Eines der wenigen Hilfswerke, die noch in Afghanistan arbeiten, ist Unicef. Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen bezeichnet Afghanistan als einen der gefährlichsten Orte für Kinder. Was das konkret bedeutet, beschreibt Bettina Junker von Unicef Schweiz. Sie hat das Land kürzlich besucht.
SRF News: Wie geht es den Kindern in Afghanistan?
Bettina Junker: Es geht ihnen nicht gut – trotz den vielen lachenden Kindern, die man in den Strassen sieht. Von 43 Millionen Afghanen sind die Hälfte Kinder. Und wiederum die Hälfte, also ungefähr zwölf Millionen, benötigen dringend humanitäre Hilfe. Dreieinhalb Millionen Kinder unter fünf Jahren leiden akut an Mangelernährung.
Vielen Kindern geht es nicht gut, weil sie überhaupt keine Perspektive haben.
Die Kindersterblichkeit ist eine der höchsten weltweit. Das ist das, was man sieht. Was man nicht sieht, ist, dass es vielen Kindern nicht gut geht, weil sie überhaupt keine Perspektive haben. Vor allem die Mädchen nicht. Sie dürfen nur bis zum Alter von zwölf Jahren in die Schule. Alle weiterführende Bildung und Berufsbildung ist ihnen verwehrt. Sie haben keine Möglichkeit, sich zu entwickeln, etwas zu lernen.
Wie steht es denn generell um die Schulbildung?
Mädchen dürfen nur bis zur sechsten Klasse in die Schule. Grundsätzlich ist aber sowieso nur die Hälfte aller Kinder im Grundschulalter eingeschult. Afghanistan ist ein Land mit 10’000 Tälern und extrem ländlich. Vielerorts bleibt den Kindern einfach keine Zeit, um zur Schule zu gehen. Aktuell sind 2.2 Millionen Mädchen über zwölf Jahren von jeglicher Bildung ausgeschlossen.
Die Armut wird so an die nächste Generation weitergegeben.
Viele von ihnen werden früh, im Alter von 14 oder 15 Jahren, verheiratet. Und so werden sie auch die Armut an die nächste Generation weitergeben. Der Verlust von Zukunftsperspektiven hat einen sehr starken negativen Impact auf die psychische Befindlichkeit dieser jungen Frauen. Afghanistan geht auf eine Zukunft zu, in der die Hälfte der Bevölkerung ungebildet sein wird und die sich nicht an der ökonomischen Entwicklung des Landes wird beteiligen werden können.
Was kann da Unicef tun, um die Situation der Kinder zu verbessern?
In der Tat sind die Bedingungen sehr schwierig. Afghanistan ist auch eines der Länder, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sind. Es gibt Überschwemmungen und andere Naturkatastrophen. Das macht die Menschen nochmals ärmer und bedürftiger. Wirtschaftlich ist die Lage desolat, es gibt keine Investitionen aus dem Ausland, keine Entwicklung. Auch ist es wegen der vielen sehr entlegenen Regionen schwierig die Menschen überhaupt zu erreichen.
Wir haben drei Millionen Mädchen auf der Sekundarstufe erreicht. Das ist nicht nichts.
Aber Unicef ist seit 75 Jahren in Afghanistan, und wir sind im laufenden Dialog mit den Taliban, damit wir Zugang zu den Menschen haben, die Hilfe benötigen. Das bedeutet aber nicht, dass wir das De facto Regime der Taliban anerkennen. Wir haben in den Gemeinden und in kleinen Dörfern viele Angebote aufgebaut. Dort arbeiten wir häufig mit Frauen zusammen, die von früher noch einen Grundstock an Bildung haben. Sie unterrichten dann Primar- und manchmal sogar Sekundärklassen, auch mit Mädchen. Zudem gibt es digitale Angebote übers Internet, Fernsehen oder Radio. Bereits haben wir so drei Millionen Mädchen auf der Sekundarstufe erreicht. Das ist nicht nichts.