Der Intervision Song Contest (ISC) solle eine Alternative zum Eurovision Song Contest (ESC) sein, frei von «Perversion und Verhöhnungen der menschlichen Natur». So postulierte es der russische Aussenminister Sergey Lawrow im Februar 2025.
Kurz davor hatte Wladimir Putin per Dekret angeordnet, den Intervision Song Contest wiederzubeleben – ein Grand Prix, wie ihn die Ostblockländer bereits zwischen 1965 und 1980 veranstalteten.
Lawrows Ankündigung zeigt: Der Intervision wurde nicht aus Nostalgie aus der Mottenkiste geholt, sondern um dem liberalen ESC – der in der queeren Community beliebt ist und Diversität feiert – eine eigene Show mit «traditionellen Werten» entgegenzusetzen.
Am Samstagabend, dem 20. September, findet dieser internationale Musikwettbewerb in der Live Arena in Novoivanovskoye bei Moskau nun statt. Mit dabei sind 23 Länder von Kuba bis China, von den USA bis Saudi-Arabien und treten mit Musikschaffenden an, die alle in ihrer Muttersprache singen.
Und noch etwas ist anders als beim ESC: Abstimmen, wer gewinnt, darf nur eine Jury, nicht das Fernsehpublikum. Das könnte jedoch daran liegen, dass das Publikum zwischen Brasilien und China aufgrund der grossen Zeitverschiebung die Show nicht gleichzeitig schauen kann.
Dieser neu aufgelegte Intervision sei nicht nur ein politisches Statement nach aussen, sondern verfolge auch ein klares Ziel nach innen, sagt Russlandkorrespondent Calum McKenzie: «Man will dem russischen Volk auch diese Idee verkaufen, dass das Land jetzt neue Verbündete hat. Es wird versucht in den Mainstream zu rücken, dass man jetzt mehr mit China, Indien oder Brasilien zu tun hat. Denn die russische Bevölkerung ist durch die Geschichte und die Kultur nach wie vor westlich ausgerichtet.»
Dieser Intervision Contest ist aber keine Erfindung von Putin, es gab ihn schon mal in der Geschichte. Achtmal fand er statt, mitten im Kalten Krieg. Damals traten Länder aus dem Ostblock mit Liedern gegeneinander an.
Der historische Intervision Song Contest
1964 trafen sich in Helsinki Vertreter der beiden grossen Rundfunkorganisationen: der European Broadcasting Union (EBU) im Westen und der Organisation Internationale de Radiodiffusion et de Télévision (OIRT) im Osten.
Die OIRT schlug einen gemeinsamen internationalen Musikwettbewerb vor. Die EBU winkte ab. Sie stimmte aber dem Austausch von Programmen zwischen Ost und West zu. So gründeten die Ostblockstaaten parallel zum Grand Prix Eurovision ihren eigenen Wettbewerb, der sowohl im Eurovision-, als auch dem Intervision-Netzwerk ausgestrahlt wurde.
Der Brückenbauer Karel Gott
Auch der Intervision Song Contest war eine Form von Soft Power. Aber er war auch eine erfolgreiche Austauschplattform zwischen West und Ost, schreibt der ESC-Forscher Dean Vuletic in seinem Buch «Postwar Europe and the Eurovision Song Contest». Diesen Geist verkörpert niemand besser als der Sänger Karel Gott, der Sänger vom «Biene Maja»-Lied.
Er war der erste Gewinner des ISC für das Gastgeberland Tschechoslowakei im Jahr 1965 mit dem Song «Tam, kam chodí vítr spát» (Wo der Wind schlafen geht). Auch der Sieg im Jahr 1968 ging an Karel Gott mit «Proč ptáci zpívají?» (Warum singen die Vögel?). Dies war das Sprungbrett für eine internationale Karriere, auch im Westen.
