Die Gretchenfrage, Stephan Reich: Wie halten Sie es mit Cristiano Ronaldo?
Ich habe ihn immer für sehr arrogant gehalten. Aber auch bei mir hat er mit dem EM-Finale Sympathiepunkte gewonnen.
Weil aus der Fussballmaschine plötzlich ein Mensch wurde, der auch andere Gefühle als Ehrgeiz zeigt?
Es war vor allem die Art und Weise, wie er sich nach seiner Auswechslung an der Seitenlinie gab. Zur Hilflosigkeit verdammt war er plötzlich ein mannschaftsdienlicherer Spieler, als er auf dem Platz ist. Er hat sehr glaubhaft gelitten.
Zu Beginn der EM in Frankreich sah man aber vor allem sein riesiges, altes Ego.
In den ersten Spielen hat er abgewinkt, wenn die Bälle nicht zu ihm kamen, Unzufriedenheit ausgestrahlt. An der Seitenlinie im Finale hat er unglaublich viel gearbeitet. Aus dem Plastikhelden, der er ist, ist eine tragische Figur geworden. Ronaldo wurde nahbar.
Ronaldo mag man nicht, weil bei ihm alles theatralischer aussieht als bei den anderen. Was soll das Getue vor seinen Freistössen. Oder auch bei seinem Abgang, als er verletzt auf der Trage lag – wie ein Toter im Sarg?
Wie in seiner John-Wayne-Pose mit abgezählten Schritten nach hinten schreitet! Ronaldo hat einen totalen Hang zur Selbstdarstellung. Das wird sich auch nicht mehr ändern.
Warum hat man bei Cristiano Ronaldo immer das ungute Gefühl: Da ist alles inszeniert?
Ronaldo hat zum Beispiel diesen «Signature»-Jubel, bei dem er sich um 180 Grad dreht und die Arme von sich streckt. Ob das seine Idee war oder die einer PR-Agentur? Schwer zu sagen.
Sein ewiger Kontrahent Lionel Messi gilt immer als der kleine, talentierte Junge, der einfach nur spielen will. Ein Cristiano Ronaldo versucht, mit seinem hochgezüchteten Körper dagegenzuhalten...
... und mit einem Heer von PR-Beratern.
Und doch scheint sich mit dem Halbfinale und dem Finale ein Wandel vollzogen zu haben: Dass eine Authentizität durchscheint unter dieser künstlichen Oberfläche, dieser Marke «CR7».
Ronaldo steht für den modernen Fussball, von dem viele Fans die Nase voll haben. Werden sie für immer umdenken müssen?
Ronaldo ist der Superstar mit einer Strahlkraft, die weit über den Fussball hinausgeht. Er ist ein bisschen wie ausgedacht von einer PR-Firma, die den Versuch starten wollte, den idealen Fussball-Superstar zu züchten.
Nach dem EM-Finale hatte ich aber zum ersten Mal das Gefühl überhaupt, dass unter dieser totalen Oberfläche, die Ronaldo ist, eigentlich ein kleiner Junge steckt. Ein Junge, der diesen Sport liebt.