Das Film-Highlight: «Lucky» von John Carroll Lynch
«Je älter du wirst, desto länger lebst du», erklärt der Hausarzt dem etwas erstaunten Lucky. Der ist zu ihm gekommen, nachdem er am Morgen vor der Kaffeemaschine «auf seinen knochigen Arsch gefallen» ist. Der Arzt kann nichts finden beim Kettenraucher Lucky – ausser Alter.
Das Alter ist vorgegeben vom Hauptdarsteller, der Schauspielerlegende Harry Dean Stanton. Er gehörte als Haupt- und Nebendarsteller zur ewigen Garde des US-Kinos. Seine schlaksige Gestalt kennen wir aus unzähligen Filmen von «The Last Temptation of Christ» über «Alien» bis «Wild at Heart». Am 15. September 2017 ist er gestorben. Aber mit dieser hinreissenden Filmrolle, die ihm seine Freunde auf den knochigen Leib geschrieben haben, jagt uns Harry Dean Stanton Tränen des Lachens und der Rührung in die Augen.
(Michael Sennhauser)
Das Buch-Highlight: «Steine in meiner Hand» von Kaouther Adimi
«Steine in meiner Hand» von Kaouther Adimi ist das Buch-Highlight 2017. Es handelt von einer jungen Algerierin. Sie ist eingeklemmt zwischen Algier und Paris, zwischen den Erwartungen ihrer Familie und ihren eigenen Bedürfnissen nach Freiheit und Selbstbestimmung.
Die Hauptfigur lebt, so wie auch die Autorin, seit fast zehn Jahren in Paris. Eine arabische Bridget Jones, die in eine Krise stürzt, als sie erfährt, dass ihre jüngere Schwester in Algier heiraten wird. In bissig-witzigem Ton beginnt sie über ihr Single-Dasein zu sinnieren. Über ihre Freuden und Nöte und über ihre Zukunftspläne. Erfrischend, brillant. Ein Buch, das man nicht mehr aus der Hand legen will.
(Annette König)
Das Theater-Highlight: Das Theater Basel im Höhenflug
Steigende Besucherzahlen, internationale Auszeichnungen und Festival-Einladungen: Das Schauspiel in Basel hat einen guten Lauf. Produktionen wie «Woyzeck», «Leonce und Lena», «Vor Sonnenaufgang», «Wilhelm Tell» oder der Dauerbrenner «Drei Schwestern» füllen – so unterschiedlich sie sind, gerade in ihrem faszinierenden ästhetischen Spektrum – die Säle.
Die Basler lieben ihr Schauspiel – und sie lieben ihre SchauspielerInnen. Andreas Beck hat es geschafft, ein Ensemble mit einmaliger Ausstrahlung an sein Haus zu binden. Das blieb auch in den grossen Theatermetropolen nicht verborgen: Der Wermutstropfen bei dieser Basler Erfolgsgeschichte ist, dass sie ein verfrühtes Ende nehmen wird, wenn Beck 2019 ans bayerische Staatsschauspiel in München wechselt.
(Andreas Kläui)
Das Philosophie-Highlight: Berggruen-Preis für Onora O'Neill
Es gibt einen Preis für Gleichstellung, einen für Integration und einen für Architekturfotografie. Es gibt Unmengen von Auszeichnungen für Literatur, für Film, für Gastronomie – aber kaum Preise für Philosophie. Umso schöner, dass seit 2016 der Berggruen-Preis für Philosophie und Kultur vergeben wird, dotiert mit einer Million US-Dollar. Noch schöner, dass die Auszeichnung 2017 an die Moralphilosophin Onora O’Neill ging.
Die kluge Denkerin aus Cambridge versteht sich auf Kant wie wenig andere. Ihre Philosophie ist aber nie weltfremd, sondern zielt auf die Lösung der grossen Probleme unserer Zeit: den Welthunger, die Rechtfertigung von Staatsgrenzen, den Verlust von Vertrauen in einer globalisierten Welt. Die Baroness hat den Preis redlich verdient – unter anderem dafür, dass sie Kants Ideen fit fürs 21. Jahrhundert macht.
(Barbara Bleisch)
Das Musik-Highlight: Philippe Jordan am Lucerne Festival
Als gleichermassen kluger wie emotional bewegender Erzähler präsentierte sich der Zürcher Dirigent Philippe Jordan diesen Sommer am Lucerne Festival. Gemeinsam mit seinem Orchestre de l’Opéra national de Paris, welchem er schon seit acht Jahren als Musikdirektor vorsteht. In Luzern dirigierte er als Hauptwerk die «Symphonie fantastique» von Hector Berlioz.
Dramaturgisch stringent war seine Interpretation aufgebaut, vom ersten bis zum letzten Ton. Jordan führte spannungsvoll durch diese Sinfonie über einen unglücklich verliebten jungen Mann, gestaltete etwa dessen Liebe auf den ersten Blick ebenso detailreich aus wie das unheimliche Ende am Hexensabbat. Und Philippe Jordan legte dabei auch die strukturellen musikalischen Stränge offen, die subkutan das gesamte Werk durchziehen.
(Moritz Weber)
Das Kunst-Highlight: documenta 14 in Athen und Kassel
Selten war sich die Kritik so einig: «Krachend gescheitert» sei die documenta 14 und damit auch Kurator Adam Szymczyks ehrgeiziges Projekt einer Grossausstellung, die möglichst viel richtig macht, indem sie auf möglichst viel Diversität, kritischen Gehalt und marginalisierte Stimmen setzt. Als sich im Herbst überdies abzeichnete, dass die documenta mit einem Defizit von 5,4 Millionen Euro schliesst, war das Wasser auf die Mühlen der Kritiker.
Auf der diesjährigen documenta war tatsächlich Belehrendes und Gutgemeintes zu sehen. Aber neben schlechter Kunst für einen guten Zweck gab es auch Geglücktes: zum Beispiel die Arbeiten von Miriam Cahn oder Forensic Architecture, zukunftsweisende Formen politischer Kunst. Adam Szymczyks Versuch, eine Utopie anzugehen, sollte bei aller Kritik gewürdigt werden.
(Ellinor Landmann)
Sendung dazu: Gross und politisch korrekt: die documenta 14 in Kassel und Athen, «Kontext», 15. Juni 2017.
Das Religions-Highlight: Das Bruder-Klaus-Jubiläum
Er lebte vor 600 Jahren und ist noch heute ein Publikumsmagnet: Niklaus von Flüe, auch Bruder Klaus genannt. Der Bauer und Politiker aus Flüeli-Ranft im Kanton Obwalden verliess mit 50 Jahren seine Familie, um als Einsiedler in der nahen Ranft-Schlucht zu leben. Er wurde zum Asket, Mystiker und Ratgeber.
Sein radikaler Lebenswandel fasziniert denn auch bis heute. Das Gedenkjahr wurde zum Erfolg: Die Kirchen feierten ökumenisch gemeinsam, das Visionsgedenkspiel war ein Renner, auch ganz normale Vorträge waren überaus gut besucht. Das Gedenkjahr erreichte verschiedenste Bevölkerungsschichten – von links bis rechts, Kunstaffine, Heimatverbunde, Fromme und Freche. Denn Bruder Klaus hat für jeden und jede etwas zu bieten.
(Antonia Moser)
Zum Thema: Faszinosum Bruder Klaus, «Perspektiven», 12. März 2017.