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Wenn der Kinderwunsch zum Trennungsgrund wird
Aus Input vom 16.04.2023. Bild: Matthias von Wartburg
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Streitpunkt Kinderwunsch Konflikt bei der Kinderfrage: eine Zerreissprobe für Paare

Ein einseitiger Kinderwunsch kann Beziehungen beenden. Zwei Paare geben einen intimen Einblick in ihren Konflikt.

Es war ein 1. August, als sich Janina und Manuel ein Ultimatum setzten: Bis Ende Jahr soll die Kinderfrage geklärt sein.

Sie wollte Kinder, er nicht. Kinder seien für ihn nie ein Thema gewesen, sagt Manuel. «Ich habe mich gar nie mit dem Gedanken beschäftigt.» Der 37-Jährige ist in der Gastro- und Eventbranche tätig. «Ich wollte Kinder», sagt seine Partnerin Janina. Sie ist 34 und arbeitet als Selbständige in der Kommunikation.

Foto des Paars in den Ferien
Legende: Manuel und Janina auf einem Ferienfoto. Das Liebesglück wird nach einigen Jahren vom Kinderwunsch überschattet. Matthias von Wartburg

Als der Konflikt mit dem Kinderwunsch auf den Tisch kam, waren sie seit gut drei Jahren ein Paar. Sie wohnten in der gemeinsamen Wohnung, ein Kind wäre der nächste Schritt gewesen.

Dass Manuel nicht sofort einwilligte, beunruhigte Janina damals nicht: «Ich ging davon aus, dass der Kinderwunsch bei ihm auch noch kommt.» Deadline: Ende Jahr.

Wenn der Kinderwunsch Paare entzweit

Die Frage, ob man Kinder hat, ist so grundlegend, dass manche Beziehungen daran scheitern. Paartherapeutin Veronika Schmidt sagt, der Konflikt in der Kinderfrage eskaliere oft, weil zu lange zu schlecht kommuniziert wird. «Es fallen Sätze wie, ‹ich ging davon aus›, oder ‹ich habe immer angenommen›. Das zeigt, dass sie nie konkret über das Thema gesprochen haben.»

Veronika Schmidt

Veronika Schmidt

Paartherapeutin und Autorin

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Veronika Schmidt begleitet seit 20 Jahren Paare in ihrer Praxis in Schaffhausen.

Es sei essenziell, dass Paare ihre Bedürfnisse in dieser Frage klar formulieren, sagt Schmidt. Bei unausgesprochenen Erwartungen sei die Gefahr gross, dass es zu Missverständnissen und dann zum Konflikt kommt.

Karriere statt klassisches Modell

Bei Alain und Beatrice sind die Vorzeichen andersrum: Er wollte Kinder, sie nicht.

Beatrice, 36, hat eine Kaderposition in einem Industriebetrieb. Alain, 35, ist Schreiner und Projektleiter. Er hatte immer die klassische Vorstellung: «Die Frau fürs Leben finden, heiraten, ein Haus kaufen und dann Kinder kriegen.»

Das Paar sitzt auf dem Sofa.
Legende: Seine Idee: Heiraten, Haus kaufen, Familie gründen. Doch davon hielt Beatrice nicht sehr viel. