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Satellit «Biomass» Wie aus dem All der Wald vermessen wird

  • Der Satellit «Biomass» soll Wälder vermessen und ihre Rolle im Klimawandel analysieren.
  • Wälder speichern CO₂. Wie viel, ist nicht klar.
  • Mehr als die Hälfte der Wälder sind tropisch und schlecht erforscht.
  • Dank spezieller Radartechnologie blickt der Satellit durch dichte Baumkronen, darf in Europa und Nordamerika aber nicht arbeiten.

Gut eine Stunde nach seinem Start sendet der Satellit Biomass sein erstes Signal. Die Erleichterung im ESA-Konferenzraum in Darmstadt ist gross. Dort verfolgen Ende April Hunderte Wissenschafter, Ingenieurinnen und Medienvertreter eine Live-Übertragung vom europäischen Weltraumbahnhof Kourou in Französisch Guyana.

Mit dabei ist auch Klaus Scipal, Manager der Mission Biomass. «Wir messen zum ersten Mal die Waldstruktur. Und daraus können Forschende ableiten, wie viel Kohlenstoff in den Wäldern gespeichert wird.» Dafür schaut der Satellit aus dem Weltraum in die Wälder hinein. Vor allem in jene, die undurchdringlich erscheinen.

Der erste seiner Art

Holzstämme, Äste und Blätter speichern den Kohlenstoff in Form von Zucker und anderen Kohlenstoffverbindungen. Die Faustregel sagt: Ein Kilogramm Holz speichert ein halbes Kilogramm Kohlenstoff. Aber man weiss gar nicht genau, wie viel Holz oder Biomasse in den Wäldern überhaupt steckt. Folglich auch nicht, wie viel Kohlenstoff sie speichern.

Denn mehr als die Hälfte der Wälder der Erde sind tropisch. Heisst: dichtes Blätterdach, mehrere Stockwerke an Pflanzen, schwer zugänglich. Gute Daten von Tropenwäldern gibt es deshalb bislang nicht.

Der Satellit kann das dichte Blätterdach durchblicken, dank eines speziellen Radars, erklärt Irena Hajnsek von der ETH Zürich. Denn mit langen Radarwellen kann man durch Baumkronen durchschauen. «Eine kürzere Wellenlänge streut bereits im Blätterdach an den kleinen Zweigen und Ästen im oberen Bereich. Mit der längeren Wellenlänge kann man tiefer eindringen und man bekommt die Interaktion mit dem Boden oder mit dem Stamm.»

Was der Satellit alles kann

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Biomass soll nicht nur durch das Blätterdach durchsehen, sondern auch eine drei-dimensionale Karte erstellen. Dazu wird ein Gebiet mehrmals aufgenommen, mit einer kleinen Positionsveränderung. Ähnlich wie bei uns Menschen ergibt sich daraus ein 3D-Bild.

Irena Hajnsek erklärt, wie das funktioniert: «Wir haben ja auch eine Distanz zwischen unseren Augen. Wir nehmen mit beiden Augen ein Objekt auf und das ermöglicht uns, diese drei-dimensional zu sehen. Und genau so ist es beim Radar. Wir nehmen einmal ein Gebiet auf und kommen dann nach einer Weile wieder. Mit einem kleinen Versatz.»

Über 13 Mal pro Tag düst der Satellit in 666 km Höhe um die Erde und erstellt nach und nach eine Waldkarte in 3D. Die ist zwar nicht auf den Baum genau. Aber sie zeigt, wie dicht der Wald ist, und auch, wie sich seine Struktur mit der Zeit verändert.

Herzstück erfolgreich aufgeklappt

Eine Woche nach dem Start übersteht Biomass die nächste kritische Phase. Seine zwölf Meter grosse Antenne – der Reflektor – spannt sich wie gewünscht auf.

Der Reflektor ist so gross, weil die Radarwellen eine Länge von 70 cm haben. Das erlaubt zwar den Blick durch die Baumkronen, ist aber auch eine Krux. Denn es kann zu Interferenzen kommen mit anderen Radars, die im gleichen Frequenzbereich senden.

Keine Messungen in Europa und Nordamerika

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In Europa und Nordamerika ist das Frequenzband, in dem Biomass arbeitet, schon von anderen Betreibern reserviert und wird auch genutzt.

Missions-Manger Klaus Scipal: «In unserem Fall speziell schmerzhaft ist, dass das amerikanische Verteidigungsministerium ein Space Objekt Tracking Radar hat. Damit werden sämtliche Teile, die im Weltall herumfliegen, beobachtet. Das Radar hat die gleiche Wellenlänge, Amerika hat da Vorrang. Das ist natürlich für uns negativ. Aber auf die wissenschaftlichen Ziele der Mission hat das keine grossen Auswirkungen. Unser Hauptaugenmerk ist in den Tropen».

Keine Daten über Europa also, das 500 Millionen Euro investiert hat. 20 europäische Länder, plus die USA und Australien haben an dem Projekt gearbeitet. Mit 50 Firmen, darunter auch sechs aus der Schweiz.

Für die Schweizer Waldforschung sei das Messverbot nicht so schlimm, sagt Esther Thürig von der WSL. «In der Schweiz haben wir schon 3D-Bilder vom Wald dank der LIDAR Techniken. Hier sind diese Information schon vorhanden.» Bei uns sind die Wälder auch nicht so undurchdringlich.

Feldforschung weiterhin wichtig

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Die Satellitendaten sind eine wichtige Ergänzung zu terrestrischen Messungen, also Messungen vom Boden aus. Sie werden letztere aber nie vollständig ersetzen können. Satellitendaten brauchen Bodendaten, auch «ground-truths» genannt, als Referenzwerte. «Satellitendaten sind immer nur so gut, wie ihre ground-truths», ordnet Esther Thürig ein. Die erhält man, wenn man Bäume fällt und vermisst, oder auch stehende Bäume vermisst.

Auch für Biomass-Missionsleiter Klaus Scipal ist die Arbeit in den Tropen mit den Satellitendaten nicht getan: «Das ist ein grosser Aspekt auch von meiner Arbeit. Kontakt herzustellen mit Bodenteams, sodass wir optimale Daten bekommen und unsere Satelliten-Daten auch richtig interpretieren können.»

Für Esther Thürig ist die Mission dennoch sehr wichtig, um weltweit harmonisierte Karten zu erhalten und Veränderungen zu erkennen. Von Regionen, in denen die Datenlage schlecht ist. «Wir wollen nicht nur sehen, dass der Wald weg ist, wenn er ganz gerodet ist. Da passiert schon eine Degradation, also eine Entwertung der Felder unterhalb des Kronendachs.»

Satellit Biomass hat seine Mission angetreten und erste Signale gesendet. Fünf Jahre wird er um die Erde schwirren und nach getaner Arbeit in der Erdatmosphäre verglühen.

Wissenschaftsmagazin, 3.5.2025, 12:40 Uhr

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