Der St.Galler Bäckerssohn Walter Mittelholzer erlangte spätestens als erster Swissair-Direktor den Status einer nationalen Ikone. Davor prägte er die Schweizer Luftfotografie: Mittelholzer bildete viele Schweizer Gemeinden erstmals von oben ab, später brach er zu Flugexpeditionen ins Ausland auf. Im Zentrum der Sendung steht die bekannteste Expedition Mittelholzers: der sogenannte «Afrikaflug».
In 77 Tagen reiste Mittelholzer 1926/27 mit seinem Expeditionsteam von Zürich nach Kapstadt. Der Kinofilm und das Buch der Reise transportierten ein Afrikabild, das laut der Geschichtsforschung von einem kolonialen Blick geprägt ist. Die Zeitblende rekonstruiert Mittelholzers Weg zur Ikone und zeigt, wie das Flugzeug laut Expert:innen als Ausdruck von Überlegenheit inszeniert wurde.
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(00:00) Abflug
(02:06) Die Abdankung
(04:23) So wurde er zur Ikone
(09:41) Der «Afrikaflug»
(13:07) Das Afrikabild
(22:12) Zurück in der Schweiz
(27:10) Tausende digitale Bilder
(31:20) Von oben herab?
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Gesprächspartner:innen:
- Sonja Malzner, Kulturwissenschaftlerin an der Universität Rouen
- Phindezwa Mnyaka, Historikerin an der University of the Western Cape
- Kaspar Surber, Historiker und Journalist
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Literatur:
Sonja Malzner (2013). «So sah ich Afrika». Die Repräsentation von Afrikanern in plurimedialen Reiseberichten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Königshausen & Neumann.
Benedikt Meyer (2014). Im Flug Schweizer Airlines und ihre Passagiere, 1919-2002. Chronos.
Kaspar Surber (2017). Walter Mittelholzer Revisited. Bilderwelten. Fotografien aus dem Bildarchiv der ETH-Bibliothek, Band 6. Scheidegger & Spiess.
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Team:
- Autor: Oliver Kerrison
- Sprecher: Armin Berger
- Mitarbeit: SRF Recherche und Archive
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Audiotranskript
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Oliver Kerrison:
Am 7. Dezember 1926 hebt in Zürich ein Wasserflugzeug ab. Ein Wasserflugzeug mit eingebauter Dunkelkammer, um Filme zu entwickeln. Das Flugzeug heißt Switzerland. Es startet in Zürich und landet 77 Tage später in Kapstadt in Südafrika. Am Steuerknüppel sitzt Walter Mittelholzer, Pilot, Fotograf, Geschäftsmann. Seine Bilder prägen den Schweizer Blick auf Afrika.
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Sprecher liest Text von Walter Mittelholzer:
Im Nu war die Switzerland von einer riesigen, nur gering bekleideten schwarzen Bevölkerung umgeben, die uns mit kindlicher Ehrfurcht bestaunte.
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Oliver Kerrison:
Schreibt Walter Mittelholzer. Es ist ein kolonialer Blick, das zeigen Forscherinnen und Forscher heute.
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Sonja Malzner:
Es gab ja diese große Illusion dieses natürlichen, naturbelassenen Afrikas. Und in diese Kerbe wollte man weiter reinschlagen. Man wollte das große Publikum beglücken und bestärken in dieser, in dieser Illusion.
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Oliver Kerrison:
Walter Mittelholzer profitiert davon. Seine Bücher landen als Bestseller in den Schweizer Stuben. Seine Filme überfüllen die Kinos. Er macht das Fliegen in der Schweiz populär. Erst fotografiert er Berge und jedes noch so kleine Schweizer Dorf von oben, dann verspricht er dem Publikum die weite Welt. Ich will wissen, wie Walter Mittelholzer das Schweizer Afrikabild prägte und unter welchen Bedingungen seine Bilder und Filme entstanden sind. Ein Hinweis Diese Folge thematisiert ein koloniales Weltbild und rassistische und diskriminierende Inhalte. Historische Quellen werden eingeordnet, aber stellenweise unverändert zitiert. Das ist die Zeitblende mit mir, Oliver Kerrison.
