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Missbrauch in der Kirche Die Massnahmen gegen sexuellen Missbrauch sind zahnlos

Vor einem Jahr lud der Papst zum «Missbrauchsgipfel». Eine erste Bilanz zeigt: Die beschlossenen Massnahmen reichen nicht.

Mutlos und viel zu wenig konkret: So lautete die Kritik vor einem Jahr, nachdem 190 Bischöfe aus der ganzen Welt in Rom über sexuellen Missbrauch in der römisch-katholischen Kirche diskutierte hatten. In der Zwischenzeit hat Papst Franziskus einige Entscheide gefällt, die im Kampf gegen den Missbrauch helfen sollen.

So gibt es seit Kurzem eine Task Force gegen Missbrauch. Sie soll Bischofskonferenzen und Orden helfen, Leitlinien zum Schutz von Minderjährigen zu erarbeiten.

Besonders ärmere Länder, die selbst kaum Zugriff auf Präventionsexperten haben, sollen von den Erfahrungen von Ländern wie Deutschland, Österreich oder der USA profitieren, die im Kampf gegen Missbrauch schon weiter sind.

Kampf gegen Vertuschung

Im letzten Dezember hat der Papst zudem das sogenannte päpstliche Geheimnis bei Missbrauch abgeschafft . Dieses Geheimnis sollte ursprünglich die Persönlichkeitsrechte angeschuldigter Priester wahren – nur ein ganz kleiner Kreis hatte Zugriff auf die Akten aus den kircheninternen Verfahren.

Das päpstliche Geheimnis war dabei gleich doppelt problematisch: Einerseits führte es dazu, dass Opfern und Opferanwälten wichtige Informationen vorenthalten wurden. Andererseits konnten sich die Verantwortlichen innerhalb der Kirche auch hinter dem Geheimnis verstecken und Fälle vertuschen. Das soll nicht mehr möglich sein.

Bereits im Mai hat der Papst ausserdem Richtlinien definiert, was als Missbrauch gilt – unter anderem der Besitz und die Verbreitung von Kinderpornografie. Und er hat klar geregelt: Missbrauchsfälle müssen gemeldet werden. Wer vertuscht, muss angezeigt werden. Zudem braucht jedes Bistum eine Anlaufstelle.

Es fehlen die Sanktionen

Das alles soll die Botschaft senden: Missbrauch wird in der römisch-katholischen Kirche nicht mehr geduldet. Das Problem ist nur: Es fehlen die Sanktionen.

Nirgends ist definiert, was mit Priestern, Nonnen und Bischöfen passiert, die sich nicht an die neuen Regeln halten. Und beim päpstlichen Geheimnis gilt der Datenschutz. Um tatsächlich Informationen aus einem Prozess veröffentlichen zu können, müssen in vielen Ländern die Gesetze angepasst werden.

Was heisst das nun für die Bischöfe und die Opfer in der Schweiz? Viele der neuen Regeln und Massnahmen des Papstes sind hierzulande bereits umgesetzt. So gibt es seit 2002 Richtlinien für den Umgang mit Missbrauch. Verdachtsfälle, gerade mit minderjährigen Opfern, müssen gemeldet werden. Die Zusammenarbeit mit den Staatsanwaltschaften funktioniert und jedes Bistum hat eine Anlaufstelle.

Misstrauen statt Vertrauen

Dass die Schweizer Bischöfe ernsthaft um Prävention und Aufarbeitung bemüht sind, attestiert auch die älteste Opfervereinigung der Schweiz, die Westschweizer Sapec.

So sei etwa Charles Morerod, Bischof von Genf, Lausanne und Freiburg, ein Glücksfall, sagt Marie-Jo Aeby, Mitgründerin von Sapec. Charles Morerod habe etwa eine von der römisch-katholischen Kirche unabhängige Kommission für die Opfer ins Leben gerufen.

Charles Morerod mit gefalteten Händen
Legende: Charles Morerod, Bischof von Genf, Lausanne und Freiburg, hat eine Kommission für Missbrauchsopfer ins Leben gerufen. Dass er von einem Fall in Freiburg gewusst haben soll, bestreitet er. KEYSTONE / Olivier Maire

Doch gerade das Beispiel eines Freiburger Priesters zeigt, dass Aufklärung und Prävention noch nicht immer greifen. Der Priester steht in Verdacht, einen Minderjährigen missbraucht zu haben. Bischof Morerod wird vorgeworfen, davon gewusst zu haben.

Der Bischof bestreitet dies. Doch er hat zugegeben, nicht genau genug hingeschaut zu haben. «Ich hatte Vertrauen, das war falsch. Wir müssen heutzutage misstrauen und alles hinterfragen», sagt er.

Ein Jahr nach dem Missbrauchsgipfel in Rom zeigt sich also: Der Papst hat Massnahmen ergriffen. Sie senden die Botschaft aus: Missbrauch muss aufgedeckt und in Zukunft verhindert werden.

Aufgrund der fehlenden Sanktionen sind diese Massnahmen aber oft zahnlos. Der jüngste Fall in der Schweiz beweist: Massnahmen allein helfen wenig. Was es braucht, ist ein neues Bewusstsein. Hier steht die römisch-katholische Kirche noch am Anfang eines langen Weges.

Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 16.3.2020, 9:00 Uhr

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