Zum Inhalt springen

Kosovo-Konflikt Kosovo-Zeitzeuge: «Ich wusste: Das wird nicht gut enden»

Der Zusammenbruch Jugoslawiens nimmt im Kosovo seinen Anfang, als Ende der 1980er-Jahre die Autonomie der damaligen serbischen Provinz aufgehoben wird. Hamit Zeqiri hat die Konsequenzen miterlebt und erinnert sich.

Hamit Zeqiri kann sich noch genau an jenen Moment erinnern, den ihn als junger Mann politisierte: «Spezialeinheiten haben das Fernsehen gestürmt, die Sendungen abgebrochen und so die Kontrolle über den Sender übernommen.»

Die gewaltsame Übernahme des lokalen Senders Radio Television Pristina im Sommer 1990 war Teil einer Kampagne des Regimes von Slobodan Milošević.

Gebäude von Radio Television Pristina
Legende: Das RTP (Radio Television Pristina) war die erste albanische Rundfunkanstalt in der Autonomen Provinz Kosovo im sozialistischen Jugoslawien. Der Sender hatte einen unbestreitbaren Wert für die Verbreitung von Nachrichten in albanischer Sprache. Agron Berisha/Wikimedia Commons

Die Kampagne hatte zur Absicht, die Kontrolle über die Institutionen des Kosovos zu übernehmen. Es ist die politische Konsequenz einer nationalistischen Rhetorik, die Milošević bei seinem Aufstieg zur Macht verbreitet und die schliesslich in den Jugoslawienkriegen der 1990er-Jahre mündet.

Aufhebung der Autonomie

Der Kosovo ist damals noch Teil Serbiens innerhalb des sozialistischen Jugoslawiens, das sich bereits in Auflösung befindet. Hier, in der mehrheitlich albanisch geprägten Provinz, werden die Spannungen, die in den anderen Republiken schon bald zu Kriegen auswachsen sollten, als erstes sichtbar.

Ich wusste damals: Das wird nicht gut enden.
Autor: Hamit Zeqiri Zeitzeuge

Der nationalistische serbische Präsident Slobodan Milošević hebt 1989 den Autonomiestatus des Kosovos auf. Die staatlichen Institutionen, bis anhin weitgehend selbstverwaltet, werden in der Folge unter die Kontrolle der Zentralregierung in Belgrad gebracht, das Parlament aufgelöst.

Der Zusammenbruch Jugoslawiens

Box aufklappen Box zuklappen

Das sozialistische Jugoslawien wurde nach dem zweiten Weltkrieg gegründet. Die föderale Republik bestand aus den sechs Republiken Kroatien, Serbien, Montenegro, Slowenien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien. Kosovo war eine autonome Provinz innerhalb Serbiens.

Ende der 80er-Jahre nahmen die Spannungen innerhalb des Vielvölkerstaates zu. Im Zuge einer Wirtschaftskrise verbreiteten sich nationalistische Tendenzen innerhalb der einzelnen Republiken. Politiker, die diese Rhetorik befeuerten, waren nicht mehr am Zusammenhalt interessiert.

1991 erklärten Kroatien und Slowenien als erste Republiken gegen den Willen Serbiens sowie der lokalen serbischen Bevölkerung ihre Unabhängigkeit von Jugoslawien. Im Falle Kroatiens, wie auch ein Jahr später in Bosnien Herzegowina, mündete der Konflikt in jahrelange Kriege, die erst 1995 beendet werden konnten.

Albanerinnen und Albaner werden aus dem öffentlichen Leben verdrängt, das Ziel ist eine zwanghafte Assimilierung. «Ich wusste damals: Das wird nicht gut enden», sagt Hamit Zeqiri.

Zeqiri ist zu dieser Zeit Anfang 20 und studiert Landwirtschaft. Doch die Universität kann er als Albaner bald nicht mehr betreten. Das Studium muss er fortan in Privathäusern und Kellern weiterführen. In einer Art Schattenstaat baut sich die kosovo-albanische Bevölkerung eigene Institutionen auf.

Friedlicher Widerstand

Mit der Aufhebung der Autonomie 1989 formiert sich auch der kosovarische Widerstand gegen die faktische Übernahme aus Belgrad. Dies geschieht unter der Leitung der Demokratischen Liga des Kosovo, kurz LDK. Mitgründer und erster Vorsitzender wird der Schriftsteller Ibrahim Rugova. Er ist das Gesicht des kosovo-albanischen Widerstandes in dieser Zeit.

Ibrahim Rugovas als Bild auf Hauswand
Legende: Er ist präsent, auch auf einer Hauswand in Pristina: Ibrahim Rugova steht für den kosovo-albanischen Widerstand. (Abbildung: 2023, 15 Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung) Keystone/EPA/GEORGI LICOVSKI

Unter seiner Führung werden parallele Institutionen aufgebaut: Es entstehen zwei Welten – eine serbisch dominierte offizielle Verwaltung und eine albanische im Untergrund. Rugova wird in einer international nicht anerkannten Wahl 1992 zum Präsidenten des Kosovos gewählt.

Man war auf der albanischen oder auf der serbischen Seite.
Autor: Hamit Zeqiri Zeitzeuge

Nachdem er die Erstürmung des Fernsehsenders miterlebt, entschliesst sich Hamit Zeqiri dazu, sich ebenfalls dem friedlichen Widerstand anzuschliessen. Mit Kolleginnen und Kollegen gründet er ein Jugendforum. Sie setzen dabei auf internationale Sichtbarkeit. Sie versuchen, im Austausch mit Jugendforen in anderen Ländern, die internationale Gemeinschaft auf die Situation im Kosovo aufmerksam zu machen.