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Als Walter Mittelholzer stirbt, ist er eine nationale Ikone. Er stürzt mit 43 Jahren auf einer Klettertour ab 1937 in der Steiermark in Österreich. Mittelholzer hinterlässt seine Frau Lina und seinen 12-jährigen Sohn Kurt. Die Abdankung findet in der Altstadt von Zürich statt, in der Fraumünsterkirche. Sie ist bis auf den letzten Platz besetzt. In die Kirche darf nur, wer Eintrittskarten hat. Hunderte Menschen reisen ohne Ticket an und stehen im Regen vor der Kirche. Das Medienecho ist gross. Radio Zürich überträgt die Abdankung mit zwei Mikrofonen und in voller Länge. Reporter Arthur Welti erzählt von einer Hörerin. Sie habe ihm geschrieben, dass der Tod Mittelholzers einen Schrei des Entsetzens in der Familie ausgelöst habe.
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Arthur Welti (Archiv-Aufnahme):
Und die beiden Buben seien an den Bücherschrank gegangen, ihre Lieblingsbücher vom Tschadsee und von den alten Flügen herauszuholen. Und mit den Tränen in den Augen hätten sie über den herrlichen Fotografien gesessen und bitterlich geweint.
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Oliver Kerrison:
Es folgen Reden von hohen Beamten, von Gästen aus dem Ausland und von Swissairpiloten. Im Namen des Bundesrats legt der Direktor des Eidgenössischen Luftamts, Oberst Isler, einen Kranz nieder. Damit solle der Dank des Vaterlandes ausgesprochen werden für seine hohen Verdienste für die nationale Luftfahrt.
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Oberst Isler (Archiv-Aufnahme):
Und damit auch für die ganze Eidgenossenschaft, in deren Geschichte sie ein Blatt des Ruhmes und des Fortschritts willen wird.
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Oliver Kerrison:
Zum Schluss spricht der Pilot Walter Ackermann im Namen der Swissair Belegschaft das Fliegen.
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Walter Ackermann (Archiv-Aufnahme):
Das fliegende Tor der Swissair nimmt heute in tiefer Trauer Abschied von der sterblichen Hülle ihres Führers. Tot aber ist er nicht für uns. Ein Walter Mittelholzer stirbt nicht.
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Oliver Kerrison:
Diese betonte Unsterblichkeit und die Lust am Risiko. Sie ziehen sich wie ein roter Faden durch die 43 Jahre von Walter Mittelholzer. Er kommt 1894 in St. Gallen zur Welt, wächst in einer Bäckersfamilie mit vier Schwestern auf. Walter wandert und klettert im Alpstein, macht Bilder von den Bergen und verkauft diese. Er macht gegen den Willen des Vaters eine Fotografenlehre im Militär wird. Der Pilot Mittelholzer kombiniert das Fliegen und das Fotografieren. Seine Luftaufnahmen sind spektakulär. Viele Menschen in der Schweiz sehen so erstmals ihre Gemeinde von oben. Mittelholzer macht daraus ein Geschäft und fliegt quer durch die ganze Schweiz, durch Europa, bald in die Arktis nach Persien, später mehrmals in afrikanische Regionen. Seine Schwester Gret Mittelholzer erinnert sich 1976 in einem Film der Swissair.
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Gret Mittelholzer (Archiv-Aufnahme):
Während daheim natürlich vor allem am Flugplan welche Stationen angeflogen werden, wo das Bodenstation sei, dass man die Nachrichten. Aber das hätte natürlich mit den damaligen Einrichtungen noch nicht absolut geklappt. Und man hat ja auch gewusst, schließlich mit der Maschine das grosse Risiko. Und da ist man halt mal ein paar Tage ohne Nachrichten und mal eine ganze Woche und Frau und alles sagen. Das ist es. Mütterlich sein. Nein, Walter ist nicht passiert. Der Walter ist wohlauf, und er weiß sich zu helfen.
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Oliver Kerrison:
Wenn Walter Mittelholzer selbst auf das Risiko angesprochen wird, dann antwortet er jeweils. So hat der Kameramann Emil Berner einmal beschrieben. Mittelholzer nimmt einen Stift, ein Blatt Papier und kritzelt darauf seine Initialen W. Für Walter Meyer für Mittelholzer. Dann dreht er das Blatt. Und siehe da, auch auf den Kopf gestellt stehen da nun wieder ein W und 1 Meter. Was Mittelholzer damit sagen will, er lande immer auf den Füssen. Wobei Mittelholzer gilt als mittelmässiger Pilot. Immer wieder hat er Landeschwierigkeiten, mehrmals stürzt er ab. Über 60 Jahre nach dem Tod von Mittelholzer, sagt der ehemalige Swissair Pilot Richard Schilliger in einem Interview.
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Richard Schilliger (Archiv-Aufnahme):
Ich glaube, es hat kein Pilot in der Schweiz so viele Flugzeuge zu Bruch geführt wie Walter Mittelholzer. Er ist zum Beispiel auf einem Spezialflug 1936 nach Prag, und der mitfliegende Mechaniker hat mir das selbst erzählt. Plötzlich sei einfach der Motor still gestanden, und sie sind dann im Gleitflug auf dem Bauch gelandet, im Sperrgebiet der tschechischen Grenze. Und wenn man in seinem Tagebuch liest, an diesem Tag, dann hat er diese Notlandung gemacht wegen Fehler im Benzinsystem. Aber laut Walter Zürcher hat er den Benzinhahn einfach auf die falsche Stellung gebracht und dadurch den Benzinzufluss zum Motor unterbrochen.
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Oliver Kerrison:
Doch weder die Unfälle noch die regelmässigen Bußen des eidgenössischen Hessischen Luftamtsschaden der Beliebtheit Mittelholzers. Im Gegenteil, er propagiert erfolgreich die Gewissenhaftigkeit und Sicherheit der Schweizer Fliegerei. Er ist vernetzt in der Wirtschaft, nimmt Aufträge von Industriellen entgegen, um ihre Fabriken aus der Luft zu fotografieren. Firmen, die seine Auslandreisen unterstützen, kriegen im Gegenzug Product Placement im Reisebericht und auf Bildern. Mittelholzer weiss, wie man Geld verdient. 1919 gründete er mit seinem Fluglehrer Alfred Kommt die erste schweizerische Fluggesellschaft. Später baute er die Praesens Film mit auf. Die Produktionsgesellschaft, die dieses Jahr 100 Jahre alt wird. Und dann, 1931, beteiligt er sich an der Entstehung der Swissair und wird zum Ersten Technischen Direktor. Mittelholzer propagiert das Flugzeug als eines der bahnbrechendsten Verkehrsmittel der Neuzeit. Und er betont als Direktor die Sicherheit der Swissair-Flüge.
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Walter Mittelholzer (Archiv-Aufnahme):
Dieser Film macht sie vertraut mit den mannigfaltigen Sicherheitseinrichtungen, die seit Jahren erprobt und im schweizerischen Luftverkehr den grossen Ruf eingebracht haben, den er heute im Ausland geniesst. Er gibt ihnen einen Einblick in den Streckenbetrieb einer modernen Luftverkehrslinie, wie Sie ihn erleben werden, wenn Sie einmal als Passagier das Verkehrsflugzeug besteigen werden.
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Oliver Kerrison:
Spätestens in dieser Rolle wird Walter Mittelholzer zu dieser nationalen Ikone. Er kombiniert geschickt, vereint in sich Widersprüche, erweckt das Vertrauen in die Fliegerei. Und er steht für das Abenteuer. Das bekannteste Abenteuer von Walter Mittelholzer beginnt am 7. Dezember 1926.
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Sprecher liest Text von Walter Mittelholzer:
Heute früh erhielt ich endlich von der Meteorologischen Zentralanstalt die Nachricht über den Alpen liege ein Hochdruckgebiet, und auf beiden Seiten der Wetterscheide herrsche helles Wetter.
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Oliver Kerrison:
Schreibt Walter Mittelholzer. Er nennt es eine Expedition. Es ist der dritte Startversuch. Zweimal schon musste das Flugzeug wegen des Nebels umkehren. Aber jetzt soll es klappen.
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Sprecher liest Text von Walter Mittelholzer:
Leichten Herzens tat ich den letzten Gang dieses Jahres von meiner Wohnung zum Schuppen am Zürichhorn, wo mein Monteur und Hilfspilot schon an der Maschine tätig war.
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Oliver Kerrison:
Drei Männer begleiten Mittelholzer, der Hilfspilot Hans Hartmann, der Geologe Arnold Heym und der Reiseschriftsteller Rene Gusy. Von Gusy kommt die Idee für die Reise von Zürich nach Kapstadt. Es ist die Zeit zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg. Das Wettrüsten und die Kriege in Europa erstrecken sich auch auf die Kolonien. Einflussgebiete werden ausgebaut, mit Gewalt und Repression. Rund 600 Millionen Menschen leben zu diesem Zeitpunkt in Kolonien. Rund 120 Millionen Menschen davon in Afrika. Mittelholzer ist von Gysis Reiseidee angetan. Mit dem Blick des weißen Europäers schreibt er.
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Sprecher liest Text von Walter Mittelholzer:
Den vornehmsten Zweck unserer Reise sah ich von Anfang an darin, sie der Geografie und dem allgemeinen Wissen über Afrika dienstbar zu machen und dabei der Fotografie und Berichterstattung unsere besondere Aufmerksamkeit zu widmen.
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Oliver Kerrison:
Mittelholzer kümmert sich um das Flugzeug. Ein Wasserflugzeug, damit Landungen auf Flüssen, Seen und auf dem Meer möglich sind. Es heißt Switzerland. Doch gebaut wird es von der deutschen Firma Dornier, ausgestattet mit einem deutschen BMW Motor, fix in der Switzerland installiert, ist eine Dunkelkammer. So lassen sich unterwegs Filme wechseln und entwickeln. Mittelholzer kümmert sich auch um das Benzin und das Schmieröl. Er lässt es an 23 Etappenzielen bereitstellen und Mittelholzer kümmert sich vor allem um das Geld. Dutzende Firmen und Privatpersonen unterstützen die Reise. Wichtigster Partner ist Oskar Guhl, der Verwaltungsratspräsident des Orell Füssli Verlags. Der Verlag wird das Buch von der Reise publizieren. «Ein allgemein flüssig und populär geschriebenes Buch» steht im Vertrag. Exklusiv dürfen die NZZ und die Schweizer Illustrierte schon während der Reise Bilder und Texte abdrucken. Zudem ist ein Kinofilm geplant. Und dann geht's los. Die Switzerland hebt ab zum sogenannten Afrikaflug.
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Sprecher liest Text von Walter Mittelholzer:
Um 10:13 hoben sich die grauen Schwimmer im 110 Kilometer Tempo aus den kalten Zürichsee Fluten über dem grauen See unter dunklem Nebelgewölk brausen wir über die Stadt. Doch im Süden flimmert ein rot goldenes Band. Dort hindurch führt mein Flugweg hinauf zur Himmelsbläue, zur Sonne, zur Freiheit.
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Oliver Kerrison:
Was ist das für eine Freiheit, die Walter Mittelholzer sucht?
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Sonja Malzner:
Es ging darum, der Welt zu zeigen, wie gut die schweizerische Technik vorangeschritten ist.
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Oliver Kerrison:
Das sagt Sonja Malzner. Sie ist Kulturwissenschaftlerin an der Universität Rouen in Frankreich. Sie hat in ihrer Dissertation untersucht, wie Menschen in Afrika von europäischen Reisenden im 20. Jahrhundert dargestellt wurden. Dabei hat sie spezifisch den sogenannten Afrikaflug analysiert.
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Sonja Malzner:
Die Schweizer hatten keine Kolonien. Aber durch diese Publikationen von Walter Mittelholzer mit diesen Flugzeugabenteuern machten sich praktisch die Schweizer den ganzen Kontinent ganz Afrika Untertan insofern, dass man aus dem Flugzeug von oben herab schaut auf diesen Kontinent und sich quasi den ganzen Kontinent zu eigen macht. Auch wenn man jetzt politisch natürlich keine Kolonien hat, aber so eine Inbesitznahme, eine indirekte.
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Oliver Kerrison:
Die Switzerland fliegt über Neapel, Athen nach Alexandria. In Ägypten berichten die Zeitungen in schmeichelhaften Artikeln schreibt Rene Gozzi, das Expeditionsteam und vor allem Mittelholzer werde von begeisterten Schweizer Landsleuten empfangen. Wenn's irgendwie geht, dann schläft das Expeditionsteam in gehobenen Hotels, betrieben von Schweizer Hoteliers. Aber nicht nur die Landsleute unterstützen die Reise, sondern vor allem auch die europäischen Kolonialmächte.
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Sprecher liest Text von Walter Mittelholzer:
Die Beamten sämtlicher Kolonien wetteiferten darin, uns den Aufenthalt so angenehm als nur möglich zu machen.
