streak Running.
Die Idee: täglich möglichst leicht bekleidet mindestens zwei Kilometer laufen. Das Versprechen: gestärktes Immunsystem, bessere Stimmung und gepushter Stoffwechsel dank Kältereiz. Cold Streak Running überträgt die Logik des Eisbadens also aufs Laufen. Doch hält die Logik auch der Wissenschaft stand?
«Der gesicherte Nutzen kommt zunächst vom regelmässigen Laufen selbst», sagt Prof. Dr. Johannes Scherr. Wir alle wissen, dass Bewegung Herz, Gefässe und Psyche stärkt. «Allerdings passiert das unabhängig vom Wetter.»
Booster für Immunsystem und Fettverbrennung?
Tatsächlich könne der zusätzliche Kältereiz Immunreaktionen stimulieren und Neurotransmitter freisetzen, die die Stimmung heben, so der Experte. Gleichzeitig gewöhnt sich der Körper an die Belastung, das subjektive Kälteempfinden sinkt und Stressreaktionen werden gedämpft.
Der aktivierende Effekt auf das braune Fett ist real, aber nicht so gross, wie viele hoffen.
Ein weiterer oft zitierter Vorteil: Die Kälte soll das sogenannte braune Fettgewebe aktivieren – das metabolisch aktive Fett, das Wärme produziert und dafür Energie verbrennt. Viele sehen darin einen natürlichen Booster für den Stoffwechsel.
Doch Scherr bremst: «Der aktivierende Effekt auf das braune Fett ist real, aber nicht so gross, wie viele hoffen.» Zwar könne braunes Fett mehr Fettsäuren oxidieren, doch der Effekt sei moderat und zwischen Personen stark unterschiedlich. Allein durch Kälteexposition nimmt man also nicht ab.
Und selbst wenn der Stoffwechsel leicht hochfährt – für den laufenden Körper bringt die Kälte ganz andere, unmittelbarere Herausforderungen mit sich. Die Muskulatur kühlt ab, die Durchblutung sinkt, die Schnellkraft nimmt ab. «Wer sich nicht gut aufwärmt, läuft mit verlangsamtem Kontraktionsverhalten», so der Experte. Gelenke verkraften Kälte zwar meist gut, aber glatte Wege und eine veränderte Laufökonomie erhöhen das Verletzungsrisiko.
Auch die Atemwege reagieren sensibel: Die trocken-kalte Luft gelangt durch Mundatmen direkt in die Bronchien – ein Reiz, der besonders Asthmatikerinnen und Asthmatikern Probleme machen kann.
Das Labor ist keine Strasse
Dazu kommt, dass vieles von dem, was man über Kälteexposition weiss, aus Studien unter kontrollierten Bedingungen stammt. Genau hier beginnt schon das nächste Problem: Was im Labor gilt, lässt sich nicht einfach auf die Strasse übertragen. Wind, Nässe und spontane Pausen verstärken den Wärmeverlust massiv. «Beim Stehen an der Ampel sinkt die Wärmeproduktion sofort», erklärt Scherr – der Körper kühlt schneller aus, als man denkt.
Trotzdem kann der Trend Sinn machen. Weniger wegen der Kälte, sondern der Kombi aus täglicher Bewegung und kontrolliertem Reiz. Der Experte rät deshalb, im Herbst einzusteigen, die sinkenden Temperaturen mitzunehmen und auf trockene Bedingungen zu achten. Ohren, Hände und Füsse sollten gut geschützt sein. Wer aber Symptome wie Verwirrtheit, Koordinationsprobleme, starkes Zittern, Brustschmerzen oder grauweisse Hautareale bemerkt, sollte sofort abbrechen.
Für den Look der nächsten Laufrunde heisst das: Auf die Evidenz können wir uns noch nicht verlassen. Zwar sind die Effekte von Kälteexposition gut untersucht, ob das leicht bekleidete Laufen aber einen zusätzlichen gesundheitlichen Mehrwert bringt, bleibt offen.