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Pflanzenkohle als Klimaretter?
Aus nano vom 11.11.2021.
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Kohle fürs Klima Pflanzenkohle – Was ist dran am Hype ums schwarze Wundermittel?

In Europa entstehen immer mehr Anlagen zur Herstellung von Kohle aus Pflanzenabfall. Ein Experiment soll zeigen, wie diese helfen kann, den Weg in eine klimafreundlichere Landwirtschaft der Zukunft zu ebnen.

Früh morgens auf dem Landwirtschaftsbetrieb Juchhof in Zürich. Ein Tanklaster pumpt Gülle aus einem grossen Becken. Nicht irgendeine Gülle, sondern Biogasgülle versetzt mit gut 20 Tonnen Pflanzenkohle. Entsprechend schwarz ist das Düngergemisch.

Die Aktion ist Teil eines Forschungsprojekts von Grün Stadt Zürich in Zusammenarbeit mit der Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL. Ziel ist es herauszufinden, wie sich das Potenzial von Pflanzenkohle in der Landwirtschaft optimal nutzen lässt.

Pflanzenkohle als Kohlenstoffspeicher

Gerade in der Landwirtschaft sei Pflanzenkohle von besonderer Bedeutung, erklärt Bodenexperte Markus Steffens. «Weil man damit auf der einen Seite langfristig Kohlenstoff speichern kann und weil es andererseits den Boden verbessern kann», so Steffens. 2,5 Tonnen CO2-Äquivalente lassen sich pro Tonne Gülle-Kohle-Gemisch dauerhaft im Boden speichern. Die Landwirtschaft gilt als viertgrösster Treibhausgas-Emittent der Schweiz. Methoden zur Kompensation sind gefragt.

Links ist die Biogasgülle mit Pflanzenkohle zu sehen, rechts die leicht hellere Flüssigkeit ohne Pflanzenkohle.
Legende: Deutlich zu erkennen: Die Biogasgülle mit Pflanzenkohle links ist dunkler als die ohne Pflanzenkohle rechts. SRF

Kohle ist nicht gleich Kohle

Pflanzenkohle hat Potenzial. Darin ist sich die Forschung mehrheitlich einig – vorausgesetzt sie ist korrekt hergestellt. Denn Kohle ist nicht gleich Kohle! Neben unbelastetem Ausgangsmaterial ist der Pyrolyse-Prozess zur Herstellung entscheidend. Nur dann entsteht hochwertige, zertifizierte Pflanzenkohle.

Pyrolyse-Verfahren zur Herstellung von Pflanzenkohle

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In der Schweiz sind anders als in der EU nur holzige Abfälle als Ausgangsmaterial für zertifizierte Pflanzenkohle erlaubt. Kleingeschnitzelt wandert das Holz in den Pyrolyse-Ofen und wird dort – teils über Stunden – auf bis zu 800 Grad Celsius erhitzt.

Weil das unter Ausschluss von Sauerstoff passiert, verbrennen die Holzschnitzel nicht, sondern verkohlen. Auf diese Weise wird der Kohlenstoff im Holz gebunden. Würde das Holz verbrennen oder verrotten, würde Kohlenstoff freigesetzt.

Bei der Verkohlung entstehen schädliche Gase, sogenannte PAKs (Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe). Sie werden in einer zweiten Kammer verbrannt. Geschieht dies nicht, nimmt die Kohle die giftigen Gase beim Verkohlungsprozess auf. Garantiert einwandfreie und damit unbedenkliche Pflanzenkohle ist immer EBC-zertifiziert.

Hochwertige Pflanzenkohle ist sehr porös und verfügt dadurch über einzigartige Fähigkeiten. Ein Gramm hat eine Oberfläche von bis zu 300 Quadratmetern. Wie ein Schwamm kann sie so bis zur 5-fachen Menge des Eigengewichts an Wasser und den darin gelösten Nährstoffen speichern. Pflanzenkohle kann damit nachweislich zur Bodenverbesserung beitragen. Das bestätigt auch eine aktuelle Studie der Bundesforschungsanstalt Agroscope.

Studie bestätigt positive Effekte der Pflanzenkohle

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Die Forschenden von Agroscope haben dafür 30 seit 2015 veröffentlichte Metastudien mit insgesamt 1'650 wissenschaftlichen Veröffentlichungen und über 14'000 ausgewerteten Datensätzen analysiert. Ergebnis: Pflanzenkohle zeigt im Durchschnitt eine positive Wirkung – egal ob beim Wasserhaushalt, der Nährstoffverfügbarkeit oder auch der Reduzierung von Treibhausgasemissionen.

Die Autoren kommen in der Untersuchung zu dem Schluss: «Es gibt keine uns bekannte andere Entwicklung im Bereich der Landwirtschaft, des Klimaschutzes und des Schutzes der Ökosysteme, bei der ein so starker wissenschaftlicher Konsens herrscht, dass bei allem nachgewiesenen agronomischen Potenzial zusätzlich so viele positive ökologische Nebenwirkungen zu erwarten sind.» (Quelle: Schmidt H.-P., Hagemann N., Abächerli F., Leifeld J., Bucheli T. Agroscope Science 112, 1-71, 2021)

Offene Fragen bei der Anwendung

Doch bei aller Euphorie gibt es auch noch Unklarheiten. Fast alle Erkenntnisse beruhen auf Labor- und Topf-Experimenten und sind wenig aussagekräftig, wenn es um die Anwendung von grossen Mengen geht. Genau da setzt das Forschungsprojekt von Grün Stadt Zürich und FiBL an.

Ein Traktor fährt im Bild von links nach rechts und versetzt das Feld mit Gülle.
Legende: Insgesamt sechs Hektare Acker: Auf den Feldern wird Gülle verwendet, die mit Pflanzenkohle versetzt wurde. SRF

«Das Besondere an dem Experiment ist, dass wir grosse Mengen ausbringen», erklärt Markus Steffens. 42 Tonnen Pflanzenkohle verteilt auf sechs Hektare Acker sind es insgesamt. Mindestens sieben Jahre läuft das Experiment. Und es ist ein Praxisfeldversuch. Das Feld wird nach gängiger landwirtschaftlicher Praxis bestellt und bearbeitet. Die Forschenden wollen so Wissenslücken schliessen und klare Anwendungsempfehlungen für Landwirte und Landwirtinnen erarbeiten.

Hohe Kosten schrecken ab

Denn mit 1'200 Franken pro Tonne sind die Kosten für Pflanzenkohle hoch. Landwirtschaftsbetriebe sind Unternehmen. Nur wenn klar ist, wann Pflanzenkohle den maximalen Nutzen erzielt, setzen Landwirte und Landwirtinnen diese auch ein.

Fazit: Pflanzenkohle wird unser Klima nicht retten. Solche Mengen lassen sich weder herstellen noch ausbringen. Aber: In Pflanzenkohle steckt viel Potenzial. Dies nicht zu nutzen, wäre eine vertane Chance. Sowohl für die Landwirtschaft als auch fürs Klima.

nano, 11.11.2021, 10:20 Uhr

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