Keine einfache Jagd sei es gewesen, heute, im Prättigau; im Schnee seien sie tief abgerutscht, erzählt Konrad Flütsch aus Furna am vergangenen Samstag. Er wuchtet seine Jagdbeute, einen jungen Hirschen, vom Autoanhänger und trägt ihn zum Ausmessen zu Wildhüter Martin Gujan in die Garage in Fideris. Ganz geheuer ist dem Jäger die Sonderjagd nicht, «aber jemand muss es ja machen, oder?»
Wie Flütsch streifen im November und Dezember nochmals gut 2000 Jäger durch die Bündner Wälder und Wiesen. Im Visier haben sie jene Tiere, die in der Hochjagd im September nicht erlegt wurden. Als oberste Jagdherrin im Kanton hat die Regierung auch dieses Jahr eine Nachjagd angeordnet.
Sonderjagd heisst sie landläufig, und Sonderjagd nennen sie auch jene Jäger, die ihr mit Hilfe einer Initiative an den Kragen wollen. Denn diese Jagd soll abgeschafft werden. Die entsprechende Initiative wurde diesen Sommer mit mehr als 10‘000 Unterschriften bei der Bündner Staatskanzlei eingereicht.
Ein unethisches Waidwerk – so die Initianten
Unmittelbar vor dem Garagentor, wo die erlegten Tiere ausgemessen werden, steht auch einer, dem die Sonderjagd zu wider ist. Wie sehr, das sieht man ihm an, dem Jäger Christian Mathis, auch er ein Prättigauer. Jahr und Tag habe er dem verwerflichen Treiben der Jäger auf der Sonderjagd zugesehen, dann habe es ihm gereicht – «darum habe ich zusammen mit weiteren Jagdkollegen die Initiative zur Abschaffung der Sonderjagd eingereicht». Mutter- und Jungtiere in ihrer Winterruhe zu stören und in Dorfnähe «abzuknallen», wie er sagt, das sei unethisch.
Die Forderung der Initianten: eine längere Hochjagd, aber keine Sonderjagd mehr. Ungeachtet dessen, ob sie die Argumente überzeugen oder nicht: Die Sonderjagd-Intiative beschäftigt jeden der 5‘500 Bündner Jäger. Dafür oder dagegen, die Meinungen sind gefasst. Die Stimmung ist hitzig, die Diskussionen an den Stammtischen und in den Jagdhütten sind laut.
Mittel zur Regulierung – so der Kanton
In Fideris misst inzwischen Wildhüter Niklaus Flütsch die Kiefer- und Hinterlauf-Länge des erlegten Hirsches. Zahlen, die bei jedem Tier erhoben werden und in der Gesamtheit Auskunft über den Zustand der Bündner Hirschpopulation geben sollen.
Im Gegensatz zu früher definiert sich Jagderfolg heute in erster Linie über eine Hirschpopulation, die dem Lebensraum angemessen ist, und nicht mehr über die gefüllten Speisekammern der Bündner Jäger. Darum gibt das Bündner Amt für Jagd jährlich genau vor, wo welche und wie viele Tiere erlegt werden sollen. Diese Planung soll den Bündner Rehen und Hirschen helfen, den Winter zu überleben.
Graubünden bietet in den Wintermonaten Lebensraum für 15‘000 Hirsche. Sind es mehr, wirds prekär. Erstens für die Hirsche, die sich das Futter gegenseitig streitig machen würden, und zweitens für den Jungwald, der dann über die Massen angefressen und so in seinem Wuchs behindert würde. Für Graubünden, wo viel Fläche Schutzwald ist, ein ernstes Problem. Mangels natürlicher Feinde wie Bären oder Wölfe liegt es also an den Jägern, die intelligente und fortpflanzungsfreudige Hirschpopulation zu regulieren.
Hirsch ist nicht gleich Hirsch
Schon um 14:30 Uhr sind Martin Gujan und Niklaus Flütsch mit dem Registrieren der Jagdbeute durch. Zwei Hirsche und ein Reh – kein besonders erfolgreicher Jagdtag. Doch zu den Aufgaben der Wildhüter gehört nicht nur das Vermessen der toten Tiere. Diesen Sommer haben sie Prättigauer Hirsche, die mit Sendern versehen waren, überwacht. So konnten sie deren Wanderungen ins österreichische Montafon und zurück nachvollziehen.
Es gibt nämlich zwei verschiedene Hirschgruppen. Das sogenannte Standwild, also Hirsche, die sich immer im selben Gebiet aufhalten, und das Wanderwild, das anderswo den Sommer verbringt und erst zum Überwintern zurück in die Täler kommt – also dann, wenn die Hochjagd schon vorbei ist.
Aus diesem Grund, so der Bündner Jagdinspektor Georg Brosi, wird die Sonderjagd überhaupt erst im November und Dezember angesetzt. Darum sieht er keine Alternative zu dieser zweiten Jagd im Jahr.