Zum Inhalt springen

78. Filmfestspiele Cannes «Nouvelle Vague»: Zauberhafte Hommage an den schnoddrigen Godard

«A bout de souffle» von Jean-Luc Godard veränderte 1960 das Kino. Richard Linklaters Spielfilm im Wettbewerb von Cannes über die Dreharbeiten dazu ist eine leichtfüssige, liebevolle Hommage an die Nouvelle Vague und das französische Kino.

Es ist verblüffend, wie unheimlich ähnlich der weitgehend unbekannte französische Schauspieler Guillaume Marbeck dem echten Jean-Luc Godard ist. Dabei hilft natürlich auch, dass er seine dunkle Sonnenbrille nie absetzt.

Auch alle anderen Beteiligten sind mit Sorgfalt gecastet und so in Szene gesetzt, dass die Illusion fast perfekt ist: etwa Zoey Deutch als Jean Seberg und Aubry Dullin als Jean-Paul Belmondo. 

Wie «A bout de souffle»

Richard Linklater ist einer der europäischsten Filmemacher der USA: Er hat die «Before»-Trilogie mit Julie Delpy und Ethan Hawke gedreht und den Langzeit-Spielfilm «Boyhood».

«Nouvelle Vague» hat er nun ganz in französischer Sprache gedreht und in Form (das fast quadratische Academy-Format) und Farbe (schwarzweiss natürlich) dem Vorbild anpasst. Obwohl das für uns heute eher ungewohnte Stilmittel sind, helfen sie paradoxerweise dabei, direkt in den Film und seine Welt einzutauchen. 

Um das ganze Personal der Nouvelle Vague und der Pariser Kinowelt einzuführen, schreibt Linklater die Personen kurzerhand an wie im Dokumentarfilm – das ist hilfreich, auch wenn man die Namen derjenigen, die heute nicht mehr so bekannt sind, bald wieder vergessen hat.

«Nouvelle Vague» beginnt nicht mit «A bout de souffle», sondern mit «Les 400 coups» von François Truffaut, den sich die jungen Filmkritiker der «cahiers du cinéma» Éric Rohmer, Jacques Rivette und Jean-Luc Godard zusammen ansehen. An der anschliessenden Party analysieren sie den Film und Godard verkündet, er wolle nun Filme auch drehen, statt sie nur zu besprechen.

Mit einem Schuss Respektlosigkeit

Godard kann den Produzenten Georges de Beauregard für sein Projekt gewinnen und schafft es, neben seinem Freund, dem noch unbekannten Jean-Paul Belmondo, die damals schon berühmte US-Amerikanerin Jean Seberg zu engagieren.

Schwarzweissfoto eines Mannes mit Zigarette zusammen mit einer Frau.
Legende: Jean-Paul Belmondo und Jean Seberg in «A bout de souffle». Der Film wurde zum Sinnbild der Nouvelle Vague: spontan und voller Brüche. IMAGO / Capital Pictures

Dann beginnen die Dreharbeiten – gefilmt wird nur mit natürlichem Licht, an Originalschauplätzen: Godard ist meistens nicht wirklich vorbereitet, hat keine Dialoge geschrieben und manchmal ist nach zwei Stunden schon wieder Drehschluss. Belmondo hat Spass, Seberg ist zunehmend genervt.

Hommage an die Nouvelle Vague

Linklaters «Nouvelle Vague» ist eine Liebeserklärung an Godards «A bout de souffle» und an die Nouvelle Vague. Was diese Liebeserklärung so leichtfüssig und zauberhaft macht, ist ein guter Schuss Respektlosigkeit gegenüber diesen Figuren der Filmgeschichte, über die allzu oft sehr ehrfürchtig referiert wird. Genau das wollten Godard und seine Mitstreiter ja überwinden mit ihrem neuen Kino, das auch unperfekt sein durfte.

Eine Kaffeetasse steht plötzlich da, wo vorher keine war? Egal! Szenen nachdrehen? Nicht nötig, wenn sie einigermassen ok waren. Belmondo und Seberg haben keinen Text? Macht nichts, wird sowieso nachsynchronisiert.

Dieser schnoddrige Godard mit seinem trockenen Humor und alle Figuren in Linklaters Film wachsen einem direkt ans Herz – die Hommage ist gelungen, unterläuft allzu viel Kinonostalgie immer wieder mit genügend Frische und Frechheit. Und nach dem Film möchte man direkt «A bout de souffle» sehen – und weiter ins Kino der Nouvelle Vague eintauchen.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 15.5.2025, 7:06 Uhr

Meistgelesene Artikel