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SRF / Sébastien Thibault
abspielen. Laufzeit 59 Minuten 54 Sekunden.
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Friedl Dicker, Stefan Wolpe: Weil ich etwas Teures verlassen muss

Friedl Dicker und Stefan Wolpe waren ein ungleiches Paar. Im Sommer 1920 trafen sie am Bauhaus aufeinander: Dicker – Malerin, Innenarchitektin, Grafikerin und Designerin, Wolpe – Gymnasiumsabbrecher und komponierender Pianist.

1925 trennten sich ihre Wege. Dicker wurde 1944 in Auschwitz ermordet, Wolpe starb 1972 in New York.

Stefan Wolpe hält sich an Abmachungen. Um Punkt halb fünf Uhr sitzt er im Café, wo er sich mit Friedl Dicker verabredet hat. Er wartet eine halbe Stunde, eine Stunde und bleibt auch sitzen, als das Café schliesst. Die Nacht über skizziert er Musik und wartet, bis der Tag anbricht. Friedl lässt sich Zeit. Sie erscheint gegen halb vier Uhr nachmittags und sagt: «Ich wusste, dass du immer noch hier sein wirst.»

Diese mit Fakten unterlegte Anekdote mag illustrieren, wie ungleich die Beziehung zwischen den beiden war. Friedl war Stefans erste grosse Liebe, sie betrachtete ihn als besten Freund. «Stefan gehört zu den wundervollsten, eigensten, stärksten Menschen. Und wenn ich nachdenke, wer zu meinem Herzenskreis überhaupt neu dazugekommen ist, so ist nur er es.»

Wolpes Liebeswerben spiegelt sich in frühen Kompositionen. 1920 datieren zwei Adagios für Klavier. Das erste heisst Gesang, weil ich etwas Teures verlassen muss und ist ein freies atonales Stück, das auf einer Seite Platz hat. Auf der Rückseite findet sich eine Skizze mit vielsagenden Spielanweisungen wie «zart», «immer, immer reiner und schöner».

1924 ändert sich die Tonlage. Wolpe komponiert 5 Lieder nach Hölderlin und widmet Friedl Hälfte des Lebens. Der Text scheint programmatisch. Er könnte eine Zäsur bedeutet haben, die eine dauerhafte Künstlerfreundschaft ermöglichte, sagt Heidy Zimmermann. Die Musikwissenschaftlerin betreut als Kuratorin der Paul Sacher Stiftung den Nachlass Stefan Wolpes und erforschte die Beziehung zwischen Wolpe und Dicker.

Die Spurensuche nach Fotos, Tagebüchern, Briefen und Gemeinschaftsprojekten wie etwa die Kammeroper Schöne Geschichten mündete 2022 in einen Essay für den Ausstellungskatalog ‹Atelier Bauhaus, Wien› im Wien Museum MUSA. Die Wort-Musik-Collage aus den «Doppeldickers» ist zusammen mit dem Pianisten Christoph Keller entstanden. Omanut, der Verein für jüdische Kunst und Kultur, initiierte die Veranstaltung und lud ins Theater Stok in Zürich. Corinne Holtz dokumentiert den Abend und erschliesst eine Künstlerfreundschaft, deren Potential unausgeschöpft bleiben musste.

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