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Synthesizer: Das Klangwunder aus der analogen Welt
Aus Einstein vom 15.05.2014.
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Technik Analoge Synthesizer: Klangmaschinen für Rebellen und Tüftler

Lange Zeit waren Synthesizer reinste Klangmonster. Minimal in der Stückzahl, exorbitant im Preis, dafür musikalisch hochinteressant. Der Grund: Musiker konnten den Klangcharakter von jedem Ton selber bestimmen. Vom hündischen Quietschen bis zum gefährlich anschwellenden Brummen lag alles drin.

Was wären Rock und Pop ohne Synthesizer-Klänge; was Acid House und Techno: nichts. Das ist für viele nichts Neues. Was aber nur Klangfreaks wissen: Mit den digitalen Geräten, welche die Hersteller seit Jahrzehnten immer günstiger auf den Markt werfen, hat der Siegeszug synthetischer Klänge nichts zu tun. Im Gegenteil: Wo Chips oder Speicherkarten alles fertig liefern, sind Innovation und Abenteuer eingeschränkt.

Die analogen, schweren und sperrigen Synthesizer aus den 1970er- und 80er-Jahren waren es, welche die Revolution im festgefügten Tonkabinett aus Klassik und Unterhaltung ausriefen. Unvergesslich ist der Synthesizer-Pionier Rick Wakeman. Sein Spiel begründete den Progressive Rock. Dass die Synthesizer lange Zeit nur einstimmig spielbar waren, schreckte ihn nicht. Er trainierte so lange, bis er auf zwei Instrumenten gleichzeitig und rythmisch anspruchsvoll spielen konnte.

Analoge Synthesizer sind Konstruktionswunder

Die teils mannshohen Konstrukionswunder funktionierten alle analog: Mit hunderten von Verbindungen, Lötstellen und Platinen waren sie reine Handarbeit. Dass sie darum auf Temperatur und Luftfeuchtigkeit sensibel reagierten und oft leicht verstimmt waren, gehörte dazu, genauso wie die Eigengeräusche, die durch all die Konstruktionselemente hervorgerufen wurden. Heutige Musiker suchen diese Unreinheiten sogar, finden genau das interessant.

Steve Porcaro von Toto steht vor einem riesigen modularen Synthesizer mit vielen Kabeln und Knöpfen.
Legende: Töne stecken: Der Keyboarder der Rockband Toto, Steve Porcaro, mit einem modularen Synthesizer. Flickr

Analoge Technik bedeutet beim Synthesizer die absolute Selbstbestimmung des Musikers. Der Musiker steht vor dem Instrument, hat eine Tastatur und darüber – je nach Modell – unzählige Bedienungselemente wie Regler, Schieber und Buchsen zum Umstecken der Kabel, die im Hintergrund verschiedenste Klangmodule miteinander verbinden.

Jeden gewünschten Klang muss er suchen. Die Bedienungselemente ausprobieren, die einen miteinander verbinden, andere unterbrechen. Jedes veränderte Element löst Stromstösse aus, Spannungen, die nun den entsprechenden Weg durch verzweigte Labyrinthe auf Leiterplatten suchen und schlussendlich ein bestimmtes Klangbild produzieren. Ob es dann das gewünschte Jaulen ist und der Ton auch noch brav abkratzt, dafür gibt es keine Garantie – vom Glückstreffer bis zum stundenlangen Pröbeln ist alles möglich.

Guter Acid House und Techno brauchen analoge Synthesizer um ihre Verfremdungen und stiltypischen Effekte zu realisieren. Dank analoger Synthesizer hat sich eine Kultur des anspruchsvollen Remix entwickelt. Ein Beispiel dafür sind die vielfältigen Neu-Versionen von «Popcorn», dem ersten Welthit aus der frühen Synthie-Pop-Aera.

Synthesizer wollen keine Instrumente imitieren

Neue Klangfarben als Ausdruck für neue Gefühle und neue Lebensrealitäten, das brauchten die 60er- und die 70er-Jahre und dafür kamen die analogen Synthesizer wie gerufen. Unvergesslich der Progressive Rock von Emerson, Lake and Palmer, der Band, die für Rebellion und Tabubruch jener Zeit die Klänge suchte und unbestreitbar auch fand.

Synthesizer-Museum

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Das «Synthorama» im solothurnischen Luterbach birgt 360 analoge Synthesizer, darunter viele Raritäten. Wer Kopfhörer und Zeit mitbringt, darf Instrumente ausprobieren und an Klängen tüfteln. Offen: jeden ersten Samstag im Monat oder auf Anfrage.

Auch heute noch meinen viele Zeitgenossen, bei Synthesizern gehe es darum, klassische Instrumente zu kopieren. Fakt ist: Wo dies versucht wird, klappt es nicht. Dieses Missverständnis ist allerdings historisch begründet. Die ersten Konstrukteure und auch spätere Hersteller hatten tatsächlich gehofft, den unermesslichen Aufwand romantischer Sinfonieorchester eines Tages einsparen zu können und das Spielen komplizierter Kompositionen zu vereinfachen.

Das berühmteste Beispiel dafür ist wohl der legendäre Walter Carlos, der mit Robert Moog – dem Erfinder der berühmten Moog-Synthesizer – zusammenarbeitete. Carlos spielte Werke von Johann Sebastian Bach mit ananlogen Synthesizeren ein. Stimme für Stimme nahm er auf Bänder auf und mischte sie mit riesigem Aufwand zur Endversion. Sein Album «Switched-On Bach» war Ende der 60er-Jahre ein Welterfolg. Dass aber der Synthesizer – ob analog oder digital – die mechanischen Instrumente ersetzt hätte, geschah nie und ist mittlerweile im professionellen Diskurs kein Thema mehr.

Analoge Klänge revolutionierten auch die Filmmusik

Und doch gibt es immer wieder Adaptionen klassischer Werke durch Synthesizer – analoge! – die Publikum und Fachleute begeistern, auch heute noch. Geschafft hat dies die Filmmusik. Berühmtes Beispiel dafür ist die Titelmelodie aus «Clockwork Orange», dem Film-Klassiker in der Umsetzung von Gewaltexzessen.

Das Intro-Thema ist der Begräbnismusik von Queen Mary entnommen, einer Auftrags-Komposition von Purcell aus dem 17. Jahrhundert. Regisseur Stanley Kubrick wollte diese Melodie, aber er wollte sie nicht traurig, er wollte sie schaurig-schön. Der Synthesizer, oder besser gesagt der Elektronikmusiker Walter Carlos, schaffte das.

Der renommierter Basler Audiodesigner Daniel Dettwiler von «idee und klang» ist der Meinung, dass Kubrick mit dieser Synthesizer-Adaption einen genialen Klang gewählt hat, um das Zwiespältige seiner gewaltbesessenen Filmfiguren hörbar zu machen.

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