In der Shoppingmall «Paradise City» gibt es alles, was das Herz begehrt. Ein zweistöckiges Gerüst mit Leuchttafeln skizziert auf der Bühne des Berner Stadttheaters verschiedene Geschäfte: vom Fitnesscenter über eine Textilreinigung bis zum Bistro.
Für die Mitarbeitenden und ihre Kundschaft ist «Paradise City» – kurz «PC» – allerdings mehr als ein grosses Einkaufszentrum. Während der Öffnungszeiten werden die Rolltreppen, Galerien und Läden zur Bühne ihrer kleinen und grossen Alltagssorgen.
Alles wie immer
Schon in den ersten Minuten wird klar: Das Einkaufszentrum hat seine besten Zeiten hinter sich. Ein Werbe-Event mit Promibesuch soll «Paradise City» vor dem Aus retten. Aber irgendjemand zerstört alle Plakate. Nur: Wer?
Die Frage zieht sich wie ein roter Faden durch das Musical und wird am Schluss relativ unspektakulär aufgelöst. Letztendlich dreht sich nämlich wie in fast jedem Musical auch in «PC» alles um die Liebe.
Vertanzte ESC-Hits
Der Soundtrack liefert alt Bekanntes, neu arrangiert: Das Berner Sinfonieorchester, umfunktioniert zur Musicalband mit Schlagzeug, Piano, E-Gitarre und Bass, spielt Schweizer Eurovision Songs aus den vergangenen fünf Jahrzehnten. «Swiss Lady», «La vita cos’è?» oder «Moi, tout simplement» zum Beispiel.
Inhaltlich haben die zwar nicht viel mit der Handlung zu tun, aber das Ensemble und die Gastauftritte von den Geschwistern Pfister oder Heidi Maria Glössner sind hinreissend. Für fast jede Gesangs- und Tanzeinlage gibt’s Szenenapplaus. Dass nicht alle Schauspielerinnen und Schauspieler die Töne treffen, stört für einmal niemanden.
(K)eine Hommage an die Vielfalt
Autor Cihan Inan und Regisseur Stefan Huber schiessen allerdings übers Ziel hinaus: Sie wollen ein Loblied singen auf die Vielfalt der Schweiz.
Die Mitarbeitenden und Besucher des Einkaufszentrums haben unterschiedliche kulturelle Hintergründe und kommen aus verschiedenen Generationen: Die Rentnerin Vreni hat ständig einen neuen Liebhaber. Mahmud, der das Reinigungsunternehmen «Süperclean» führt, soll eine Frau heiraten, die er nicht kennt.
Und dann ist da noch Kiki. Eine Transfrau, die «Body Positivity» propagiert, sich aber selbst nicht lieben kann. Eine Figur, die an Inans und Hubers erfolgreiches Musical «Coco» von 2018 über die gleichnamige Berner Transfrau erinnert. Für «Paradise City» verwenden sie die gleichen Zutaten: Kitsch, Glamour, Herzschmerz, viel nackte Haut und eine gute Prise Humor.
«Paradise City» und «Political Correctness»
Cinan Inan spielt mit Klischees, überhöht sie, um sie genussvoll zu zerstören. PC ist nicht ganz zufällig auch die Abkürzung für «Political Correctness». Denn «Paradise City» ist gerade das nicht immer: politisch korrekt.
Hier gibt es viele Figuren auf der Bühne, die man sonst vielleicht nicht sieht. In den verschiedenen angerissenen Geschichten gehen die Figuren aber unter. Sie wirken platt, bleiben stereotyp, es finden kaum Entwicklungen statt.
Am Ende gibt’s wie zu erwarten ein kitschiges Happy End mit Gänsehaut. Es wird viel gelacht an diesem Premierenabend und auch mitgeschunkelt. Ohrwürmern wie «Swiss Lady» sei Dank.