Eigentlich ist das imposante Horn auf der Stirn eines Nashorns auch nicht viel anderes als ein Fingernagel von uns, da es ebenfalls hauptsächlich aus Keratin besteht. Doch die Kolosse setzen es als effiziente Waffe ein. Es ist ein Symbol ihrer Stärke, aber oft auch gleichzeitig ihr Todesurteil. Denn sie werden deshalb brutal verfolgt und gewildert. Allein in Südafrika wurden in den ersten drei Monaten dieses Jahres bereits 103 Nashörner getötet.
Das Horn der Giganten ist eines der teuersten Wildtierprodukte überhaupt. Es wird vor allem in China und Vietnam als traditionelles Mittel gegen Fieber, Schmerzen oder mangelnden Sexualantrieb angepriesen. «Auf dem Schwarzmarkt hat es einen Wert von mehreren Zehntausend Dollar pro Kilogramm, manchmal fast so viel wie Gold», sagt die Nashornexpertin Vanessa Duthé von der University Harvard.
Hunderte von Nashörnern gewildert
Gemäss einem Bericht der International Union for Conservation of Nature (IUCN) gab es in Afrika auf dem ganzen Kontinent zum Beispiel im Jahr 2023 insgesamt rund 23’900 Breitmaul- und Spitzmaulnashörner. Durch Wilderei kamen in dem Jahr mehr als 586 Tiere um – im Schnitt also alle 15 Stunden ein Nashorn. In den weitläufigen Gras- und Baumsavannen des Greater Kruger National Park in Südafrika leben 25 Prozent aller afrikanischen Nashörner.
Eine vor kurzem dort durchgeführte Studie hat nun mit viel Aufwand herausgefunden, dass durch das präventive Entfernen des Horns die illegale Jagd auf die Dickhäuter tatsächlich drastisch zurückging: Dank dieser Massnahme liess sich die Wilderei zwischen 2017 und 2023 im Durchschnitt um knapp 80 Prozent verringern – im Vergleich zu vorher sowie auch zu den anderen Gebieten ohne solche Eingriffe.
Um ein Nashorn in der Wildnis schmerzfrei zu enthornen, betäubt ein veterinärmedizinisches Team das Tier. Danach legt es ihm zum Schutz eine Augenbinde und Ohrstöpsel an und schneidet das Horn mit einer Motorsäge präzise ab. Nur noch ein Stumpf bleibt zurück.
Was sich brutal anhört, tut ihm bei einer fachgerechten Durchführung nicht weh – vergleichbar mit dem Schneiden der Fingernägel. Dennoch ist das Tier unter anderem durch den aufwändigen Grosseinsatz mit einem Helikopter und mehreren Fahrzeugen vorübergehend erhöhtem Stress ausgesetzt.
«Bei der illegalen Jagd auf das Horn der Rhinozerosse kommt es immer zu einem schrecklichen Blutbad mit tödlichen Verletzungen», sagt Thomas Hildebrandt vom Leibniz-Institut, der sich als Veterinärmediziner für das Überleben stark bedrohter Nashornarten in Afrika und Asien einsetzt.
Wenn es sich um eine Nashornkuh mit einem Kalb handle, bleibe dieses oft allein zurück und kann in dem Alter auch noch nicht ohne seine Mutter überleben. Zum Teil seien die gewilderten Weibchen auch trächtig, sodass dies für die bestehende Population noch grössere Folgen hat.
Der Schutz der Nashörner ist generell extrem teuer. Nichts bleibt unversucht, um den Kriminellen auf die Schliche zu kommen oder ihnen das Handwerk zu legen. Insgesamt hatten die elf Reservate während der Zeitspanne der Studie umgerechnet 74 Millionen US-Dollar zur Bekämpfung der Wilderei ausgegeben.
Die hohen Kosten kamen vor allem durch Wildhüter, Spürhunde, Hubschrauber, Zugangskontrollen und Hightech-Überwachungskameras zustande. Hingegen sei für das Entfernen der Hörner bei 2284 Tieren nur 1.2 Prozent des Gesamtbudgets aufgewendet worden, gibt der Studienautor Tim Kuiper von der Nelson Mandela University zu bedenken.
Wie schwierig es ist, gegen das lukrative Geschäft der zumeist in Banden organisierten Wilderei anzukämpfen, zeigt ein Beispiel eines ehemaligen Mitarbeiters eines Reservats aus dem Studiengebiet. Durch den Einsatz eines Lügendetektors konnte der Mann 2018 als verdächtig entlarvt werden und wurde daraufhin entlassen. Dies geht aus einem kurzen Bericht hervor, der zusammen mit der aktuellen Studie veröffentlicht wurde.
