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Sprache der Tiere Worüber plaudern eigentlich Pottwale?

Ein faszinierendes Forschungsprojekt will die Sprache der Pottwale verstehen – mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz.

Mit Tieren zu sprechen ist ein alter Menschheitstraum. Auch wenn viele Haustierbesitzer glauben, mit ihrem Hund oder Vogel kommunizieren zu können: Wir wissen wenig über das, was Tiere einander zubellen, zupiepen oder zumaunzen. Ein neues Forschungsvorhaben soll das mit Methoden der Künstlichen Intelligenz ändern.

Mit dem Projekt CETI wollen Biologinnen, Sprachwissenschaftler, Informatikerinnen und Roboter-Ingenieure gemeinsam die Kommunikation der Pottwale analysieren. Aber haben Tiere überhaupt eine Sprache, die man übersetzen könnte?

Bellen ist nicht Sprechen

«Es kommt drauf an, was man unter Sprache versteht», erläutert der deutsche Meeresbiologe Karsten Brensing, der zwei Bücher über Tiersprachen geschrieben hat. Das Bellen von Hunden zum Beispiel würde er nicht als Sprache bezeichnen.

Zwei Merkmale will er erfüllt sehen: erstens eine Semantik, also dass bestimmte Äusserungen eine unveränderliche Bedeutung haben. Und zweitens eine Grammatik – die Tiere müssen «Sätze» formen, die gewissen Regeln gehorchen.

Pottwale sind gute Kandidaten für eine Spezies mit komplexer Sprache. Sie verständigen sich mit Serien von Klicklauten, die sich so ähnlich anhören wie Morsezeichen. Das schreit geradezu danach, in einen Machine-Learning-Algorithmus gefüttert zu werden.

Es braucht tierische Datenmengen

In den vergangenen zehn Jahren sind solche maschinellen Lernverfahren entwickelt worden: sogenannte Sprachmodelle, die Strukturen in geschriebener oder gesprochener Sprache erkennen können, ohne dass man ihnen irgendetwas über den Inhalt mitteilt.

Anhand riesiger Textmengen lernen sie nicht nur, welche Wörter häufig nebeneinander auftauchen. Sie erkennen auch die Regeln des Satzbaus und sind in der Lage, grammatisch korrekte Texte zu formulieren.

Sprachmodelle machen keinen Unterschied zwischen Semantik und Grammatik. Sie formulieren einfach «richtig klingende» Sätze. Und das oft von frappierend guter Qualität.

Mehr Pottwal-Wörter sammeln

Dazu sind allerdings unvorstellbar grosse Datenmengen erforderlich. Das bekannteste Modell GPT-3 wurde mit 175 Milliarden Wörtern trainiert. Zum Vergleich: Das an CETI beteiligte «Dominica Sperm Whale Project» hat bislang weniger als 100'000 Pottwal-«Wörter» gesammelt.

Als erstes soll also diese Sammlung gewaltig vergrössert werden. Dann ist es durchaus realistisch, einen Chatbot zu entwickeln, der grammatisch und inhaltlich plausible Sätze in der Pottwalsprache erzeugt und mit frei lebenden Walen in Dialog zu treten versucht.

Sprachmodelle verstehen nicht

Aber selbst wenn das funktioniert: Die Achillesferse aller Sprachmodelle ist, dass sie nichts über den Inhalt der Sprache wissen, in der sie so geschickt drauflos plappern.

Deshalb wollen die Forscherinnen und Forscher von Anfang an die Sprachaufnahmen mit automatisch erfassten Daten zum Verhalten der Wale ergänzen. Will heissen: Wo befanden sich die Tiere? Wer sprach mit wem? Wie war die Reaktion?

Mit Wale über Regen reden?

Wird sich mit diesen Methoden einmal eine Übersetzung Wal-Mensch/Mensch-Wal bewerkstelligen lassen? Michael Bronstein ist eher skeptisch. «Das ist wahrscheinlich eine naive Vorstellung. Wir müssen uns darauf einstellen, einem ganz anderen Geist zu begegnen.

Wale reden wahrscheinlich über Dinge, die für uns keinen Sinn ergeben. Und umgekehrt!» Kein Wal könnte etwa den Satz «Ich bin im Regen nass geworden» verstehen - denn Wale sind immer nass.

Vor dem Durchbruch

Zunehmend glauben Biologinnen und Biologen, dass wir uns von der Vorstellung verabschieden müssen, nur wir Menschen hätten im Laufe der Evolution eine komplexe Sprache entwickelt.

«Wir haben noch nicht genau genug hingesehen», sagt Karsten Brensing. Der Biologe ist überzeugt: Der grosse Durchbruch in der Beziehung zwischen Mensch und Tier steht vor der Tür.

Radio SRF 2 Kultur, Wissenschaftsmagazin, 15.5.2021, 12:40 Uhr.

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