Das Ende einer Ehe ist kein Tabu mehr. Es wird Material: für Serien, Alben, Imagewechsel, Reels. Als ästhetisches Ereignis inszeniert etwa «All’s Fair» das Ende einer Beziehung – die neue fiktionale Scheidungsserie mit Kim Kardashian.
Sie begleitet Anwältinnen in Los Angeles, die eine reine Frauenkanzlei führen. Hier wird die Scheidung zur Erzählung, der Rosenkrieg zum Stoff.
Auch die britische Popsängerin Lily Allen beerdigt eine Beziehung auf Albumlänge. «West End Girl» ist ein ausgestreckter Mittelfinger in Richtung untreuem Ex.
Und in sozialen Netzwerken werden Trennungen zur Story, Intimität zu Content. Influencer-Paare nutzen das Beziehungsende als Neuausrichtung ihrer Online-Persona. Auf Tiktok posten Menschen sogenannte «Breakup-Outros», kurze Abschiedsvideos am Ende ihrer Beziehung.
Eventagenturen bieten «Just Divorced»-Partys an, inklusive Motto-Deko und Catering. Das Ende wird in der Öffentlichkeit dekoriert, stilisiert, optimiert für die Aussenwelt. Aus Verletzung wird Reichweite.
Ungefiltert: Scheidung im wahren Leben
Und im Privaten? Ist es meist widersprüchlich. Unglamourös. Und nicht besonders fotogen. Hier erzählen Menschen, was sie an ihrer Scheidung am meisten überrascht hat. Ohne Befreiungsrhetorik. Ohne den schönen Neuanfang. Ohne Filter.
Anne, 52
«Mein Ex hat mich auf Unterhalt verklagt. Wie im Film – nur ohne Glamour. Er hat verloren, wir haben beide bezahlt. Teure Anwälte, verbrannte Nerven. Das Geld wäre in der Ausbildung der Kinder besser angelegt gewesen. Am Ende gab es keine Sieger, nur Quittungen. Bereut habe ich die Scheidung trotzdem nicht. Ich könnte vielleicht das zehnjährige Jubiläum feiern?»
Martin, 44
«Der schwere Teil lag davor. Bei der Richterin wars unspektakulär. Wir haben noch ein gemeinsames Selfie vor dem Gericht gemacht, seither haben wir nichts mehr miteinander zu tun.»
Mattheo, 43
«Wie schnell Gefühle kippen können. Aus Liebe wird Hass, aus Zuneigung Ablehnung. Man wird einander leid, obwohl man sich jahrelang nur Gutes tun wollte. Nach 15 Jahren entdeckten wir Seiten aneinander, die wir nie vermutet hätten.»
Luca, 39
«Dass die ersten Entscheidungen nach der Trennung – ein spontaner Wegzug, ein stilles Ja im falschen Moment – gewichtiger sind als jedes spätere Argument. Und dass Gerichte in alten Rollenbildern urteilen, als wäre die Vergangenheit Gesetz und nicht das, was nach der Trennung neu möglich wäre.»
Sabrina, 59
«Meine Scheidung war kein Fest, sondern eine Krise. Vor Gericht mussten wir noch einmal Ja sagen – zum Ende. Das war traurig. Ein Eingeständnis des Scheiterns. Erst Jahre und viele Gespräche später kam so etwas wie Frieden. Glücklich geschieden – das sagt sich erst, wenn es nur noch selten weh tut. Am schlimmsten war, dass die Kinder gelitten haben.»
Ursula, 64
«Es fühlt sich falsch an, jemanden, den man geliebt hat, nicht mehr ertragen zu können. Trotz allem war da aber auch Erleichterung. Die Einsamkeit in der Zweisamkeit verschwand. Es entstand Raum für ein anderes Leben. Ich habe nach der Scheidung meinen Beruf gefunden. Das war bei allem, was verloren ging, ein Glück.»
Carlo, 53
«Meine Scheidung war aufwühlend, aber befreiend. Ich fühlte mich jahrelang eingeengt, nie genug. Mir hat diese Beziehung immer mehr Energie genommen, als sie gegeben hat. Das Überraschendste war, wie leicht man sich nach 17 Jahren trennen kann. Schnitt. Weg. Ende. Ich habe den Kontakt abgebrochen, Nummern gesperrt – und es tat gut. Trotzdem spreche ich oft von ihr. Meistens positiv.»
Barbara, 45
«Am deutlichsten spürt man die Institution Ehe wohl in dem Moment, in dem man sie auflöst. Für mich war das eine höchst ersehnte, grosse Erleichterung – ein Befreiungsschlag innen und aussen.»
Holly, 38
«Mich hat weniger die Scheidung überrascht als die Reaktion darauf. Plötzlich war ich die, mit der man Mitleid hat. Als hätte ich etwas nicht geschafft – statt einfach entschieden, weiterzugehen.»
Flavio, 38
«Wie die Institution tickt: Mutter erzieht, Vater ernährt. Diese Schablonen stehen fest, selbst wenn das Leben längst anders aussieht. Am Ende bezahlt man dafür nicht nur finanziell – sondern im Gefühl, falsch verortet zu sein.»
Tina, 71
«Mich hat überrascht, dass sich Lebenszyklen wiederholen können. Wenn man sich selbst nicht verändert, landet man wieder in derselben Geschichte. Muster wiederholen sich, auch mit anderen Personen. Man nimmt sich selbst mit.»
Rafael, 59
«Scheiden ist der einfache Teil. Die Mühe steckt in den Stunden davor: im Aushandeln, im Schlucken, im Versuch, aus zwei Wahrheiten eine Lösung zu bauen. In der Mediation lernt man vor allem sich selbst kennen – meist unfreundlicher, als man gehofft hat.»
Susanne, 44
«Nach all dem langen komplizierten Hin und Her – Ärger, Spannung, Drama – war die Scheidung selbst plötzlich ruhig, sachlich, fast freundlich. Ein Moment des Unglaubens: Wars das! Dann Erleichterung.»
Mila, 44
«Ich habe mich vor sechs Jahren von meinem Mann getrennt. Geschieden sind wir bis heute nicht. Er wohnt im Gebäude gegenüber, ist mein bester Freund, immer da für unsere Tochter und mich. Es war keine Tragödie. Nur das Ende einer Ehe, das gut ausgegangen ist.»
Ignaz, 45
«Wir waren längst weitergezogen. Die Scheidung blieb zurück wie ein Formblatt, das noch ausgefüllt werden musste. Der Moment war überraschend still – als hätte das Leben längst entschieden.»
Tim, 53
«Überrascht hat mich, wie einfach die Scheidung letztlich war – wenn man sich einig ist. Keine Kinder, kein Streit, kein Schmerz. Und eine Klarheit, die hilft, vorwärts zu gehen.»
Am Ende bleibt vielleicht weniger Pathos, als Serien oder Reels versprechen – und mehr Menschlichkeit, als man denkt. Eine Scheidung ist kein Spektakel, sondern eine Bestandsaufnahme: von Nähe, Besitz, Erinnerung. Sie legt frei, was übrig bleibt, wenn die Geschichte endet. Und manchmal ist das genug.