Dank einer sehr grossen Fahndungsaktion wurde er zwei Jahre später sogar auf frischer Tat ertappt. Polizeibeamte entdeckten das Horn in seiner Tasche. Anhand von DNA-Spuren konnte er als Täter identifiziert und später verhaftet werden. Er war ein hochrangiges Mitglied eines «Wilderer-Kartells». Im Zeitraum der Studie wurden insgesamt zwar 700 Wilderer festgenommen, was aber statistisch gemäss den Forschenden keinen grossen Einfluss auf die Anzahl der getöteten Nashörner in der Region hatte.
«Auch die präventive Enthornung ist keine langfristige Lösung», sagt Thomas Hildebrandt. Denn das Horn sei nach ungefähr fünf bis acht Jahren wieder substanziell nachgewachsen und somit erneut attraktiv für Wilderer. Zudem wichen illegale Jäger womöglich in Gebiete aus, in denen die Hörner nicht vorsorglich abgesägt werden. Einige von ihnen würden das hohe Risiko der Wilderei zumeist auch eingehen, weil sie sehr arm seien und das Gefühl hätten, nichts mehr verlieren zu können.
Das Enthornen zum Schutz gegen Wilderei müsse deshalb auch eine von vielen Massnahmen sein, erklärt Vanessa Duthé, die bis Ende Januar noch an der Universität Neuenburg forschte. Der aktuelle Bericht der Fachzeitschrift «Science» habe nun eindeutig gezeigt, dass die Methode das Leben vieler Nashörner nachweislich rette. Doch zusammen mit Forschenden in Südafrika habe sie im Rahmen einer früheren Studie beobachtet, dass es auch andere Konsequenzen haben könne.
Denn enthornte Spitzmaulnashörner verringern die Grösse ihres Reviers und haben weniger Kontakte zu Artgenossen, die zu einer Paarung führen könnten. Es brauche dazu allerdings noch mehr Untersuchungen, um weitere langfristige Folgen auf das Verhalten der Tiere im Detail herauszufinden.
Rhino-Räuber überlisten
Auch andere Methoden zur Rettung der Nashörner zielen auf das Horn ab. So setzt der Physiker James Larkin mit seinem Projekt «Rhisotope» auf leicht radioaktive Substanzen, die er ins Horn der Tiere spritzen lässt. Dadurch sollen dereinst Schmuggler abgeschreckt und am Zoll aufgrund von Detektoren festgenommen werden.
«Davon halte ich wenig», sagt Hildebrandt. Auch wenn der Wilderer mit dem Horn an der Grenze gefasst werden würde, wäre das Nashorn vorher längst schon getötet worden. Zu befürchten sei auch, dass der Einsatz von radioaktiven Substanzen irreversible Gesundheitsschäden bei den Tieren verursache sowie die Umwelt kontaminiere.
Dem britischen Haupttäter der Diebesbande konnten damals sogar Verbindungen zur irischen Mafia-Gruppe nachgewiesen werden.
Die Jagd nach dem potenten Rhinozeroshorn ist aber nicht nur in freier Wildbahn, sondern auch in Museen, bei Auktionen und in privaten Sammlungen in Europa immer wieder ein Thema. Vor ein paar Jahren waren kriminelle Gangs auch in Deutschland unterwegs, die rigoros vorgegangen sind.
Mit grosser Dreistigkeit trennten sie zum Beispiel 2012 im Offenburger Museum zwei Hörner von einem Nashornschädel mit einem Vorschlaghammer ab. «Dem britischen Haupttäter der Diebesbande konnten damals sogar Verbindungen zur irischen Mafia-Gruppe nachgewiesen werden», sagt Stefan Hertwig vom Naturhistorischen Museum Bern. Diese handle mit Rhinozeroshörnern und Elfenbein.
«Da wir kein Kunstmuseum sind und auch nicht über professionelles Sicherheitspersonal verfügen, haben wir zum Schutz unserer Mitarbeitenden die bei uns ausgestellten Nashornpräparate mit Holzhörnern ausgestattet», sagt Stefan Hertwig. Wir haben uns dafür bewusst entschieden, um Schäden an Leib, Leben und Infrastruktur zu vermeiden.
Kein Horn, kein Geschäft
Die Enthornung von Nashörnern mit der Kettensäge mag auf den ersten Blick radikal wirken. Doch sie rettet Leben und dient dem Artenschutz. Als Teil einer Gesamtstrategie bietet sie einen entscheidenden Vorteil: Sie entzieht der Wilderei kurzfristig ihren ökonomischen Anreiz. «Die während der Studie abgetrennten Hörner werden nun in Südafrika an sicheren und geheimen Orten aufbewahrt», sagt Duthé.
Dies schafft Zeit, um an langfristigen Lösungen zu arbeiten – wie Armutsbekämpfung, wirksame Justiz und vor allem ein Umdenken auf den asiatischen Märkten. Denn eines sei klar, sagt Hildebrandt. Solange das Horn mehr wert sei als das Leben eines Tieres, werde der Nashornschutz ein Wettlauf gegen die Zeit.