Curdin Orlik blickt auf turbulente Tage zurück. Er holte seinen dritten ESAF-Kranz, Bruder Armon wurde Schwingerkönig. Turbulenzen kennt Curdin, seit er 2020 sagte: «Ich bin schwul».
SRF: Du bist Single. Ist es schwierig, Curdin Orlik zu daten?
Curdin Orlik: Das musst du nicht mich fragen! Aber ja, grad in der Schwingsaison ist es schwierig.
Wie geht es dir nach acht strengen ESAF-Kämpfen und den Siegesfeierlichkeiten deines Bruders?
Gut. Ich habe kaum Schmerzen. Aber emotional war es anstrengend.
Ich finde die Schwingerfamilie nicht konservativ, sondern offen, friedlich und fair.
Das Feiern?
Nein, das tat gut. Aber an Armons Feier die Freude von Fans und Familie zu sehen, ging mir schon sehr nahe.
Hast du dich mehr über Armons Titel oder deinen Kranz gefreut?
Über seinen Titel. Selbst bin ich ehrlich gesagt ein wenig enttäuscht.
Du warst zwischenzeitlich Zweiter.
Ja. Umso grösser ist die Freude für Armon.
Verbindet euch, dass Armon das Nesthäkchen ist?
Wir halten als Familie enorm zusammen.
Seid ihr vier Brüder sehr wettbewerbsorientiert?
Als Kinder schon. Wir sind polysportiv aufgewachsen. Unseren Eltern war aber auch wichtig, dass wir ein Instrument spielen. Und wir hatten einen Keller mit Judomatten im Haus. Dort haben wir gekämpft oder Unihockey gespielt. Es war ein sportliches und offenes Umfeld.
Wäre ein ESAF-Schlussgang Orlik vs. Orlik eher Bürde oder Freude?
Wir hätten das gern gemacht.
Also besteht ein Konkurrenzkampf?
Heute viel weniger als in der Kindheit.
Das ESAF-Budget war 40 Mio. Franken. Passt das zum Schwingen?
Ich habe keine Angst, dass das dem Schwingsport schadet.
Gemäss Klischee ist Schwingen ländlich und konservativ. Nimmst du das auch so wahr?
Nein, eigentlich im Gegenteil. Gerade jetzt am ESAF wurde ich so oft für mein Outing gelobt. Ich finde die Schwingerfamilie nicht konservativ, eher offen, friedlich und fair. Zentral ist der Respekt fürs Gegenüber.
Als erster aktiver Schweizer Spitzensportler überhaupt hast du dich 2020 geoutet. Das brauchte Mut.
Ja, definitiv!
Was hat dich dazu bewogen?
Ich wollte mich nicht mehr verstecken. Im Nachhinein bin ich froh, auch wenn es anfangs schwierig war.
Warum?
Dinge aus der Kindheit kamen hoch, dann der grosse Rummel.
Du hattest auch Frau und Kind.
Dort, wo ich aufgewachsen bin, war schwul sein kein Thema. Für mich war es ein langer Prozess, inklusive Selbstverleugnung.
War das familiäre oder öffentliche Coming-out schwieriger?
Bei den ersten Personen war es am schwersten. Dann merkt man: Es ist überhaupt kein Problem. Manche Leute erhalten aber keine guten Reaktionen. Daher rührt die Angst vor Ablehnung oder Verstossung.
Wie haben deine Schwingerkollegen reagiert?
Mega gut. Viele waren überrascht, aber es war überhaupt kein Thema.
Hattest du Angst vor Reaktionen der Fans?
Ja, und es gab auch negative Reaktionen. Aber ich konnte mich sehr weiterentwickeln als Mensch, daher ist es für mich eine positive Erfahrung.
Wie erlebst du Homophobie?
Schwul sein ist nicht überall legal. Das gibt mir zu denken. Wir müssen für unsere Rechte einstehen und schauen, dass es nicht wieder kippt.
Siehst du dich als Sprecher der Community?
Das wäre zu hoch gegriffen. Ich merke, dass ich für viele queere Menschen ein Vorbild bin. Doch mein Fokus gilt noch dem Sport.
Armon hat gesagt: «Dass sich mein Bruder outet, ist das Mutigste, das man tun kann.» Stimmt das?
Ja, in meinem Leben war es etwas vom Mutigsten. Armon weiss, wie schwierig es für mich war. Ich bin einfach froh, habe ich es gemacht.
Das Gespräch führte Urs Gredig.