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Oliver Kerrison:
Mittelholzer und sein Team kleiden sich selbst wie Kolonialbeamte. Sie tragen zum Beispiel einen Tropenhelm, das Symbol der imperialen Macht. Es geht dem Nil entlang zum Viktoriasee, dem größten afrikanischen See, benannt nach der britischen Königin. Nach mehreren Stopps landet die Switzerland in Karonga, heute Malawi, damals aber eine britische Kolonie. Aus der herablassenden Perspektive des weissen Europäers beschreibt Mittelholzer seine Ankunft.
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Sprecher liest Text von Walter Mittelholzer:
Im Nuvadi Switzerland Von einer riesigen, nur gering bekleideten schwarzen Bevölkerung umgeben, die uns zwei Flieger mit kindlicher Ehrfurcht bestaunte. Während Hartmann in glühendem Sonnenbrand unseren seit Monaten hier deponierten Benzinvorrat in die Reservoirs füllte, mischte ich mich mit Kino und Kamera unter das munter um das Flugzeug sich tummelnde schwarze Völklein beiderlei Geschlechts. Die guten Schwarzen waren ganz außer sich, tanzten und gestikulierten und machten einen Heidenlärm, so dass man kaum sein eigenes Wort verstehen konnte.
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Oliver Kerrison:
Die Schilderung ist laut der Forscherin Sonja Malzner bezeichnend für das Afrikabild, das die Bilder und Texte Michel Holzers vermitteln. Die Menschen würden als kindlich und rückständig dargestellt, vor allem beim Erstkontakt, bei der Ankunft.
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Sonja Malzner:
Wo eben das Wasserflugzeug landet. Und dann kommen natürlich die Menschen herbeigeströmt, um zu schauen, was denn da los ist, was denn das ist. Und da gibt es ganz viele Fotos von diesen Ankunftsszenen und da steht so eine eine große Menge vor dem Flugzeug und wird praktisch sehr oft mehrmals so von oben herab aus dem Flugzeug heraus dann fotografiert, was natürlich dann den Eindruck hinterlässt, dass Afrika, das ist so eine Masse an Menschen, das sind keine Individuen, und die sind neugierig, Die sind erstaunt und die sind da, stehen bewundernd vor dieser technischen Meisterleistung.
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Oliver Kerrison:
Das eindeutige Zentrum dieser Bilder und Texte stellt laut Molsner das Flugzeug dar. Wie eine Barriere stehe es zwischen dem Eigenen und dem Fremden. Die einen würden fliegen, während die anderen staunen.
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Sonja Malzner:
Es ist interessant, weil die Schweizer haben sicher auch gestaunt. Aber darüber steht Das schreiben sie nicht. Sie haben sicher selber auch gestaunt, aber im Text staunen eben nur die anderen. Die Primitiven.
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Oliver Kerrison:
Über 200 Fotografien sind im Reisebuch abgedruckt, vor allem Bilder aus der Luft und von Menschen vor Ort. Menschen, die nackt tanzen, mit Speeren in die Kamera schauen oder auf einem Markt Bananen verkaufen. Wie es zu diesen Fotos kommt, wer die Menschen darauf sind, wie sie heissen, heißen. All das erfährt man in der Regel nicht. Oft werden die Menschen mit Begriffen bezeichnet, die heute als rassistisch und diskriminierend erkannt werden. Das zentrale Bild, das der sogenannte Afrikaflug vermittle, sei das Bild eines vermeintlich natürlichen, authentischen Afrikas, sagt Sonia Malzner. Ein Afrika, das gänzlich unberührt sei von der Zivilisation.
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Sonja Malzner:
Was natürlich überhaupt nicht den Tatsachen entspricht. Denn in den 20er Jahren gab es Großstädte. Die Universitäten in Paris, London waren voll von Studierenden aus den afrikanischen Kolonien. Aber das wurde alles weggelassen. Also mit voller Absicht.
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Oliver Kerrison:
Mit welcher Absicht?
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Sonja Malzner:
Mit der Absicht, dass man den Geschmack eines möglichst großen Publikums treffen will und die Illusion aufrechterhält, die schon da ist? Es gab ja diese große Illusion dieses natürlichen, naturbelassenen Afrikas. Und in diese Kerbe wollte man weiter reinschlagen. Man wollte das große Publikum beglücken und bestärken in dieser, in dieser Illusion.
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Oliver Kerrison:
Das vermittelte Afrikabild sei geprägt vom kolonialen Diskurs dieser Zeit, sagt Sonia Malzner. Doch zwischen den Expeditionsteilnehmern ließen sich Unterschiede feststellen. Momente, in denen der koloniale Diskurs durchbrochen würde. Zwar zeige sich das nicht in den Texten von Arnold Heim und Rene Gussie, aber.
