Hamit Zeqiri kann sich noch genau an jenen Moment erinnern, den ihn als junger Mann politisierte: «Spezialeinheiten haben das Fernsehen gestürmt, die Sendungen abgebrochen und so die Kontrolle über den Sender übernommen.»
Die gewaltsame Übernahme des lokalen Senders Radio Television Pristina im Sommer 1990 war Teil einer Kampagne des Regimes von Slobodan Milošević.
Die Kampagne hatte zur Absicht, die Kontrolle über die Institutionen des Kosovos zu übernehmen. Es ist die politische Konsequenz einer nationalistischen Rhetorik, die Milošević bei seinem Aufstieg zur Macht verbreitet und die schliesslich in den Jugoslawienkriegen der 1990er-Jahre mündet.
Aufhebung der Autonomie
Der Kosovo ist damals noch Teil Serbiens innerhalb des sozialistischen Jugoslawiens, das sich bereits in Auflösung befindet. Hier, in der mehrheitlich albanisch geprägten Provinz, werden die Spannungen, die in den anderen Republiken schon bald zu Kriegen auswachsen sollten, als erstes sichtbar.
Ich wusste damals: Das wird nicht gut enden.
Der nationalistische serbische Präsident Slobodan Milošević hebt 1989 den Autonomiestatus des Kosovos auf. Die staatlichen Institutionen, bis anhin weitgehend selbstverwaltet, werden in der Folge unter die Kontrolle der Zentralregierung in Belgrad gebracht, das Parlament aufgelöst.
Albanerinnen und Albaner werden aus dem öffentlichen Leben verdrängt, das Ziel ist eine zwanghafte Assimilierung. «Ich wusste damals: Das wird nicht gut enden», sagt Hamit Zeqiri.
Zeqiri ist zu dieser Zeit Anfang 20 und studiert Landwirtschaft. Doch die Universität kann er als Albaner bald nicht mehr betreten. Das Studium muss er fortan in Privathäusern und Kellern weiterführen. In einer Art Schattenstaat baut sich die kosovo-albanische Bevölkerung eigene Institutionen auf.
Friedlicher Widerstand
Mit der Aufhebung der Autonomie 1989 formiert sich auch der kosovarische Widerstand gegen die faktische Übernahme aus Belgrad. Dies geschieht unter der Leitung der Demokratischen Liga des Kosovo, kurz LDK. Mitgründer und erster Vorsitzender wird der Schriftsteller Ibrahim Rugova. Er ist das Gesicht des kosovo-albanischen Widerstandes in dieser Zeit.
Unter seiner Führung werden parallele Institutionen aufgebaut: Es entstehen zwei Welten – eine serbisch dominierte offizielle Verwaltung und eine albanische im Untergrund. Rugova wird in einer international nicht anerkannten Wahl 1992 zum Präsidenten des Kosovos gewählt.
Man war auf der albanischen oder auf der serbischen Seite.
Nachdem er die Erstürmung des Fernsehsenders miterlebt, entschliesst sich Hamit Zeqiri dazu, sich ebenfalls dem friedlichen Widerstand anzuschliessen. Mit Kolleginnen und Kollegen gründet er ein Jugendforum. Sie setzen dabei auf internationale Sichtbarkeit. Sie versuchen, im Austausch mit Jugendforen in anderen Ländern, die internationale Gemeinschaft auf die Situation im Kosovo aufmerksam zu machen.
Die Fronten verhärten sich
Das Verhältnis zwischen der albanischen Mehrheitsbevölkerung und der serbischen Minderheit verschlechtert sich damals zunehmend, erinnert sich Zeqiri. Beziehungen oder Nachbarschaften, die bislang gut funktioniert hätten, seien auseinander gegangen. «Man war auf der albanischen oder auf der serbischen Seite.»
Das Regime von Slobodan Milošević geht rigoros gegen alle vor, die den serbischen Herrschaftsanspruch über den Kosovo in Frage stellen. Hamit Zeqiri wird 1993 verhaftet und verbringt sechs Monate in Untersuchungshaft. Er wird zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, kann aber in Freiheit auf den Entscheid der letzten Instanz warten.
Manchmal gab es fast normale Telefongespräche.
Stattdessen setzt er sich in die Schweiz ab, wo bereits ein Bruder von ihm wohnt. Zu Beginn sei er hier mit grossen Vorurteilen konfrontiert worden.
Ein neues Leben in der Schweiz
Das habe ihn überrascht, da er ein anderes Bild der Schweiz gehabt habe. In Medien, Politik und Alltagsgesprächen begegnet ihm immer wieder Ablehnung gegenüber Geflüchteten aus Ex-Jugoslawien.
Trotzdem fasst Zeqiri schnell Fuss. Er lernt innerhalb von nur sieben Monaten deutsch, findet eine Arbeit. Nach drei Jahren beginnt er ein Studium in sozialer Arbeit. Bis heute arbeitet er in diesem Bereich. Er leitet das Kompetenzzentrum Migration Fabia in Luzern.
Die Lage verschärft sich
Während er sich in der Schweiz ein neues Leben aufbaut, verschlechtert sich die Lage im Kosovo zunehmend. Mitte der 1990er-Jahre bildet sich die sogenannte Kosovarische Befreiungsarmee, kurz UÇK. Im Unterschied zur LDK setzt sie auf den bewaffneten Kampf.
Über Telefonate mit daheimgebliebenen Verwandten und Freunden bleibt er nahe an den Geschehnissen dran. In den Gesprächen wird ihm erzählt, wie Menschen verhaftet werden oder sogar verschwinden. Aber trotz des kriegsähnlichen Zustandes wird auch ganz alltägliches besprochen: «Die Spannungen waren nicht immer Thema. Manchmal waren das fast normale Gespräche», sagt Zeqiri.
Wiedersehen nach Jahren
Zum Wiedersehen mit Mutter und Bruder kommt es erst 1999. Die beiden wurden im Krieg von den serbischen Truppen aus Pristina vertrieben. Über Mazedonien gelangen sie nach Albanien, wo es nach fünf Jahren zum emotionalen Treffen kommt. Kurz danach endet der Krieg.
2008 folgt die Unabhängigkeitserklärung. Der Kosovo, das sei in seinen Augen eine Erfolgsgeschichte, findet Hamit Zeqiri. Eine Rückkehr in die alte Heimat habe für ihn trotzdem nie zur Diskussion gestanden. Er hat hier in der Schweiz eine neue Heimat gefunden.