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Umstrittener Militäreinsatz Nato-Angriff auf Jugoslawien: Ein Rechtsbruch, der nachhallt

Am 24. März 1999 begann die Nato, Ziele im damals noch aus Serbien und Montenegro bestehenden Jugoslawien anzugreifen. Die Luftangriffe dauerten insgesamt 78 Tage und endeten mit dem Rückzug der jugoslawischen Truppen aus der damaligen serbischen Provinz Kosovo.

Janis Fahrländer

Auslandredaktor Radio SRF

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Janis Fahrländer ist Redaktor in der Auslandredaktion von Radio SRF. Dort ist er zuständig für die Berichterstattung über die Balkanstaaten.

Warum ist der Einsatz bis heute umstritten?

Die Angriffe wurden ohne UNO-Mandat durchgeführt und verstiessen damit wohl gegen das Völkerrecht. Weil mit einem Veto Russlands und Chinas im UNO-Sicherheitsrat gerechnet wurde, versuchte man gar nicht erst, eine rechtliche Grundlage durch ein solches Mandat zu ersuchen. Stattdessen argumentierten die Nato-Staaten, man wolle mit den Angriffen eine humanitäre Katastrophe verhindern. Der Bosnienkrieg und der von serbischen Truppen begangene Völkermord in Srebrenica war erst wenige Jahre her. Bereits gab es wieder Berichte von Massakern und Vertreibungen an der albanischen Bevölkerung Kosovos durch serbische Truppen. Ein weiterer Völkermord sollte unbedingt verhindert werden.

Ein zerbombtes Gebäude, rauch steigt auf.
Legende: Am ersten Tag der Nato-Luftangriffe traf eine Rakete auch eine Peugeot-Autowerkstatt in Pristina im heutigen Kosovo. (Bild vom 24.03.1999) KEYSTONE/EPA/Bicanski

Wie wird der Einsatz in Serbien betrachtet?

Mit dem Nato-Einsatz erreichten die Zerfallskriege Jugoslawiens der 1990er-Jahre erstmals serbischen Boden. Dort sind die Luftangriffe ein bis heute unverarbeitetes Trauma. Gedenktafeln oder Graffitis erinnern im ganzen Land an die vielen zivilen Opfer. Aus serbischer Sicht griff damals eine militärische Übermacht, bestehend aus den mächtigsten Ländern der Welt, ungerechtfertigt ein kleines Land an. Die Nato habe so Kosovo völkerrechtswidrig und mit Gewalt Serbien entrissen. Bis heute schaut daher ein grosser Teil der Bevölkerung skeptisch auf den Westen. Dafür wird immer wieder die Nähe zu Russland betont, das sich damals offen gegen den Einsatz gestellt hatte.

Wie viele Opfer forderte die Nato-Intervention?

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Die Opferzahlen der Luftangriffe vom März bis zum Juni 1999 sind bis heute umstritten. Serbien spricht von mindestens 2500 Opfern. Laut dem «Humanitarian Law Center», einer Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Belgrad und Pristina, sind darunter mindestens 454 Zivilisten. Die Nato bezeichnete diese Opfer damals als «Kollateralschäden». Auch gab es massive Schäden an der Infrastruktur im ganzen Land.

Wie schaut man in Kosovo auf die damaligen Ereignisse?

Kosovo betrachtet die Luftangriffe dagegen als Teil des Befreiungskrieges gegen eine jahrzehntelange Unterdrückung. Die Nato wie auch die USA als treibende Kraft des Einsatzes sind bis heute hoch angesehen. So steht in der Hauptstadt Pristina eine Statue des damaligen US-Präsidenten Bill Clinton. Die Zustimmungswerte gegenüber einem Nato- oder EU-Beitritt sind nirgends auf dem Balkan höher. Viele Kosovaren und Kosovarinnen glauben, dass es ohne die Nato kein unabhängiges Kosovo gäbe.

Kosovokrieg und Nato-Einsatz

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Der Konflikt zwischen der kosovarischen Freiheitsbewegung UÇK und den mehrheitlich serbischen Sicherheitskräften Jugoslawiens eskalierte 1998 im Kosovokrieg. Der Konflikt schwelte aber schon davor. So unterdrückte Serbien die albanische Bevölkerungsmehrheit damals systematisch.

Als eine Verhandlungslösung scheiterte, griff die Nato auf Seiten der UÇK in den Konflikt ein. Mit Luftangriffen sollte der serbische Präsident Slobodan Milosevic zur Aufgabe gezwungen werden. Der Einsatz dauerte aber viel länger als erwartet und wurde immer weiter ausgeweitet. Auch zivile Infrastruktur rückte zunehmend in den Fokus. Die Angriffe endeten mit dem Rückzug der jugoslawischen Sicherheitskräfte und der Besetzung Kosovos durch die Nato. Das Gebiet wurde danach unter die Verwaltung der UNO gestellt. 2008 erklärte sich Kosovo mit der Unterstützung der USA und anderer westlicher Länder für unabhängig.

Wie ist die Situation heute?

Kosovo hat sich 2008 einseitig für unabhängig erklärt. Dies wird von Serbien, aber auch von anderen Staaten wie Russland oder China, weiterhin nicht anerkannt. Wegen des ungelösten Konflikts ist die Nato bis heute in Kosovo präsent. Das fehlende UNO-Mandat wird der Nato bis heute vorgeworfen. Russland wie auch China werfen dem Westen immer wieder den Rechtsbruch von damals vor.

Echo der Zeit, 24.03.2024, 18:00 Uhr ; 

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