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Sonja Malzner:
Beim Walter Mittelholzer, denke ich, kann man doch feststellen, dass er am Anfang ich glaube, am Anfang ist ihm egal, wo er dahinfliegt. Hauptsache, es ist ein großes Projekt, das man gut verkaufen kann. Und dann trifft er auf diese Menschen, auf diese afrikanischen Menschen. Und dass ich sage Menschen, weil er sieht dann einfach diese Menschen. Der Mittelholzer und das ist meine Interpretation, dass bei ihm eben dieser Lernprozess stattgefunden hat.
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Oliver Kerrison:
Den Lernprozess führt die Kulturwissenschaftlerin Malzner auf eine spezifische Situation zurück, die Mittelholzer im Buch schildert. Es geht um eine Notlandung im Dunkeln auf dem Fluss Pangü. Walter Mittelholzer beschreibt es so.
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Sprecher liest Text von Walter Mittelholzer:
Aus den beiden rotglühenden Auspufftöpfchen schossen unheimliche violette Gasflammen. Drinnen am Führersitz konnte ich kein Instrument mehr ablesen. Die Karte hatte ich schon lange weglegen müssen. Ich mußte an Wassern, mußte hinunter, koste es, was es wolle.
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Oliver Kerrison:
Die Notlandung glückt, und Mittelholzer zeigt sich überrascht, als sich die Menschen vor Ort nach seiner Herkunft erkundigen und ihm dann ein Nachtessen bringen. Zwei grosse gesottene Fische und ein halbes Dutzend Eier, schreibt Mittelholzer.
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Sprecher liest Text von Walter Mittelholzer:
Ich war gerührt über diese Gastfreundschaft mitten im scheinbar unzivilisierten Urwald, inmitten dieser prächtigen Naturmenschen. Das waren nun also jene fürchterlichen Wilden, wie sie die phantasiereiche Feder einbildungstoller Schriftsteller schildert.
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Oliver Kerrison:
Die Forscherin Sonia Malsner sagt, der direkte Kontakt mit den Menschen vor Ort habe bei Mittelholzer etwas ausgelöst. Und trotzdem: Vom kolonialen Blick löse er sich nicht. Die Switzerland fliegt weiter über Durban nach East London, ursprünglich als britischer Militärposten gegründet und von da ans Ziel nach Kapstadt, wo das Flugzeug am 21. Februar 1927 landet.
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Sprecher liest Text von Walter Mittelholzer:
Endlich, um 17:25, setzte sich die Switzerland in der Nähe des Adderly Pier aufs Wasser, wo eine zu Hunderten zählende Menge sich schon eingefunden hatte, den von so weit her kommenden Vogel zu erwarten.
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Oliver Kerrison:
Der Bürgermeister habe sie empfangen, schreibt Mittelholzer, und zwei Motorboote der Schweizer Kolonie. Die Einfahrt in den Hafen sei für Kapstadt historisch gewesen, so Mittelholzer. Später wird die Switzerland auseinander gebaut und verschifft. Zurück in der Schweiz wird weniger als drei Monate später das Buch und der Kinofilm zur Reise beworben. In der NZZ, ab dem nächsten Tag schon läuft der Film im Kino Bellevue in Zürich, und der Andrang ist gross. Bis zu viermal am Tag wird der Film gezeigt. Beim Orell Füssli Verlag laufen die Publikationsvorbereitungen, die Lektoren korrigieren die Texte von Mittelholzer Heim und Gusy, oder sie ändern sie ab. Der Journalist und Historiker Kaspar Surber hat zu Mittelholzer geforscht und publiziert und dabei auch die Korrespondenzen zwischen den Autoren und dem Verlag untersucht.
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Kaspar Surber:
Es war so, dass die schlimmsten kolonialen Überzeichnungen die stammen nicht von den Reisenden selbst, die haben nämlich vermutlich schon auch stellenweise ihr Bild geändert, sondern sie wurden nachträglich durch Orell Füssli eingefügt, durch die dortigen Lektoren, die dann zum Beispiel plötzlich geschrieben haben, dass die Menschen Zähne hätten wie Säbel. Und das ist zum Beispiel eine Formulierung, gegen die sich dann die Reisenden verwahrt haben. Also sie haben sozusagen sich durchaus auch die Stereotype an der Gegenwart überprüft, aber natürlich haben sie sich längst nicht davon befreit.
