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Buch von William T. Vollmann Klimawandel: Ein Untergang, den niemand verhindern wollte

William T. Vollmann protokolliert in «Ideologien des Brennstoffzeitalters» die Selbstzerstörung der Welt durch unseren fossilen Lebensstil. Das vielleicht schonungsloseste Buch zum Klimawandel.

William T. Vollmann zählt zu den eigenwilligsten Schriftstellern der Gegenwart. Er ignoriert Genregrenzen, Formvorgaben und Lesererwartungen – seine Bücher sind zugleich Recherche, Protokoll und Selbstbefragung. Mit «Ideologien des Brennstoffzeitalters» liegt nun die deutsche Ausgabe seines 2018 erschienenen Doppelwerks «Carbon Ideologies» vor. Drei Bände mit insgesamt über 1300 Seiten – ein kompromissloses Protokoll über Kohle, Gas, Atomkraft und Öl, vielleicht das schonungsloseste Buch zur Klimakrise.

Buchhinweise

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  • William T. Vollmann: «Ideologien des Brennstoffzeitalters» 3 Bände. Aus dem amerikanischen Englisch von Georg Bauer, Noël Reumkens und Robin Detje. Freunde & Friends, 2025.
    Band 1: «Wir Idioten»
    Band 2: «Keine unmittelbare Gefahr»
    Band 3: «Keine gute Alternative»
  • William T. Vollmann: «Ideologien des Brennstoffzeitalters: Die Fotos». Freunde & Friends, 2024.

Kohle, Gas, Öl – und keine gute Alternative

Vollmanns Werk ist kein klassisches Sachbuch. Es beginnt mit Tabellen, Formeln und Emissionsdaten, führt durch Sperrzonen, Bohrtürme und zerstörte Landschaften und endet in Gesprächen mit Bergarbeitern, Aktivistinnen, Anwohnern und Funktionärinnen. Er reist nach Fukushima, West Virginia, Bangladesch, misst Radioaktivität, führt Interviews, macht Fotos – und hält jedes Detail fest.

Doch Vollmann befragt nicht nur die Welt, sondern auch sich selbst: als Konsument, Mitverursacher, Beobachter. Lösungen bietet er nicht: «Nichts kann sie mehr retten, und daher muss auch nichts mehr unternommen werden. Deshalb kommt dieses Buch ohne jegliche Lösungsvorschläge aus. Es gab keine, wir hatten keine.»

Ein Archiv der Selbstzerstörung

Vollmann richtet sein Werk an eine Leserin der Zukunft – lebend in Höhlen, von Insekten ernährt, umgeben von toxischer Luft. Er nennt sie seinen «feindseligen Leser», der die Vorfahren verachtet, «die die Welt genossen, die wir besassen, und die Welt verdienten, die wir euch hinterlassen haben».

Mann steht in einem Säulengang und lehnt an einem weissen Pfeiler.
Legende: William T. Vollmann dokumentiert, was wir längst wissen – und trotzdem ignorieren. Der fossile Lifestyle kostet langfristig Leben. Der Autor ist ein Chronist dieses Untergangs. Imago/opale.photo

Es ist keine Pose, sondern bitterer Ernst. «Carbon Ideologies» ist ein Archiv der fossilen Moderne – voller Daten, aber ebenso voller Verzweiflung über deren Wirkungslosigkeit. Der Stil: detailversessen, sperrig – und doch immer wieder von Klarheit durchschlagen.

Ein Chronist, kein Prophet

Vollmann verzichtet auf Pathos und den Appell, sondern hält fest, wie tief fossile Infrastrukturen in Lebenswelten eingewoben sind. Der Ausstieg erscheint nicht als Befreiung, sondern als Tragödie ohne Helden: ein Untergang, den niemand verhindern wollte.

«In den Vereinigten Staaten war das häufigste durch menschliche Aktivitäten verursachte Treibhausgas das CO₂, das etwa 80.9 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen ausmachte. Die grösste Quelle war die Verbrennung fossiler Brennstoffe.»

Ein Buch, das nicht erlöst – aber aufklärt

«Ideologien des Brennstoffzeitalters» ist kein Klimabuch mit Hoffnungsschimmer. Es ist ein Bericht aus einer Gegenwart, die nicht mehr leugnen kann, was sie längst weiss. Für Leser, die Antworten suchen, ist dieses Werk eine Enttäuschung, wenn nicht eine Zumutung.

Für alle, die genau verstehen wollen, wie tief unsere Gesellschaft in die fossile Logik verstrickt ist, bietet es eine detailreiche Rückschau, die einen schwindelig werden lässt. Vollmann schreibt kein Manifest, sondern ein moralisches Protokoll. Kein Trost, kein Ausweg – aber ein erschütterndes Dokument für jene, die irgendwann zurückblicken werden.

Radio SRF2 Kultur, Kultur-Aktualität, 20.11.2025, 17:20 Uhr.

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