Österreich rekrutierte Karel Gott noch im selben Jahr für den Eurovision Song Contest – wo er mit dem Lied «Tausend Fenster» antrat, eine Hymne, geschrieben von Udo Jürgens über die Entfremdung in der modernen Welt. Dass Karel Gott überhaupt für Österreich teilnehmen konnte, lag am Prager Frühling, der Zeit der Liberalisierung im Frühjahr 1968 in der Tschechoslowakei. Weil die Zensur gelockert wurde, konnte das tschechoslowakische Fernsehen mit dem österreichischen kooperieren.
Der Intervision war also nicht nur ein Ort, wo Manager aus dem Westen neue Talente rekrutierten, sondern auch Verhandlungsmasse für kulturelle Diplomatie. Als der Eiserne Vorhang fiel, wurden die ehemals sozialistischen Länder Teil der EBU und durften am ESC teilnehmen. Doch im Hier und Heute verschiebt sich die Song-Contest-Geografie wieder.
2025: «Rückkehr nach Russland»
Schon Anfang der 2000er-Jahre gab es Absichten und einzelne Versuche, den Intervision Song Contest zu reaktivieren. Laut wurden sie im Jahr 2014. Als Drag-Teilnehmerin Conchita Wurst den Eurovision Song Contest gewann, löste das in Russland eine Welle der Empörung aus, besonders unter konservativen Politikern.
Doch erst als Russland 2022 von der EBU ausgeschlossen wurde, wurden die Pläne konkret. Und am 12. Juni 2025 wurde eine grosse Uhr auf dem Manezhnaya-Platz neben dem Kreml in Moskau installiert, der die Tage bis zum ISC herunterzählt.
Was hier gross inszeniert ist, trifft im russischen Alltag aber auf keine grosse Resonanz, sagt Russlandkorrespondent Calum McKenzie: «Die russische Bevölkerung springt nicht enthusiastisch auf solche neuen Events auf. Eurovision war sehr populär in Russland und der Intervision Song Contest hat nicht dieselbe Aura, dieselbe Geschichte. Ich spüre in der russischen Bevölkerung nicht die grosse Begeisterung.»
US-Act auf privater Basis dabei
Für Gesprächsstoff sorgt hingegen die Teilnahme der USA am Intervision Song Contest. Sergey Lawrow bestätigte kürzlich an einer Pressekonferenz, dass die Teilnahme auf privater Basis des Künstlers geschehe, und nicht durch eine offizielle Delegation der USA. Auch in der Jury werden die USA nicht vertreten sein.
Bis vor Kurzem war der Singer-Songwriter B Howard aus Los Angeles mit seinem Song «We are Champions» angekündigt. Dieser hatte durch die Kontroverse Bekanntheit erlangt, er solle der Sohn von Michael Jackson sein. Diese Gerüchte wurden jedoch mehrfach widerlegt. Am Donnerstag zog er dann seine Teilnahme aus familiären Gründen zurück. Neu soll Vassy mit dem Party-Song «Midnight» für die USA ins Rennen gehen.
Freiheit als leere Worthülse
Inhaltlich dominieren Songs über Liebe, Hoffnung und Freiheit. Aber auch viel nationalistischer Pathos ist zu erwarten, zum Beispiel von Russland selbst, das den Putin-nahen Sänger Shaman ins Rennen schickt. Er wurde in Russland bekannt mit dem Song «Ja russkiy» («Ich bin Russe»).
«Ich bin Russe, ich kämpfe bis zum Ende. Ich bin Russe, das Blut meines Vaters fliesst durch mich», singt er im Refrain. In der Strophe beschwört er den Wind der Freiheit, der um ihn herum bläst. Der Song wurde nur wenige Monate nach dem Angriffskrieg auf die Ukraine veröffentlicht.
Wie Freiheit seitens der autoritären russischen Regierung definiert wird, erklärt Russlandkorrespondent Calum McKenzie: «Was Sergey Lawrow unter anderem mit Freiheit meint, ist, dass der Bevölkerung in Russland keine Diversität aufgezwungen werde. Sie stellen es immer so dar, als wäre LGBTQ-Präsenz in Westeuropa von oben befohlen worden. Der Intervision ohne diese Diversität sei dann quasi die natürliche Art der Dinge.»