Heute wird Woody Allen 90. Oder vielleicht wurde er es schon gestern. In seiner Autobiographie schreibt er: «Eigentlich wurde ich am 30. November kurz vor Mitternacht geboren. Meine Eltern haben das Datum geschoben, damit ich am ersten Tag anfangen konnte. Das hat mir im Leben null Vorteile gebracht.»
Die scheinbar unnütze Datumsverschiebung hat Woody Allen aber durchaus geholfen: Sie hat schon ab der ersten Minute seines Lebens den Ton gesetzt, hat die Lächerlichkeit, Irrationalität und Vergeblichkeit menschlichen Strebens aufgezeigt, und ihm die Grundlage für einen Witz geschenkt.
Das Hadern mit den Frauen
Nichts weniger als diese Vergeblichkeit unseres Mühens ergründet Allen in seinem Werk. Der Motor allen menschlichen Handels sind dabei Lust und Liebe, die in seltenen Fällen in die gleiche Richtung ziehen, den Menschen aber meist auf gänzlich gegensätzliche Wege locken.
Fast immer geht es bei Woody Allen um einen Mann. Einen unglücklichen Mann, der mit sich, der Welt, vor allem aber mit den Frauen hadert. Er begehrt immer die Frau, die er nicht haben kann. Und wenn er sie doch bekommt, will er sie sofort nicht mehr. Meist ist dieser Mann selbstgerecht, unbeirrbar und furchtbar lächerlich.
50 Wege, das gleiche zu erzählen
Die Blaupause dieser Figur ist der Stadtneurotiker, der sich in die titelgebende «Annie Hall» verliebt. Der Film von 1977 enthält fast alles, was Allen als Regisseur, Drehbuchautor und Schauspieler auszeichnet.
Mit seinen Beziehungskomödien feierte Woody Allen Jahrzehnte lang grosse Erfolge. Er hat ganz unterschiedliche Filme gedreht, doch das Thema ist immer das gleiche: Liebe und Sex, das Zusammenkommen und Auseinandergehen von Mann und Frau. In 50 Filmen hat Woody Allen Wege gefunden, diese Geschichte immer wieder neu zu erzählen.
Ein später Karriereknick
Auch Woody Allen selbst hat turbulente Beziehungen erlebt, die in den Medien aufmerksam verfolgt wurden. Anfang der 1990er-Jahre wurde bekannt, dass Allen ein Verhältnis mit der 21-Jährigen Adoptivtochter seiner damaligen Partnerin, der Schauspielerin Mia Farrow hat. Kurz darauf wurde ihm vorgeworfen, seine eigene Adoptivtochter Dylan Farrow missbraucht zu haben.
Seiner Karriere hatten die Vorwürfe lange Zeit kaum geschadet. Allen war weiter produktiv, veröffentlichte jedes Jahr einen oder zwei neue Filme von unterschiedlicher Qualität. Es galt die Faustregel: Auf einen guten Film kam ein mittelmässiger.
2013 bekräftigte Dylan Farrow erstmals öffentlich die Anschuldigungen. Nach und nach wurde Woody Allen in Hollywood gemieden. Zuletzt dreht er nur noch selten, 2023 erschien sein bislang letzter Film, der französischsprachige «Coup de Chance». Die Finanzierung seiner Projekte ist inzwischen schwierig geworden, nächstes Jahr soll in Madrid aber nochmals ein neuer Film entstehen.
Ein Debut zum Neunzigsten
So richtig wartet kaum noch jemand auf einen neuen Film von Woody Allen – zu lange schon scheint beim 90-Jährigen die Luft raus. Es fehlt die erzählerische Innovation, mit der Allen einst seinen bekannten Stoff neu zu erzählen wusste.
Wer nochmals Allens unbestrittene Qualitäten als Erzähler und Humorist erleben möchte, dem sei Allens Debütroman «What’s with Baum?» empfohlen. Mit dem Buch landet er wieder dort, wo er vor knapp 50 Jahren mit «Annie Hall» anfing: beim neurotischen Mann, der mit sich und den Frauen hadert. Und bei einer grossen Lust am Erzählen.