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Feministischer Widerstand So kreativ protestieren Russinnen gegen Putins Krieg

Geldscheine mit Botschaften, Holzkreuze in Hinterhöfen: Tausende Frauen tauschen sich auf Telegram darüber aus, wie sie gegen das russische Regime demonstrieren können. Sie riskieren viel.

Ella Rossman erinnert sich noch gut an die frühen Morgenstunden des 24. Februar – den Tag, an dem Russland die Ukraine überfällt. Sie sitzt zu Hause und will gerade ins Bett gehen, als sie die ersten Nachrichten sieht. Danach ist an Schlaf nicht mehr zu denken. «Ich war geschockt. In einer Sekunde war alles zerstört, wofür wir jahrelang gearbeitet hatten.»

Die 28-jährige Ella Rossman kommt aus einer kleinen Stadt in der Nähe von Moskau und lebt seit einem knappen Jahr in London. Seit sie 20 Jahre alt ist, hat sie sich als Feministin für die Rechte von Frauen und queeren Menschen eingesetzt, für ein demokratisches und friedliches Russland.

junge Frau mit Brille und Nasenring, braune Haare zusammengebunden, schaut nach rechts.
Legende: Ella Rossman doktoriert in London zur weiblichen Subjektivität in Sowjetzeiten. Aleksandra Astaxova

In diesem Moment scheint es, als wären all ihre Bemühungen umsonst gewesen. Trotzdem rappelt sie sich auf und ruft Freundinnen an, die ebenfalls als Feministinnen aktiv sind.

Gemeinsam gegen das Regime

Zusammen gründen sie den «Feministischen Widerstand gegen den Krieg». Der russische Protestkanal auf Telegram hat heute mehr als 33’000 Abonnentinnen. Mit dem Kanal wollen Ella Rossmann und ihre Mitstreiterinnen die Menschen in Russland stärken, die gegen den Krieg sind – und ihnen zeigen, wie sie kreativ gegen Putin und sein Regime demonstrieren können.

An Ostern etwa lancieren die Aktivistinnen die Idee, Eier blau-gelb zu bemalen und in Kirchen zu bringen. Für eine Aktion im Gedenken an die Toten von Mariupol regen sie an, kleine Holzkreuze zu basteln und sie in russischen Hinterhöfen aufzustellen. Denn genau so mussten die Toten in Mariupol während der Belagerung der Stadt verscharrt werden: in ihren Hinterhöfen.

Der «Feministische Widerstand gegen den Krieg» gibt auch eine Zeitung heraus, in der kritisch über den Krieg berichtet wird. Wer mag, kann sich das PDF herunterladen, das Ganze zu Hause ausdrucken und verteilen.

Eltern werden für ihre Kinder bestraft

Viele der kreativen Ideen kommen aber auch von den Userinnen selbst. Sie posten auf dem Kanal Fotos von ihren Aktionen: Manche schreiben Antikriegsparolen auf Geldscheine und Münzen. Andere tauschen die Preisschilder im Supermarkt gegen kleine Zettel aus, auf denen Informationen zum Krieg zu lesen sind.

Auch bei solchen kleinen Protestaktionen ist das Risiko gross. Schon wer das Wort «Krieg» benutzt, kann mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft werden. Das Gleiche droht allen, die sich kritisch über die Geschehnisse in der Ukraine äussern.

Zudem kann Kritikerinnen und Kritikern gekündigt werden – selbst dann, wenn nur ihre minderjährigen Söhne und Töchter gegen den Krieg protestieren. In diesem Fall werden die Eltern bestraft. Junge Aktivistinnen können ihren Studienplatz verlieren. Besonders perfide: Wie der russische Machtapparat auf Protestaktionen reagiert, ist laut Ella Rossman «absolut willkürlich».

Psychologische Hilfe für Aktivistinnen

Besonders wichtig ist den Feministinnen rund um Ella Rossman deshalb, die Aktivistinnen zu unterstützen, die noch in Russland ausharren: «Wir versuchen, ihnen irgendwie zu helfen, damit sie sich nicht umbringen», sagt Ella Rossman. «Die Stimmung ist gerade auf einem Tiefpunkt.»

Deswegen hat der «Feministische Widerstand gegen den Krieg» eine kostenlose psychologische Beratung für Aktivistinnen organisiert. Sie richtet sich an Frauen, die von ihrem politischen Engagement völlig erschöpft sind oder von ihrer Familie unter Druck gesetzt werden.

Manche gehen zum ersten Mal an eine Demo

Insgesamt arbeiten mehrere hundert Frauen für die verschiedenen Projekte des «Feministischen Widerstands gegen den Krieg». Viele von ihnen waren schon vor dem Krieg als Feministinnen aktiv.

Laut Ella Rossman sind die meisten in ihren 20ern und gebildet, viele kommen aus der Mittelschicht. Aber auch Frauen, die zu ethnischen Minderheiten gehören, haben sich in den letzten Jahren verstärkt als Feministinnen engagiert – Burjatinnen, Baschkirinnen oder Tatarinnen etwa.

Zu ihrer Überraschung machten nun aber auch Frauen mit, die bisher unpolitisch waren, erzählt Ella Rossman. «Diese Frauen schreiben uns Sachen wie: ‹Ich war noch nie Aktivistin, aber ihr habt mich inspiriert. Jetzt bin ich zum ersten Mal in meinem Leben zu einer Demo gegangen.›»

Spielzeug-Waffen im Morgenkreis

Neben konkreten Ideen zum Protest liefert der «Feministische Widerstand gegen den Krieg» vor allem eines: Informationen. Auf ihrem Kanal teilen Ella Rossman und ihre Mitstreiterinnen Augenzeugenberichte aus Russland und der Ukraine sowie kritische Artikel.

Dabei arbeiten sie mit Menschenrechtsorganisationen und oppositionellen Medien zusammen. Kritische Journalistinnen helfen ihnen, die Informationen zu verifizieren.

Tagtäglich schicken ihnen Userinnen Beobachtungen aus dem Alltag: Sie erzählen, dass Lehrer gezwungen werden, patriotische Veranstaltungen durchzuführen. Dass Erzieherinnen in Kindergärten ein «Z» an die Fenster hängen und den Kindern im Morgenkreis Spielzeug-Waffen verteilen.

«So ein Schwachsinn passiert leider oft», sagt Ella Rossman. Sie hofft, dass ihre Aktionen langfristig etwas verändern können. Ihre Mitstreiterinnen und sie wollen auf jeden Fall weitermachen. Auf ihrem Kanal heisst es: «Der Kampf mit dem Regime ist kein Sprint, sondern ein Marathon.»

Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 02.09.2022, 09:03 Uhr

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