Die 2019 im südlichen Irak ausgebrochenen Proteste, auch «Oktoberrevolution» genannt, prägten das Leben von Milo und Khalili massgeblich und werden zum Ausgangspunkt des in drei Kapiteln erzählten Dokumentarfilms «Immortals» der Schweizer Regisseurin Maja Tschumi.
Es ist nicht das erste Mal, dass sich Tschumi dokumentarisch mit äusserst persönlichen Geschichten auseinandersetzt. Bereits in «Rotzloch» (2022), «Regimes» (2019) oder «Der Hexer» (2017) zeichnete sie individuelle Wege zur Freiheit nach.
Die Revolution fordert ihren Tribut
«Teil der Revolution zu sein, war der Höhepunkt meines Lebens. Doch aus diesem Grund wurde ich drei Monate später ein ganzes Jahr lang zu Hause eingesperrt. Sie verbrannten meine Bücher, meine Kleidung, meine offiziellen Dokumente. Aber dabei verbrannten nicht nur Dinge. Sie verbrannten meine Identität», schildert die junge Melak Madhi, genannt Milo.
Was surreal klingen mag, stellt für Milo, die ihre Haare als irakische Frau aussergewöhnlich kurz trägt, die Realität dar. Doch lässt sie sich nicht von ihrer konservativen Familie einschüchtern und beweist in ihrem Kampf für mehr Freiheit unglaublichen Mut und inspirierende Willensstärke.
«Immortals» begleitet Milo in nachinszenierten Szenen durch die Herausforderungen ihres Alltags und ist auch dabei, als sie eine der schwersten Entscheidungen ihres Lebens treffen muss. Kühn heisst es von ihr: «Ich mag vor vielen Dingen Angst haben, aber … vor der Freiheit niemals.»
Ganz anders zeigt sich die Geschichte des zweiten Protagonisten Mohammed Al Khalili. Al Khalili hatte 2019 seine Bestimmung als Kameramann entdeckt und riskierte fortan im Zuge dieser Leidenschaft – mit GoPro und Handkamera ausgestattet – im Zentrum der «Oktoberrevolution» sein Leben.
Das daraus entstandene Filmmaterial hat Khalili in einem Zeichen grossen Vertrauens in die Obhut der ebenfalls als Aktivistin tätigen Regisseurin übergeben.
Bagdad von einer anderen Seite
Von den einschneidenden Lebensgeschichten der beiden Hauptfiguren abgesehen, schafft es Maja Tschumi mit ihrer irakischen Filmcrew eine ganz besondere Atmosphäre von Bagdad einzufangen, wie sie vermutlich kaum jemand in den Reihen des Filmsaals gesehen hat.
Von Filmemachern wie Abbas Kiarostami inspiriert, bedient sie sich am Werkzeug der Fiktionalisierung, um das ansonsten Unsichtbare sichtbar zu machen.
Die hybride Erzählform mit nachgespielten Szenen wählt Tschumi auch, um das Sicherheitsrisiko für alle an der Filmproduktion Beteiligten – in einer Umgebung voller realer Gewalt – zu mindern. So gleicht sich der Dokumentarfilm teilweise dem Genre des Spielfilms an.
Nun feierte «Immortals» seine Schweizer Premiere an den 60. Solothurner Filmtagen und hat den «Prix de Soleure» gewonnen. Ein Preis, der für filmische Werke reserviert ist, die sowohl gestalterisch als auch mit gesellschaftskritischen Inhalten überzeugen.
«Immortals» berührt, öffnet einem die Augen und geht mit dem unverfälschten irakischen Arabisch der Schlüsselfiguren unter die Haut. Unabhängig davon, wie viel sich die Zuschauenden bereits im Vorfeld mit dem «arabischen Frühling» oder der irakischen «Oktoberrevolution» auseinandergesetzt haben, Milo und Khalili hinterlassen einen bleibenden Eindruck.