«Jetzt lasst uns das Pflaster abreissen und den fucking Film schauen.» Das sagte Kristen Stewart («Twilight-Saga», «Personal Shopper») vor der Premiere ihres Regiedebüts «Chronology of Water» in Cannes. Eine Rede gespickt mit «Fucks» – ein Zeichen der Dringlichkeit, mit der sie ihren Erstling vorangetrieben hatte. Acht Jahre lang.
Ergreifende Verfilmung traumatischer Memoiren
«Chronology of Water» ist die Verfilmung der gleichnamigen turbulenten Autobiografie der US-amerikanischen Autorin Lidia Yuknavitch.
Kristen Stewart war fasziniert von deren schmerzvollen Memoiren: Darin schreibt sich Yuknavitch ihre Traumata, den sexuellen Missbrauch durch ihren Vater, ihre Drogenexzesse und ihren Aufstieg und Fall als Spitzenschwimmerin vom Leib. Sie erforscht ihre bisexuelle Identität und findet schliesslich ihre Stimme und Heimat in der Literatur.
Frausein ist eine Gewalterfahrung
Warum hat sich Kristen Stewart gerade diese Story voller Gewalt für ihren Erstling ausgewählt? «Weil eine Frau zu sein eine wirkliche Gewalterfahrung ist», sagt die Regisseurin im Interview in Cannes auf ihre typisch eindringlich grantige Art: «Auch wenn du nicht die extreme Erfahrung gemacht hast, die wir im Film zeigen oder die, welche Lidia ertragen musste. Ich glaube, dieser Film spricht alle an, die offen sind und bluten.» Und das seien 50 Prozent der Bevölkerung.
Der Film ist ein schonungsloses Frauenporträt geworden: roh, fragmentarisch, emotional, sinnlich und radikal nah am Körper der Protagonistin dran. Ein Werk nicht für alle, aber man spürt, dass dieser Film nach acht Jahren Arbeit aus Kristen Stewart heraus und auf die Leinwand musste.
Konventionell, aber herzzerreissend
Ebenfalls ein Herzensprojekt ist das Regiedebüt «Eleanor the Great» von Scarlett Johansson («Lost in Translation», «Black Widow»). Die bestbezahlte Schauspielerin Hollywoods setzt darin ganz auf die 95-jährige Darstellerin June Squibb.
Die Schauspiellegende glänzt in der Rolle der Eleanor Morgenstein, die nach dem Tod ihrer besten Freundin von daheim nach New York zieht – zu ihrer Tochter und ihrem Enkel. Eine Wendung des Schicksals führt sie dazu, eine Selbsthilfegruppe zu besuchen. Dort erregt ihre Geschichte die Aufmerksamkeit einer jungen Journalismus-Studentin. Mit ihrer fortschreitenden Beziehung muss sie sich harten Wahrheiten ihres Lebens stellen.
Mehr als ein Feel-Good-Movie
Es gibt dank hinreissender Darstellerinnen viel zu lachen in Scarlett Johanssons Regie-Erstling. Aber es geht in der Geschichte auch um ernsthafte Themen wie Trauer, Freundschaft, jüdische Identität, Vergebung und Selbstfindung.
«Ich habe mich richtiggehend nackt gefühlt, bevor ich meinen Film hier zeigen durfte, es war so ein intimer Produktionsprozess», sagt Scarlett Johansson gleich nach der Premiere in Cannes. Doch ein lange anhaltender, warmer Applaus bewies ihr, dass sie die Menschen mit ihrem Debüt bewegen konnte.
Kristen Stewart und Scarlett Johansson: Beide erzählen starke Geschichten von starken Frauen – die eine mit einer eigenwilligen, poetischen Filmsprache, die andere konventionell. Beide Werke aber berühren und machen Lust auf mehr.