August 2021. Die Bilder sind haften geblieben. Chaos am Flughafen von Kabul. Verzweifelt versuchen Menschen, Zugang zum Gelände zu bekommen, während die stärkste Armee der Welt ihre Soldaten abzieht.
Der Rückzug der US-Streitkräfte und ihrer Verbündeten war angekündigt, das Ergebnis für viele eine Katastrophe. Denn seither wird Afghanistan von einer radikalislamischen Gruppe geführt, deren Regierung nur von Russland anerkannt wird. Was das für die Menschen vor Ort heisst, zeigt der Dokumentarfilm «Leben unter den Taliban».
Im Mittelpunkt steht Hakim, ein ehemaliger Buchhändler. Wegen geschlossener Universitäten und stark gestiegener Papierpreise wurde sein einst florierender Laden zum Relikt. Nun versucht er, seine Druckmaschinen zu verkaufen.
«Wie viele Intellektuelle hat Hakim das Land inzwischen verlassen», erzählt Wietold Repetowicz, einer der beiden Filmemacher. Viele andere würden auch gerne gehen und hätten sie um Hilfe gebeten, so der polnische Co-Autor und Sicherheitsexperte weiter. «Leider haben wir diese Möglichkeit nicht, aber wir hoffen, dass ihnen Hilfe zukommt, weil unser Film ihre Geschichten erzählt.»
Ungewisse Zukunft
Nematullah will bleiben. Der ehemalige Cheftrainer der afghanischen Taekwondo-Nationalmannschaft ist überzeugt, dass es irgendwann besser wird. Taekwondo ist in Afghanistan äusserst beliebt und wurde bis 2021 auch von Frauen betrieben. Doch seit die Taliban an der Macht sind, ist Frauen Sport untersagt.
Nematullah trainiert die Frauen dennoch weiter, an wechselnden Orten und immer verbunden mit der Angst, aufzufliegen. Er ist überzeugt: «Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt, aber Kampfsport wird definitiv nützlich sein.»
Auch ehemalige Soldatinnen der afghanischen Armee erzählen ihre Geschichte. Eine von ihnen steht kurz vor der Ausreise in den Iran. Für diese Frauen sei der Machtwechsel eine Tragödie, erklärt Repetowicz, aber für die grosse Mehrheit hätte sich nicht viel verändert, da sie immer unterdrückt worden seien. Damit wolle er jedoch keineswegs sagen, die Taliban seien harmlos.
Keine Diskussion
Repetowicz, der als Korrespondent im Nahen Osten arbeitete und zwei Bücher über islamischen Fundamentalismus schrieb, sagt: «Ich hatte oft mit Muslimen zu tun, aber das sind Fanatiker, mit denen kannst du nicht über Religion diskutieren.» Weil es ihnen aber wichtig sei, positiv wahrgenommen zu werden, hatte das Team kaum Probleme zu filmen.
Einer der Protagonisten des Films ist sogar ein Talib. Sultan Baba ist überzeugt, dass nur durch das neue Regime ein gerechteres Afghanistan entstehen könne. In den 1980er-Jahren schloss er sich den Mudschaheddin an, einer radikalislamischen Gruppe, die gegen die sowjetische Invasion und Besatzung kämpfte. Nach deren Machtübernahme 1992 zerfielen die Fraktionen, bis die Taliban 1996 die Kontrolle übernahmen. Seit 2021 sind sie erneut an der Macht.
«Ich denke nicht, dass es gut wäre, wenn der Rest der Welt die Taliban als legitime Regierung anerkennen würde», sagt Repteowicz auf die Frage, wer auf wen zugehen sollte. «Die Taliban sollten zuerst ihr Weltbild, vor allem ihr Frauenbild, überdenken und sich reformieren.» Die Zeit wird zeigen, ob dies möglich ist.