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20 Jahre nach US-Invasion Gewalt, Zerstörung, Klimawandel: Der Irak bleibt ein Pulverfass

UNO-Chef António Guterres besucht den Irak. Um das zerrüttete Land ist es still geworden. Doch die Probleme sind immens.

UNO-Generalsekretär António Guterres ist derzeit im Irak – zum ersten Mal seit sechs Jahren. Bei seiner Ankunft in Bagdad sprach er von einem «Besuch der Solidarität mit den Menschen und den demokratischen Institutionen des Irak».

In diesem Monat jährt sich die US-geführte Invasion des Iraks zum 20. Mal. Innerhalb weniger Wochen wurde damals Diktator Saddam Hussein gestürzt. Es war das Ende einer jahrzehntelangen Schreckensherrschaft – und der Anfang des nächsten Martyriums für die irakische Bevölkerung. Der Irak versank im Chaos, Hunderttausende Menschen sollten sterben.

Der dritte Golfkrieg unter George W. Bush

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US-Soldaten marschieren im März 2003 von Kuwait aus in den Irak ein.
Legende: US-Soldaten marschieren im März 2003 von Kuwait aus in den Irak ein. Keystone/AP/James Matise

Am 17. März 2003 stellte der damalige US-Präsident George W. Bush Saddam Hussein ein Ultimatum, den Irak innerhalb von 48 Stunden zu verlassen, andernfalls würde man den Irak angreifen. Auf Husseins Weigerung hin eröffnete die Kriegskoalition in der Nacht vom 19. zum 20. März den als Operation «Iraqi Freedom» bezeichneten Krieg mit gezielten Bombardements in Bagdad. 

Als Begründung für die Invasion nannten die kriegführenden Regierungen der USA und Grossbritanniens eine akute Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen des Irak und dessen angebliche Verbindung zum Terrornetzwerk Al-Kaida, das die Angriffe vom 11. September 2001 ausgeführt hatte.

Der Kriegsgrund stellte sich später grösstenteils als Lüge heraus. Der ehemalige, inzwischen verstorbene US-Aussenminister Colin Powell gab 2011 zu, dass die Geheimdienstinformationen, mit welchen die USA ihren Angriffskrieg auf den Irak begründeten, «auf einer einzigen, unzuverlässigen Quelle basierten». Über eine Million Irakerinnen und Iraker wurden im Irakkrieg und den Kriegen der Folgejahre getötet.

Sektiererische Gewalt überzog das Land, die «Koalition der Willigen» verstrickte sich in einem Krieg, in dem es nur Verlierer gab, und ein Ableger der Terrororganisation Al-Kaida installierte sich im Irak. Aus ihm sollte später der IS hervorgehen.

Der Irak ist gezeichnet von den Folgen des amerikanischen Angriffskrieges vor zwanzig Jahren.
Autor: Susanne Brunner Auslandredaktorin

«Die Herausforderungen, mit denen der Irak konfrontiert ist, sind nicht über Nacht entstanden», sagte Guterres flankiert vom irakischen Premierminister Mohammed Shia al-Sudani. «Sie sind das Produkt jahrzehntelanger Unterdrückung, von Krieg, Terrorismus und ausländischer Einmischung.»

Doch wie ist die Situation heute? «Der Irak ist gezeichnet von den Folgen des amerikanischen Angriffskrieges vor zwanzig Jahren», sagt Susanne Brunner. Sie hat das Land während ihrer Zeit als Nahostkorrespondentin von SRF mehrfach bereist.

Gewaltige Herausforderungen

Guterres betonte in Bagdad, dass sich die Situation im Vergleich zu früheren Jahren verbessert habe. «Besser ist aber noch lange nicht gut», relativiert Brunner. «Das Land hat gewaltige Probleme.»

Nach wie vor gibt es Hunderttausende Vertriebene im eigenen Land, Klimawandel, Korruption und Nahrungsmittelunsicherheit machen dem Irak zu schaffen. Genauso wie der starke Einfluss seines Nachbarlandes Iran.

Zuletzt war Brunner im Spätsommer 2022 im Irak. «In Bagdad sah es damals auf den ersten Blick besser aus als in Beirut», berichtet die heutige Auslandredaktorin von SRF. «Es gab den halben Tag Strom, Menschen sassen in Cafés und das an Strassen, wo es vor ein paar Jahren noch fast täglich Anschläge gab.»

Doch der friedliche Schein trog. «Es brodelte im Land», erinnert sich Brunner. In Bagdad tobte ein Machtkampf zwischen iran-treuen Kräften und Anhängern des irakischen Nationalisten Muktada al-Sadr. In anderen Landesteilen terrorisierte der wieder erstarkte IS die Menschen.

Die Regierung kann die Sicherheit im Land nicht garantieren – und ohne diese gibt es keine Entwicklung.
Autor: Susanne Brunner Auslandredaktorin

Nach jahrelangem politischem Patt hat der Irak seit letztem Oktober eine neue Regierung. Bei seiner Ankunft lobte Guterres deren «ambitionierte Reformagenda» und versprach die Unterstützung der UNO.

Der Irak bestimmt sein Schicksal nicht selbst

Die Regierung unterhält enge Beziehungen zur regionalen schiitischen Grossmacht Iran. Nicht mehr vertreten sind aber die eigentlichen Gewinner der Wahlen vom vergangenen Mai: die Anhängerschaft von Muktada al-Sadr.

Politisches Comeback von al-Sadr?

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Kleriker al-Sadr predigt vor Anhängern, November 2022 in Nadschaf.
Legende: Kleriker al-Sadr predigt vor Anhängern, November 2022 in Nadschaf. Reuters/Alaa al-Marjani

Im letzten Sommer war der Irak am Rande des Bürgerkriegs. Wochenlang belagerte al-Sadrs Anhängerschaft das Parlament im hochgesicherten Regierungsviertel Bagdads und forderte eine Revolution. 

Der Geistliche und Milizenführer Muktada al-Sadr sei eine umstrittene Figur, sagt Brunner. «Er hat aber vielen Menschen aus der Seele gesprochen, als er versprach, gegen die Korruption und die iran-treuen, bewaffneten Gruppierungen vorzugehen.»

Als es im August letzten Jahres zu gewalttätigen Zusammenstössen mit Dutzenden Toten kam, zog sich al-Sadr plötzlich aus der Politik zurück. «Nun gibt es aber Anzeichen für ein politisches Comeback al-Sadrs. Die Regierung ist also alles andere als stabil.»

Bis heute sei der Irak nicht wirklich ein souveräner Staat, schliesst die Nahost-Expertin: «Regionale Mächte mischen mit, plündern die Ressourcen des Landes und heizen interne Konflikte an.»

Brunners trauriges Fazit: Der Irak hätte eigentlich alles. Rohstoffe, landwirtschaftliche Produkte, eine teilweise sehr gut ausgebildete Jugend. «Aber die Regierung kann die Sicherheit im Land nicht garantieren – und ohne diese gibt es keine Entwicklung.» Immerhin sei der Besuch des UNO-Chefs ein Zeichen, dass die Welt den Irak nicht ganz vergessen habe.

SRF 4 News, 02.03.2023, 8:10 Uhr ; 

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