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Philosoph Omri Boehm «Ich sehe Hoffnung, wo Juden und Palästinenser sich zusammentun»

Der Schock über die Eskalation im Nahen Osten ist gross, die öffentliche Diskussion schwierig. Die Terrorattacken der Hamas werden fast einhellig verurteilt, doch häufig folgt ein «Ja, aber ...»

Wie lässt sich trotzdem über den Krieg in Nahost sprechen? Der deutsch-israelische Philosoph Omri Boehm plädiert für klare Worte – und das Bewahren von Menschlichkeit.

Omri Boehm

Deutsch-israelischer Philosoph

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Omri Boehm ist Professor für Philosophie an der renommierten New School for Social Research in New York. Er bezeichnet die Zweitstaatenlösung als definitiv gescheitert und schlug 2020 in seinem Buch «Israel – Eine Utopie» eine binationale Republik auf dem Gebiet des heutigen Israels und Palästina vor. Aufgewachsen in einer Gemeinde in Galiläa, lebt er heute mit seiner Familie in New York.

SRF: Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als Sie das erste Mal von der brutalen Attacke der Hamas gehört haben?

Omri Boehm: Die erste Reaktion war nicht rational, sondern körperlich. Es war ein Zustand des Schocks, der Wut, des Abscheus über die Geschehnisse. Das Denken setzte erst später ein.

Gerade in westlichen intellektuellen Kreisen hört man bezüglich der Attacken schnell ein «Ja, aber ...»

Manchmal hört man auch nur das «Aber». Es gibt eine verbreitete Abneigung, klar gegen die Hamas Stellung zu nehmen. Oft wird sogar die Tat selbst gebilligt.

Ein israelischer Bürger in einem von der Hamas getroffenen Gebäude in Tel Aviv.
Legende: Ein israelischer Bürger in einem von der Hamas getroffenen Gebäude in Tel Aviv. KEYSTONE/EPA/ABIR SULTAN

Kommt das Bedürfnis nach Kontextualisierung zu schnell angesichts des akut Bösen?

Ich denke, es ist unsere Pflicht, die Dinge rasch einzuordnen. Das bedeutet nicht, den unsäglichen Horror der Hamas-Mörder zu kontextualisieren – zur Rechtfertigung oder zur Erklärung. Auch wenn wir fühlen, dass die richtige Antwort auf diese Schrecken Schweigen ist, müssen wir über den Kontext sprechen, um die Situation politisch und rational anzugehen.

Kontextualisierung erfährt eine Art Skandalisierung. Ist das nicht erstaunlich?

Ja, aber wir müssen die Bedeutung von Kontext auch von der anderen Seite verstehen. Israels Bombardierung des Gazastreifens legt einen schweren Verstoss gegen das Völkerrecht nahe. Sollen wir das nun kontextualisieren oder nicht? Darf man anführen, dass es sich um eine Antwort auf die Tat der Hamas handelt und Israel zurückschlägt, um seine Bürger zu schützen? Solches zu sagen, ist wichtig.

Die wichtigste politische Frage muss sein, welche Lebensform es uns erlaubt, an diesem Ort in Frieden zu leben.

Andererseits rechtfertigt das keine Kriegsverbrechen, keine Verbrechen gegen die Menschlichkeit, kein Abstellen des Wassers in Gaza. Das gehört absolut verurteilt, was aber nur wenige tun. Ich bin besorgt, dass europäische Autorinnen und Politiker von Israel nicht die Einhaltung des Völkerrechts verlangen.

Warum tut man sich so schwer mit der Kontextualisierung?

Wer die Taten der Hamas in einen Kontext einordnet, geht davon aus, dass Israel nicht das Recht hat, sie zu bombardieren. Wer umgekehrt Israels Handeln kontextualisiert, geht davon aus, dass die Hamas durchaus das Recht hatte, Israel anzugreifen. Beides ist falsch.

Zerstörung in Gaza City nach den israelischen Angriffen.
Legende: Frieden ist nur schwer vorstellbar: Zerstörung in Gaza City nach den israelischen Angriffen. KEYSTONE/EPA/MOHAMMED SABER

Vielen fällt es schwer, den Glauben an das Menschliche nicht zu verlieren, wie kürzlich Schriftsteller Thomas Meyer in einem Interview gesagt hat.

Ich wehre ich mich dagegen, der Hamas jede Menschlichkeit abzusprechen. Wir müssen verstehen, wie abscheulich die Hamas ist und dass sie menschlich ist – dass Menschen zu so etwas fähig sind. Ich bin mir selbst gegenüber verpflichtet, meine eigene Menschlichkeit zu bewahren.  

Wir sollten klar unterscheiden zwischen der Bekämpfung der Hamas und der Suche nach Frieden mit den Palästinensern. Trotz all der Gefahr, trotz der Gräueltaten der Hamas, muss eine politische Lösung mit den Palästinensern angestrebt werden. Die wichtigste politische Frage muss sein, welche Lebensform es uns erlaubt, an diesem Ort in Frieden zu leben.

Sehen Sie Hoffnung?

Ich sehe vereinzelte Zeichen der Hoffnung überall da, wo Juden und Palästinenser sich zusammentun und die Verstösse auf beiden Seiten klar anprangern, zum Beispiel in Haifa. Es gibt diese Menschen.

Das Gespräch führten Barbara Bleisch und Wolfram Eilenberger.

SRF 1, Sternstunde Philosophie, 29.10.2023, 11:00 Uhr ; 

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