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Oliver Kerrison:
Letztlich sei es Walter Mittelholzer trotzdem um diesen einfachen Gegensatz gegangen, sagt Kaspar Surber. Darum, einen Unterschied zwischen einer fortgeschrittenen Nation und vermeintlich zurückgebliebenen Gemeinschaften zu konstruieren. Kaspar Surber bezeichnet Walter Mittelholzer als einen gewieften Medienunternehmer. Sein Wirken sieht er in einer direkten Verbindung zur Popularisierung der Schweizer Zivilluftfahrt, die schließlich zur Gründung der Swissair führte.
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Kaspar Surber:
Wenn man die Bilder lange betrachtet, dann merkt man Ja gut. Was hebt denn hier eigentlich ab? Was wird denn popularisiert? Und ich denke, beispielhaft dafür steht auch die Titelseite des Afrikafluges, wo ein Schweizer Flugzeug sich über den gesamten afrikanischen Kontinent erhebt, der schwarz dargestellt ist. Und ich denke, hier sieht man sehr deutlich, dass es darum ging, diese Luftfahrt, diesen Fortschritt zu popularisieren und man brauchte einen entsprechend möglichst anderen Hintergrund. Und das war eben diese Exotik, das war diese Wildnis.
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Oliver Kerrison:
Diese Wildnis sei von Mittelholzer und den Mitreisenden gezielt hergestellt und produziert worden.
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Kaspar Surber:
Darauf läuft alles hinaus. Sie haben immer gefragt Wo gibt es noch ein völlig urtümliches Dorf, das wir besichtigen können? Und wenn man verschiedene Medien dann miteinander vergleicht, dann merkt man auch, dass sie zum Teil die Leute auch abgezogen haben. Also dass beispielsweise man im Film sieht, dass eine Frau an einem Feuer durchaus bekleidet steht. Und Mittelholzer und seine Kollegen haben das dann offenbar so weit gebracht. Ob sie es bezahlt haben, ob sie die Frau dazu gezwungen haben, das weiß man nicht. Aber dass sie eben dann gewissermaßen ihr Kleid abzieht und sich nun als sogenannte nackte Dorfschönheit präsentieren kann. Also diese ganze, wenn man genau hinschaut, diese Wildnis wird dauernd produziert.
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Oliver Kerrison:
Und woran machen Sie das fest?
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Kaspar Surber:
Dieser Eindruck entsteht dadurch, dass man die verschiedenen Medien eben miteinander vergleicht. Also dass man eben eine Filmaufnahme findet dieser Frau am Feuer, wo sie eben auch bekleidet ist. Dass man dann ein Foto sieht, wo sie plötzlich nackt ist und dass es im Reisebericht dann heißt, man habe eine nackte Dorfschönheit gefunden. Und wenn man eben genau liest oder weil es ja so eine massenmediale Produktion ist, wenn man genau liest, dann merkt man plötzlich Aha, das ist ja die gleiche Szene. Und das sind dann doch auch durchaus so ein bisschen unheimliche Entdeckungen, wenn man auf einmal merkt, Aha, die beschreiben das so, als sei das alles gegeben, und dabei wird es dauernd hergestellt.
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Oliver Kerrison:
Walter Mittelholzer sei für ihn bis heute schwer greifbar, sagt Kaspar Surber.
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Kaspar Surber:
Ich finde, dass er wirklich etwas gewagt und ausprobiert hat und gleichzeitig halt schon auch alle diese kolonialen Stereotypen transportiert hat, in die Schweizer Stuben gebracht hat, Dass er auch manchmal innovativ war, aber dann mit seinem Geschäftssinn irgendwie das auch wieder ein Stück weit bagatellisiert hat, alles popularisiert hat. Ja, irgendwie ist dieser Mittelholzer ja wer war dieser Mittelholzer? Das habe ich mich dann doch oft gefragt. Mal ist er einem nahe und dann ist einem wieder total fremd.
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Oliver Kerrison:
Was sind die Fragen, die Ihnen bis heute offen geblieben sind?
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Kaspar Surber:
Ja, Fragen, die sich leider nicht rekonstruieren lassen. Nämlich vor allem oder zumindest nicht aus unseren Archiven rekonstruieren lassen. Nämlich natürlich vor allem, wie die Menschen auf ihn reagiert haben, die er so selbstverständlich ablichtet, als würden ihre Körper ihm gehören.