Die Fronten verhärten sich

Das Verhältnis zwischen der albanischen Mehrheitsbevölkerung und der serbischen Minderheit verschlechtert sich damals zunehmend, erinnert sich Zeqiri. Beziehungen oder Nachbarschaften, die bislang gut funktioniert hätten, seien auseinander gegangen. «Man war auf der albanischen oder auf der serbischen Seite.»

Das Regime von Slobodan Milošević geht rigoros gegen alle vor, die den serbischen Herrschaftsanspruch über den Kosovo in Frage stellen. Hamit Zeqiri wird 1993 verhaftet und verbringt sechs Monate in Untersuchungshaft. Er wird zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, kann aber in Freiheit auf den Entscheid der letzten Instanz warten.

Manchmal gab es fast normale Telefongespräche.
Autor: Hamit Zeqiri Zeitzeuge

Stattdessen setzt er sich in die Schweiz ab, wo bereits ein Bruder von ihm wohnt. Zu Beginn sei er hier mit grossen Vorurteilen konfrontiert worden.

Ein neues Leben in der Schweiz

Das habe ihn überrascht, da er ein anderes Bild der Schweiz gehabt habe. In Medien, Politik und Alltagsgesprächen begegnet ihm immer wieder Ablehnung gegenüber Geflüchteten aus Ex-Jugoslawien.

Mann mit Brille und Hemd
Legende: Hamit Zeqiri ist Leiter des Kompetenzzentrum Migration Fabia in Luzern. Er sagt, das Schweizer Bild von Kosovarinnen und Kosovaren habe sich gewandelt. Hamit Zeqiri

Trotzdem fasst Zeqiri schnell Fuss. Er lernt innerhalb von nur sieben Monaten deutsch, findet eine Arbeit. Nach drei Jahren beginnt er ein Studium in sozialer Arbeit. Bis heute arbeitet er in diesem Bereich. Er leitet das Kompetenzzentrum Migration Fabia in Luzern.

Die Lage verschärft sich

Während er sich in der Schweiz ein neues Leben aufbaut, verschlechtert sich die Lage im Kosovo zunehmend. Mitte der 1990er-Jahre bildet sich die sogenannte Kosovarische Befreiungsarmee, kurz UÇK. Im Unterschied zur LDK setzt sie auf den bewaffneten Kampf.

Der Kosovo-Krieg

Box aufklappen Box zuklappen

Mit der UÇK beginnt ein neues Kapitel im Konflikt. Die Untergrundarmee greift serbische Einrichtungen an, ermordet Soldaten oder Polizisten. Die serbischen Sicherheitskräfte gehen ihrerseits mit aller Härte militärisch gegen die UÇK vor. Dabei kommt es auch zu ethnischen Säuberungen und anderen schweren Verbrechen.

Mit der zunehmenden Eskalation des Konfliktes entscheidet sich die Nato 1999 zum Krieg gegen Serbien. Während drei Monaten bombardieren Kampfflieger des Militärbündnisses Ziele in Serbien. Der Einsatz ist bis heute wegen der fehlenden Legitimation durch die UNO völkerrechtlich umstritten.

Doch im Kosovo eskaliert die Gewalt nach dem Kriegseintritt der Nato erst richtig. Es kommt zu grossflächigen Vertreibungen der albanischen Bevölkerung. Erst nach drei Monaten kapituliert das Milošević-Regime vor der militärischen Übermacht. Der Kosovo kommt unter internationale Verwaltung, mit einer Militärpräsenz der Nato.

Am 17. Februar 2008 erklärt sich der Kosovo mit der Unterstützung der westlichen Staaten für unabhängig. Serbien anerkennt diese nicht und betrachtet den Kosovo weiterhin als Teil des eigenen Staatsgebiets.

Über Telefonate mit daheimgebliebenen Verwandten und Freunden bleibt er nahe an den Geschehnissen dran. In den Gesprächen wird ihm erzählt, wie Menschen verhaftet werden oder sogar verschwinden. Aber trotz des kriegsähnlichen Zustandes wird auch ganz alltägliches besprochen: «Die Spannungen waren nicht immer Thema. Manchmal waren das fast normale Gespräche», sagt Zeqiri.

Wiedersehen nach Jahren

Zum Wiedersehen mit Mutter und Bruder kommt es erst 1999. Die beiden wurden im Krieg von den serbischen Truppen aus Pristina vertrieben. Über Mazedonien gelangen sie nach Albanien, wo es nach fünf Jahren zum emotionalen Treffen kommt. Kurz danach endet der Krieg.

2008 folgt die Unabhängigkeitserklärung. Der Kosovo, das sei in seinen Augen eine Erfolgsgeschichte, findet Hamit Zeqiri. Eine Rückkehr in die alte Heimat habe für ihn trotzdem nie zur Diskussion gestanden. Er hat hier in der Schweiz eine neue Heimat gefunden.

SRF-Podcast «Geschichte» zum Zerfall Jugoslawiens:

Box aufklappen Box zuklappen

Radio SRF 2 Kultur, Geschichte, 11.8.2025, 9:00 Uhr

Meistgelesene Artikel