Der Befund kommt aus dem Institut für Fisch- und Wildtiergesundheit (Fiwi) der Universität Bern. Hier werden sämtliche tot aufgefundenen Luchse der Schweiz untersucht. Über die Jahre landeten immer wieder jung verstorbene Luchse auf dem Untersuchungstisch, die rätselhafte Organveränderungen zeigten.
Tödliche Mineralisationen
Die Fiwi-Tierärztin und Biologin Janna Niehaus ging dem Rätsel auf die Spur. Sie analysierte die krankhaften Ablagerungen, sogenannte Mineralisationen, in den Organen. «Wir sehen, dass diese Mineralisationen so grossflächig sind, dass die Organe nicht mehr funktionieren und die Luchse daran sterben, bevor sie überhaupt erwachsen werden», so Janna Niehaus.
Der Blick durchs Mikroskop
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Bild 1 von 2. Ablagerung in Luchs-Niere. Die dunklen Flecken sind die krankhaften Ablagerungen in der Niere eines der verstorbenen Jungluchse. Bildquelle: Fiwi, Universität Bern.
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Bild 2 von 2. Normale Niere. Zum Vergleich: so sieht die Struktur einer unbelasteten Luchs-Niere aus. Bildquelle: Fiwi, Universität Bern.
Doch weshalb haben sich diese tödlichen Mineralisationen gebildet? Am Institut für Genetik der Universität Bern wurde das Genom der betroffenen Jungtiere untersucht und ein Gen identifiziert, das innerhalb der kleinen Population vererbt wird. Eine Folge von Inzucht.
Jüngste Luchspopulation betroffen
Alle verstorbenen Jungtiere stammen aus der jüngsten Luchspopulation in der Nordostschweiz. Im Kanton St. Gallen, dem Hauptgebiet der betroffenen Population, reagiert man ernüchtert. Unmittelbar bedroht sei der Bestand nicht, sagt Simon Meier, als Leiter der Abteilung Luchse zuständig für die Luchse.
Die neusten Zahlen aus dem Luchs-Monitoring zeigen aber erstmals keinen weiteren Anstieg der Population. Simon Meier: «Und jetzt kommt natürlich genau die Frage: ist das jetzt die genetische Erkrankung, die zu einem Stopp des Populationswachstums geführt hat?»
Bafu nimmt Befund ernst
Diese Frage wird nun weiter untersucht. Das Bundesamt für Umwelt (Bafu) schreibt: Man nehme das Ergebnis der Fiwi-Stude ernst. Deshalb unterstütze man das Folgeprojekt, um mehr über die Auswirkungen des Gendefekts zu erfahren.
Wie viele Luchse den Gendefekt tragen und bei der Fortpflanzung weitergeben ist noch unbekannt.
Auswilderungen und Vernetzung
Es gelte nun, die genetische Vielfalt bei den Luchsen zu stärken, so Mirjam Pewsner, die leitende Tierärztin am Fiwi. Konkret heisst das: wieder Luchse aus dem Ausland in der Schweiz auswildern. Das sei das «Mittel der Wahl», schreibt auch das Bafu.
Aber: «Die Schweiz steht mit ihrer Nachfrage nach ausländischen Luchsen nicht allein da.» Für die genetische Sanierung sei zudem eine «Gesamtstrategie mit ausreichender Vorlaufzeit» nötig, so das Bafu. Heisst: es wird noch dauern.
Isolierte Luchspopulationen
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Bild 1 von 2. Die drei Schweizer Luchsgebiete. In der Schweiz leben insgesamt rund 340 erwachsene Luchse. Sie verteilen sich auf die Alpen (230), wobei dort am meisten in den Nordwestalpen leben. Im Jura sind rund 80 Luchse und in der Nordostschweiz rund 30 Luchse. Die Bestandszahlen werden von der Stiftung Kora hochgerechnet, auf der Basis eines Monitorings mit Fotofallen. Bildquelle: Stiftung Kora/SRF.
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Bild 2 von 2. Fehlender Austausch. Die drei Schweizer Luchsgebiete sind weitgehend isoliert. Siedlungsräume mit Strassen werden von den Luchsen nur selten überwunden. Dies verhindert einen genetischen Austausch. Im westlichen Mittelland kommen sich die Alpen- und Juraluchse nun aber näher. In der Ostschweiz soll ein geplanter Korridor den Austausch fördern. Bildquelle: SRF.
Ein zweites Problem lässt sich bereits konkret angehen: die fehlende Vernetzung der Luchsgebiete. Da will Simon Meier vom Kanton St. Gallen ansetzen, zum Beispiel beim Walensee.
Dort verhindern See und Autobahn, dass sich die Ostschweizer Luchse mit den Luchsen im Alpenraum austauschen. Nun soll bald eine Wildbrücke gebaut werden. Da aber die Schweizer Population insgesamt nur eine geringe genetische Vielfalt hat, reicht dies auf lange Frist nicht aus, sind Fachleute aus Tiermedizin und Wildtierbiologie überzeugt.