«Für mich ist diese ganze Schenkerei wie ein Basar», sagt Stephanie, 40, Tierarzthelferin aus der Region Bern. Sie habe als Kind nie fröhliche Weihnachten gehabt, trotz der vielen Geschenke.
Erst im Gefängnis, wo sie eine Strafe wegen eines Betrugsdelikts verbüssen müsste und zweimal Weihnachten erlebte, habe sie ein friedliches Fest gehabt, fast ohne Geschenke. Heute lebt sie allein und beschenkt am liebsten ihre Tiere.
Ganz anders Karin Langobardi und ihre drei Töchter Julia, Mirjam und Vera aus Brittnau im Kanton Aargau. Sie beschreiben sich als leidenschaftliche Schenkerinnen.
Uns liegt Schenken einfach im Blut.
«Wir machen zu viert jedes Jahr zuerst Adventskalender und dann Weihnachtsgeschenke für Familie, Freunde, Nachbarn», erzählt Mutter Karin. «In dieser schwierigen Welt ist es doch wichtig, dass wir einander, auch mit kleinen Dingen, Freude machen», findet sie.
Das Leuchten in den Augen
«Uns liegt Schenken einfach im Blut», sagt auch Tochter Julia, 20, «wir machen das mit unserer Mutter von klein auf». Manchmal beginnen die vier schon im August mit ersten Vorbereitungen, erzählen sie. Sie überlegen, wer an welchem Geschenk Freude haben könnte, schreiben Listen und sammeln Ideen für Weihnachtskarten.
Dieses Jahr haben Karin und ihre Töchter für die Adventszeit 20 Kalender verschenkt, jeder besteht aus 24 kleinen Geschenken.
Das ist auch logistisch eine Herausforderung. «Schon für die Adventskalender ist hier drin dann alles voll, wenn wir beginnen», beschreiben die vier das Wohnzimmer, «auf dem grossen Tisch die Säcklein, geordnet nach den Personen, dann das Papier, die Kärtchen», die Stube im Hause Longobardi wird zur Geschenkwerkstatt.
Es sind bewusst kleine Geschenke, die Karin, von Beruf Kindergärtnerin, und ihre Töchter machen. Ein Paar Socken mit einem Fünfliber für den Gottenbub, eine selbstgemachte Müeslimischung, auch mal etwas kleines Süsses.
«Wir schenken fürs Leben gern», sagt Karin Longobardi, «und die Freude, die wir zurückerhalten, das Leuchten in den Augen der anderen, das ist doch etwas Schönes! Die Welt ist schon schwierig genug.»
Auch an die Tiere im Wald wird gedacht
Am 24. Dezember feiern Longobardis auch Weihnachten wohl etwas auf andere Art als viele andere. «Wir nehmen immer den hässlichsten Weihnachtsbaum, den keiner will», erzählen die vier. Einmal hätten sie sogar einen aus dem Container geholt.
Und das Fest beginnt um halb acht morgens. «Dann müssen wir nicht bis am Abend warten, bis wir uns gegenseitig unsere Geschenke geben und auspacken dürfen.» Weihnachten am Morgen: Darum gibt’s hier auch einen reichhaltigen Brunch statt eines opulenten Nachtessens. «Nach dem Brunch», sagt Karin, «nehmen wir alles, was übrigbleibt, machen schöne Teller daraus und bringen diese den Nachbarn».
Die Waldtiere sollen auch ein Weihnachtsgeschenk haben.
Meist unternehmen sie dann noch einen Waldspaziergang, «dort bringen wir den Mäuschen auch was», sagt Tochter Vera. Den Mäuschen? «Ja, für die Waldtiere legen wir Nüsschen im Wald aus, die sollen auch ein Weihnachtsgeschenk haben.»
