Das Spiel «Herdling» folgt selbstbewusst dem Stil, den das Entwickler-Studio Okomotive aus Zürich bereits mit der «Far»-Serie («Far: Lone Sails» und «Far: Changing Tides») etabliert hat.
Auch das neue Spiel kommt ohne Worte und fast ohne Interface-Elemente aus: Wir reisen durch menschenleere, mythisch wilde Natur – und ein melancholischer Soundtrack erzeugt im richtigen Moment die richtige Emotion. Mit diesem Muster gewann Okomotive nicht nur als bisher einziges Studio zweimal den Swiss Game Award, sondern erhielt auch internationale Preise und hatte kommerziell Erfolg.
Doch auf diesen Lorbeeren ruht man sich mit «Herdling» nicht aus. Das dritte Spiel aus der Feder des Zürcher Studios bringt wesentliche neue Elemente ins Spiel.
Naturmystik statt Postapokalypse
Zunächst die Viecher, die wir heil über schmale Bergwege leiten sollen, vorbei an Gletscherspalten und territorialen Eulen. Wir lenken sie per Hirtenstab, wir füttern und pflegen sie. Zunächst eines, dann sammeln wir weitere auf dem Weg auf.
Wann immer wir eines in die wachsende Herde aufnehmen, geben wir ihm einen Namen – und sofort wird unser Beschützerinstinkt aktiviert – und die Calicorns wachsen uns, eins ums andere, ans Herz.
Visuell bleibt «Herdling» dem gemalten Stil von Okomotive-Gründer Don Schmocker treu. Doch die karge, kalte, post-apokalyptische Einöde der «Far»-Games ist verwucherten Laubwäldern, sanften Grashügeln und wilden Bergpfaden gewichen. Statt an verwitterter Industrie wandern wir an mystischen Felsmalereien und aus Zweigen geflochtenen Hexenfigürchen vorbei – und haben Zeit, uns auszumalen, wer die zu welchem Zweck hinterlassen hat.
Das Spiel ist kurz: Man hat es in weniger als vier Stunden durchgespielt. Und es entspannt: leichte Rätsel sind weniger Herausforderung, sondern strukturieren vielmehr die Geschichte. Damit eignet sich «Herdling» insbesondere auch für Personen mit wenig Zeit oder Game-Erfahrung.
Die Bewegung ist das Ziel
Und es ist ein perfekter «Walking Simulator». Denn im Gegensatz zu den meisten Games, die mit diesem despektierlich gemeinten Begriff beschrieben werden, spazieren wir hier nicht von Schautafel zu Schautafel und bekommen eine im Wesentlichen lineare Geschichte auf eine pseudo-interaktive Art erzählt.
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Bild 1 von 4. Die gewaltigen aber liebevollen Calicorns wachsen uns als User schnell ans Herz. Bildquelle: Okomotive.
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Bild 2 von 4. Die Herde muss auch mal durch einen Bachlauf oder eine Winterlandschaft gelenkt werden. Bildquelle: Okomotive.
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Bild 3 von 4. Wer hat dieses Kunstwerk gebaut? Wir wissen es nicht – und führen unsere Calicorns schnurstracks daran vorbei. Bildquelle: Okomotive/Screenshot SRF.
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Bild 4 von 4. Je höher die Berggipfel, desto beschwerlicher wird der eigentlich gemütliche Alpaufzug. Bildquelle: Okomotive.
Es ist vielmehr das «Walking» selber, das im Zentrum steht. Auch wenn der Schluss ein perfekt inszenierter Moment der freudigen Erleichterung ist – der Weg dahin macht das Game aus. Denn die Vorwärts-Bewegung selber ist in «Herdling» (wie auch schon in den beiden «Far») im Zentrum.
Es ist zwar nicht anspruchsvoll, unsere Wollkühe auf dem Pfad zu halten – aber es erfordert dennoch unsere Aufmerksamkeit. Und es ist befriedigend, wenn sie nicht nur in die richtige Richtung rennen, sondern das auch noch mit besonders viel Schwung und dem Wind im Rücken.
Wir haben also gerade genug zu tun, um uns nicht als passiver Passagier vorzukommen. Und umgekehrt den Kopf frei, um die Landschaft und den wunderschönen Soundtrack von Joel Schoch zu geniessen und über die eingestreute Folk-Mystik nachzudenken. «Herdling» ist selbstbewusst und selbstsicher – und absolut empfehlenswert.
«Herdling» ist für PC und Konsolen erhältlich, es ist freigegeben ab 12 Jahren.