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Propaganda für Russland «Mit der Selfiekamera gehen sie durch den Schützengraben»

Auch ohne russische Sender wird die russische Propaganda geschickt verbreitet, belegt die Journalistin Isolde Ruhdorfer.

Aufgrund der Sanktionen dürfen die beiden russischen Staatssender Russia Today (RT) und Sputnik in der EU nichts mehr veröffentlichen. Nun übernehmen dies Influencerinnen und Influencer auf Social Media, zum Beispiel Alina Lipp. Die Journalistin Isolde Ruhdorfer hat ihre Posts und weitere Einträge untersucht.

Isolde Ruhdorfer

Freie Journalistin

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Isolde Ruhdorfer arbeitet als freie Journalistin für verschiedene deutschsprachige Medien. Ihr Schwerpunkt ist Osteuropa.

SRF News: Was haben die Influencerinnen und Influencer für Russland gemeinsam?

Isolde Ruhdorfer: Ich habe mir drei Influencerinnen und Influencer aus Deutschland, Italien und Spanien näher angeschaut. Sie sind alle so Ende 20, Anfang 30, haben russische Wurzeln und sprechen auch russisch.

Wieso sollten diese Inhalte aus Ihrer Sicht als Propaganda bezeichnet werden?

Es sind vor allem zwei Narrative, die ich ausgemacht habe. Das ist zum einen, dass die Ukraine angeblich voller Nazis sei. Das versuchen diese Influencer zum Beispiel durch Fotos von Soldaten, die Hakenkreuze tätowiert haben, zu beweisen. Das zweite Narrativ ist, dass die Ukraine einen Genozid an der russischsprachigen Bevölkerung begehe.

Es ist das Narrativ Putins – deshalb ist es Propaganda.

Beide Behauptungen sind klar falsch. Für einen Genozid an der russischsprachigen Bevölkerung gibt es keinerlei Hinweise oder Beweise. Und es ist vielfach nachgewiesen, dass die Ukraine nicht von Nazis beherrscht ist. Beide Narrative verbreiten auch das russische staatliche Fernsehen und Machthaber Wladimir Putin. Deswegen würde ich das als Propaganda bezeichnen.

Die von Ihnen untersuchten Personen betonen ihre inhaltliche und finanzielle Unabhängigkeit. Ist das plausibel?

Ich habe versucht herauszufinden, ob es Hinweise gibt, dass sie instruiert werden. Es gibt einige Umstände, die mir komisch vorkommen. Zum Beispiel: Influencerin Lipp hatte lange Zeit eine sehr geringe Reichweite. Im November 2021 beschloss sie – angeblich auf eigene Faust – nach Donezk zu ziehen. Da frage ich mich, ob das jemand macht, ohne jemanden im Rücken zu haben.

Von da an ging's für Frau Lipp steil nach oben, wenn man auf die Follower und Followerinnen schaut. Ähnlich ist es bei der spanischsprachigen Influencerin. Sie hat zum Beispiel alle ihre Social-Media-Accounts innerhalb von einer Woche erstellt. Aber letzten Endes weiss ich es nicht. Viel wichtiger ist, dass die Posts klar der Linie des Kreml entsprechen. Wie abhängig oder unabhängig sie am Ende sind, ist schwer nachzuweisen.

Welchen Vorteil bietet diese Form der Propaganda gegenüber der Verbreitung derselben Inhalte über herkömmlichen Medien?

Sie können einen billigen Kanal nutzen. Ein weiterer Vorteil ist die Art und Weise der persönlichen Ansprache. Mit der Selfiekamera in der Hand, gehen sie durch den Schützengraben. Das ist sehr nahbar. Gleichzeitig wirkt es professionell, weil sie ein gewisses Expertenwissen mitbringen.

Influencerinnen und Influencer machen das allein und so erwecken sie eine Neutralität oder eine Unabhängigkeit, die möglicherweise gar nicht gegeben ist.

Ich habe mit einer Wissenschaftlerin gesprochen, die verglichen hat, wie das staatliche Fernsehen in Russland und wie RT in der EU kommuniziert. Bei RT kommen viel mehr externe Experten zu Wort. Ähnlich funktioniert es mit Influencerinnen und Influencern. Sie sagen, sie machten das ganz allein und so erwecken sie eine Neutralität oder eine Unabhängigkeit, die möglicherweise gar nicht gegeben ist.

Das heisst, wir beobachten eine bewährte Kommunikationsstrategie aus Sicht Russlands, die auf neuen Kanälen verbreitet wird?

Ja, es ist definitiv eine bewährte Strategie.

Das Gespräch führte Janis Fahrländer.

SRF 4 News, 10.06.2022; 06:40 Uhr ; 

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