«Die Leute drehen durch»
Die ausgebildete Tierarztassistentin Stephanie steht dem Brauch kritisch gegenüber. Sie gehört zu den Menschen, die generell auf Weihnachtsgeschenke verzichten wollen. «Ich denke manchmal schon in der Vorweihnachtszeit beim Einkaufen: Die Leute drehen durch», sagt sie im Gespräch auf einem Spaziergang mit ihren Hunden.
Tiere sind Stephanies wichtigste Gefährten. Zu ihrem Haushalt gehören fünf Hunde, Meerschweinchen und ein alter Kater. Auch um Pferde kümmert sie sich. Stephanies Abneigung gegen «die Schenkerei zu Weihnachten», wie sie das nennt, hat auch mit ihrer Lebensgeschichte zu tun.
Auf dem Spaziergang erzählt die 40-jährige: «Wir hatten in meiner Kindheit keine schönen Weihnachten, Streit war normal.» Dafür hätten sie als Kinder Geschenke im Überfluss erhalten. «Trotzdem war ich nie glücklich damit.»
Keine Geschenke, friedliche Atmosphäre
Von 2016 bis Ende 2017 musste Stephanie in der JVA Hindelbank eine Gefängnisstrafe absitzen, wegen eines Betrugsdelikts. Auch diese Zeit hat ihr Verhältnis zu Weihnachten und Geschenken geprägt, allerdings anders, als ihre Kindheit: «In Hindelbank hatte ich schöne Weihnachten, weil man einfach zusammen sein konnte, zusammen reden, alle, die das wollten. Niemand musste dabei sein.»
Vielleicht gerade, weil es im Gefängnis keine, oder nur bescheidene Geschenke gegeben habe, sei die Atmosphäre auch friedlich gewesen. «Wir durften uns gegenseitig nichts schenken. Die Heilsarmee hat jeder Frau ein kleines Päckli zusammengestellt, mehr war nicht, aber das war schön.»
Ich gehe dem ganzen Rummel lieber aus dem Weg.
Stephanie betont, dass sie Freundinnen oder Bekannte über das Jahr hinweg gern eine Kleinigkeit schenke. «Mir ist wichtig, dass es meinem Umfeld gut geht, und wenn ich sehe, dass ich jemandem einen Gefallen tun kann, eine kleine Freude, dann mache ich das gern.»
Problematisch finde sie, wenn man einfach irgendetwas schenke, nur weil das dazu gehöre. «Dann siehst du, wie die Päckli aufgerissen, rasch wieder weggelegt und bald vergessen werden. Das ist doch schade!» Weihnachten selber verbringt Stephanie immer allein, respektive mit ihren Tieren. «Ich freue mich für alle, die es in Gesellschaft schön haben an Weihnachten, aber ich gehe dem ganzen Rummel lieber aus dem Weg.»
Mehr «geben» und «bekommen»
Die Geschichten von Karin und ihren Töchtern, die mit Leidenschaft schenken und Stephanie, die Weihnachtsgeschenke eher skeptisch sieht, zeigen, dass die Idee von Schenken sehr unterschiedlich empfunden wird. Hier das Gefühl von Nächstenliebe in Form von Geschenken, dort die Abneigung gegen Geschenke im Überfluss. Die beiden Geschichten zeigen aber auch, dass Geschenke mehr sind als ein einfaches «Geben» oder «Bekommen».
Es geht um Kommunikation, um Beziehung, manchmal vielleicht auch um Erziehung, wenn das Geschenk zum Beispiel ein Anliegen der schenkenden Person an den oder die Beschenkte enthält. Auch ein Stück Risiko ist im Schenken enthalten, weil man oft nicht ganz sicher sein kann, ob das Geschenk denn tatsächlich gefällt.
Darum bewahren viele, für den Notfall, die Kaufquittung auf. Vielleicht liegt gerade in dieser Unsicherheit der Zauber des Schenkens – weil jedes Geschenk auch ein kleines Wagnis ist, das Nähe schaffen kann.