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Oliver Kerrison:
Wie schauen wir heute auf diese Bilder von Walter Mittelholzer, rund 100 Jahre später. Das Internet ist voll damit. Über 18.000 Mittelholzer Bilder hat die ETH Bibliothek digitalisiert und online zugänglich gemacht. Swissair Pensionierte haben dabei mitgeholfen. Viele der Bilder sind historische Luftbilder aus der Schweiz. Andere Fotografien von Mittelholzers Auslandreisen. Ich schaue mir diese digitalisierten Bilder zusammen mit Phindezwa Mnyaka an, sie ist Historikerin an der University of the Western Cape in Kapstadt in Südafrika und forscht dazu, wie Afrika im 20. Jahrhundert auf Fotografien dargestellt wurde. Sie erzählt mir von ihrem ersten Eindruck dieser Bilder.
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Ihr erster Gedanke sei gewesen, das komme ihr bekannt vor. Ausgehend von ihrer Forschung zeige sich, Mittelholzer habe sich an einem geläufigen Stil seiner Zeit bedient. Kennzeichnend für diese Bilder sei eine Art Entdeckungsmodus, sagt Mnyaka. Ein Modus, der so tue, als habe man zum Beispiel das Dorf, das man fotografiert, selbst entdeckt. Ein Blick der Neugier, der Menschen als ein Spektakel inszeniere, gerade dann, wenn sie eigentlich alltägliche Dinge tun würden. Als Beispiel nennt sie eine Mutter, die ihre Kinder pflegt. Durch die Kamera werde Alltag zum Spektakel. All das kenne sie auch von anderen europäischen Fotografen dieser Zeit, sagt Phindezwa Mnyaka. Und doch würden sie gewisse Bilder von Mittelholzer schockieren. Mnyaka beschreibt eine Bildserie, die eine junge Frau und zwei Reisebegleiter von Mittelholzer zeigt. Erst trägt die Frau Kleider, dann wird sie von Mittelholzer nackt fotografiert. Wie es dazu kam, ist nicht überliefert. Doch solche Bilder wirkten übergriffig, sagten Mnyaka. Die Aufmerksamkeit wird auf den Körper der Frau gelenkt. Ob die Frau mit der Situation einverstanden gewesen sei, wisse sie nicht. Aber die Art und Weise, wie der Körper dem Publikum verfügbar gemacht werde, sei schockierend.
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Dann sprechen wir über den heutigen Blick auf diese Bilder. Phindezwa Mnyaka betont, dass es mehr als nur eine Perspektive auf diese Bilder gebe. Sie erzählt mir von einem Forschungsprojekt, das während des Kolonialismus fotografierte Menschen Jahre später mit den Bildern konfrontierte. Einige von ihnen hätten diese Bilder geschätzt, auch wenn sie zum Beispiel von Kolonialisten fotografiert worden seien. Einige sahen in den Bildern Anzeichen für Modernisierung und Wandel, andere schlicht Erinnerungsstücke an die Vergangenheit oder die eigene Familiengeschichte. Mnyaka sagt, es brauche eine öffentliche Diskussion über diese Bilder, Raum für unterschiedliche Perspektiven. Und sie betont: Was wir nicht tun sollten, sei so zu tun, als gäbe es diese Bilder nicht.
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Die Bilder, Filme und Texte von Walter Mittelholzer, die gibt es gedruckt, auf Papier, archiviert und digitalisiert. Sie werden kontrovers diskutiert. Gleich mehrere Museen widmen sich aktuell den kolonialen Verstrickungen der Schweiz. Im Landesmuseum in Zürich werden die Bilder von Mittelholzer ausgestellt. Nicht zum ersten Mal. Doch je länger diese Aufnahmen zurückliegen, desto kritischer werden sie betrachtet. Mir bleibt von Walter Mittelholzer das Bild eines Mannes, der aufsteigen wollte und der aufgestiegen ist, der wusste, was sein Publikum sehen will und wie man ein Geschäft daraus macht. Walter Mittelholzer versprach einen Perspektivenwechsel. Er präsentierte eine Welt, wie sie die damalige Schweiz sehen wollte Die Welt von oben – oder von oben herab?
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Das war die Zeitblende. Haben Sie Feedback, Ideen oder Anregungen ans Zeitblende-Team? Dann schreiben Sie uns an zeitblende@srf.ch. Ich bin Oliver Kerrison.