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78. Filmfestspiele von Cannes Mit «Fucks» und viel Herz: Zwei Hollywoodstars mischen Cannes auf

Sie überzeugen auch hinter der Kamera: Scarlett Johansson und Kristen Stewart zeigen in Cannes ihre Regiedebüts – zwei starke Geschichten von starken Frauen.

«Jetzt lasst uns das Pflaster abreissen und den fucking Film schauen.» Das sagte Kristen Stewart («Twilight-Saga», «Personal Shopper») vor der Premiere ihres Regiedebüts «Chronology of Water» in Cannes. Eine Rede gespickt mit «Fucks» – ein Zeichen der Dringlichkeit, mit der sie ihren Erstling vorangetrieben hatte. Acht Jahre lang.

Ergreifende Verfilmung traumatischer Memoiren

«Chronology of Water» ist die Verfilmung der gleichnamigen turbulenten Autobiografie der US-amerikanischen Autorin Lidia Yuknavitch.

Person im Badeanzug im Wasser bei Sonnenuntergang.
Legende: Schönheit, Begehren und das Gefühl des Schwimmens: «Im Wasser, wie in Büchern, kann man sein Leben hinter sich lassen», heisst es von Imogen Poot als Lidia Yuknavitch in «Chronology of Water». Festival de Cannes

Kristen Stewart war fasziniert von deren schmerzvollen Memoiren: Darin schreibt sich Yuknavitch ihre Traumata, den sexuellen Missbrauch durch ihren Vater, ihre Drogenexzesse und ihren Aufstieg und Fall als Spitzenschwimmerin vom Leib. Sie erforscht ihre bisexuelle Identität und findet schliesslich ihre Stimme und Heimat in der Literatur.

Frausein ist eine Gewalterfahrung

Warum hat sich Kristen Stewart gerade diese Story voller Gewalt für ihren Erstling ausgewählt? «Weil eine Frau zu sein eine wirkliche Gewalterfahrung ist», sagt die Regisseurin im Interview in Cannes auf ihre typisch eindringlich grantige Art: «Auch wenn du nicht die extreme Erfahrung gemacht hast, die wir im Film zeigen oder die, welche Lidia ertragen musste. Ich glaube, dieser Film spricht alle an, die offen sind und bluten.» Und das seien 50 Prozent der Bevölkerung.

Frau mit langer Haaren vor Holzwand.
Legende: 2011 veröffentlichte Lidia Yuknavitch ihre Memoiren «The Chronology of Water» – und behandelt vor allem ihre Entwicklung eines Selbstbewusstseins als bisexuelle Frau. Auf Deutsch erschien das Buch unter dem Titel «In Wasser geschrieben». Getty Images/David Levenson

Der Film ist ein schonungsloses Frauenporträt geworden: roh, fragmentarisch, emotional, sinnlich und radikal nah am Körper der Protagonistin dran. Ein Werk nicht für alle, aber man spürt, dass dieser Film nach acht Jahren Arbeit aus Kristen Stewart heraus und auf die Leinwand musste.

Konventionell, aber herzzerreissend

Ebenfalls ein Herzensprojekt ist das Regiedebüt «Eleanor the Great» von Scarlett Johansson («Lost in Translation», «Black Widow»). Die bestbezahlte Schauspielerin Hollywoods setzt darin ganz auf die 95-jährige Darstellerin June Squibb.

Ältere Frau vor einem Riesenrad bei Tageslicht.
Legende: Neuanfang in New York City: June Squibb als «Eleanor the Great» versucht, ihr Leben wieder aufzubauen. Mit 90 neue Freunde zu finden, erweist sich jedoch als schwierig. Anne Joyce/Sony Pictures Classics

Die Schauspiellegende glänzt in der Rolle der Eleanor Morgenstein, die nach dem Tod ihrer besten Freundin von daheim nach New York zieht – zu ihrer Tochter und ihrem Enkel. Eine Wendung des Schicksals führt sie dazu, eine Selbsthilfegruppe zu besuchen. Dort erregt ihre Geschichte die Aufmerksamkeit einer jungen Journalismus-Studentin. Mit ihrer fortschreitenden Beziehung muss sie sich harten Wahrheiten ihres Lebens stellen.

Mehr als ein Feel-Good-Movie

Es gibt dank hinreissender Darstellerinnen viel zu lachen in Scarlett Johanssons Regie-Erstling. Aber es geht in der Geschichte auch um ernsthafte Themen wie Trauer, Freundschaft, jüdische Identität, Vergebung und Selbstfindung.

Zwei Frauen lächeln vor einer Menschenmenge.
Legende: Scarlett Johansson und June Squibb bringen emotionalen Stoff nach Cannes: Mit «Eleanor the Great» gelingt ein Werk, das zum Lachen und zum Weinen ist. Reuters/Stephane Mahe

«Ich habe mich richtiggehend nackt gefühlt, bevor ich meinen Film hier zeigen durfte, es war so ein intimer Produktionsprozess», sagt Scarlett Johansson gleich nach der Premiere in Cannes. Doch ein lange anhaltender, warmer Applaus bewies ihr, dass sie die Menschen mit ihrem Debüt bewegen konnte.

Kristen Stewart und Scarlett Johansson: Beide erzählen starke Geschichten von starken Frauen – die eine mit einer eigenwilligen, poetischen Filmsprache, die andere konventionell. Beide Werke aber berühren und machen Lust auf mehr.

Regisseurinnen in Cannes

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Der Frauenanteil bei der Regie sieht in diesem Jahr besser aus als bisher. Von 22 Filmen im Wettbewerb sind sieben von Frauen, also knapp ein Drittel. Das ist immer noch wenig, aber für Cannes eine rekordhohe Zahl.

Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 21.05.2025, 09:03 Uhr

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