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Ein Priesterkind blickt zurück «Dann sagte meine Mutter zu mir: Dieser Priester ist dein Vater»

Der Priester Anton «Toni» Ebnöther schwängert in der Schweizer Provinz der 1950er-Jahre mehrere Frauen, bis ihm der Bischof nach dem vierten Kind das Amt entzieht. Ein solches «Priesterkind» ist Monika Gisler.

Zur Welt kam sie im Mütter- und Säuglingsheim in Belfond (JU) – als eines von 920 Kindern von ledigen Müttern. Für ihre Mutter Rita Schuler eine psychisch schwere Zeit, da ledige junge Mütter damals stigmatisiert worden sind, wie sie im Gespräch erzählt.

Monika Gisler

Kam in Belfond (JU) zur Welt

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Monika Gisler ist eines der Kinder des katholischen Priesters Anton «Toni» Ebnöther. Im Dokumentarfilm «Unser Vater» von Miklós Gimes spricht sie über die Erfahrungen ihrer Mutter und ihre eigene Geschichte.

SRF: Seit wann wissen Sie, wer Ihr Vater ist?

Monika Gisler: Ich war neun Jahre alt. Wir gingen einen Priester besuchen. Er führte damals die Pension Sunneschy in Saas. Auf dem Heimweg sagte meine Mutter zu mir: «Dieser Priester ist dein Vater.»

Ältere Frau und mittelalte Frau sitzen an einem Tisch in einem Raum.
Legende: Rita Schuler (links) – heute 86 – war 21, als sie von Priester Toni Ebnöther schwanger wurde. Ihre Tochter, Monika Gisler (rechts), erfuhr erst auf der Beerdigung Ebnöthers 2011 von ihren Halbgeschwistern. Recycled Tv

Als römisch-katholischer Priester unterstand Toni Ebnöther der Zölibatspflicht. Wie hat er Ihre Mutter kennengelernt?

Meine Mutter war damals 21 Jahre alt. Sie hat im Kirchenchor gesungen und in einem Geschäft in Klosters gearbeitet. Er war Vikar. Sie kamen sich näher, und meine Mutter verliebte sich. Dann wurde sie schwanger. Damit niemand etwas merkte, musste sie weg von ihrer Arbeit, weg vom Dorf.

Wie hat Ebnöther auf die Schwangerschaft reagiert?

Dass der Priester zu dem Zeitpunkt schon viele Frauenbeziehungen gehabt und Kinder gezeugt hatte, erfuhr meine Mutter ja erst später. Sie war ein Verdingkind und hatte eine schwere Jugend hinter sich.

Meine Mutter wollte den Priester zwingen, zu seinem Kind zu stehen.

Im ersten Moment habe er etwas von Heiraten gesagt, erzählte sie mir. Sie wollte aber nicht, weil er Pfarrer und sie eine einfache Frau sei. Dann habe mein Vater ihr Geld gegeben, und gesagt, sie wisse schon, was sie damit machen müsse. Ich glaube, es waren 200 Franken. Er meinte damit, sie solle mich abtreiben.

Und dann?

Sie wollte ihr Kind behalten. Als der Bauch sichtbar wurde, kam sie durch eine Vermittlung ins Mütter- und Säuglingsheim nach Belfond. Dort konnte sie arbeiten und das Kind gebären.

Meine Mutter erzählte, sie sei manchmal am nahen Fluss Doubs gestanden und habe überlegt, ob sie springen soll.

Sie wollte den Priester zwingen, zu seinem Kind zu stehen. Denn dieser behauptete plötzlich, meine Mutter hätte andere Beziehungen gehabt; das Kind könne nicht von ihm sein. Die Schwestern, die das Haus in Belfond leiteten, vermittelten ihr einen Anwalt. Mit ihm führte sie einen Vaterschaftsprozess. Es wurde ein Bluttest angeordnet, sie bekam recht.

Gegen einen Priester zu klagen, brauchte damals Mut.

Sie war eine starke Frau. Aber sie hatte ihn trotzdem gern. Ich hörte von ihr nie ein schlechtes Wort über ihn. Sie sagte immer: Das war meine grosse Liebe.

Dokumentarfilm «Unser Vater»

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Der Dokumentarfilm «Unser Vater» über die Geschichte der Priesterkinder von Anton «Toni» Ebnöther (Regie: Miklós Gimes) wurde von SRF  koproduziert .

Toni, ein attraktiver Priester, schwängert in der Schweizer Provinz der 1950er-Jahre mehrere Frauen, bis ihm der Bischof nach dem vierten Kind das Amt entzieht. Fünf seiner Kinder erzählen über ihre vaterlose Jugend, ihre tapferen Mütter und das fatale Schweigen, das sie nun brechen wollen.

Zu sehen auf Play SRF.

Was hat sie in Belfond gearbeitet?

Sie half zum Beispiel mit, kleine Kinder zu betreuen. Sie musste auch oft den Gebärraum putzen. Das ganze Blut dort hat ihr zu schaffen gemacht. Sie war ja nicht aufgeklärt. Mir sagte sie immer, sie sei erst während des Prozesses richtig aufgeklärt worden.

Wie war die Geburt?

Sehr streng. Steisslage, Nabelschnur dreimal um den Kopf. Meine Mutter hatte nicht viel Milch, eine andere Frau hat mich gestillt. Von der Hebamme in Belfond hat meine Mutter immer geschwärmt. Das war Pauline Felder, die später als Kräuterfrau bekannt wurde.

Frau sitzt auf einem Stein und hält liebevoll ein Baby, neben einem Haus mit Gitterfenster.
Legende: Die frischgebackene Mutter Rita hält ihr Baby, die kleine Monika, auf dem Arm. Monika Gisler

Wie ging es Ihrer Mutter in Belfond?

Psychisch war es schwer. In der Zeit waren ledige junge Mütter stigmatisiert, sie wurden als Huren und Freiwild angesehen. Meine Mutter erzählte, sie sei manchmal am nahen Fluss Doubs gestanden und habe überlegt, ob sie springen soll. Sie tat es nicht, weil sie ein Kind hatte. Mich.

Ihre Mutter wusste, dass viele Kinder in Belfond zur Adoption kamen. Was hat sie mitbekommen?

Für meine Mutter war es immer klar, dass sie mich behalten will. Sie erzählte, dass ab und zu interessierte Paare kamen, um Kinder anzuschauen. Einige hätten mich adoptieren wollen. Da sagte sie jeweils: «Nein, die Mutter dieses Kindes will es nicht zur Adoption geben.» Ohne zu verraten, dass es ihr Kind war.

Hat sie von anderen Schicksalen erzählt?

Es gab offenbar viele Fälle von Vergewaltigungen und Inzest. Mädchen, die von ihren Vätern, Brüdern, Onkeln schwanger wurden. Schlimmste Schicksale sehr junger Mädchen.

Wie kam Ihre Mutter finanziell über die Runden?

Nach dem Prozess bekam sie Alimente, 50 Franken im Monat, also nicht viel. Sie hatte in Belfond ein Dach über dem Kopf und konnte arbeiten, hier gebären und fühlte sich unterstützt. Sie ist nach der Geburt noch ein Jahr in Belfond geblieben, um zu arbeiten. Anschliessend fand sie eine Stelle in einem Kinderheim im Sattel, wo sie mich auch mitnehmen konnte. Dort bin ich aufgewachsen.

Das Gespräch führte Christa Miranda.

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SRF 1, Sternstunde Religion, 9.05.2024, 10:00 Uhr ; 

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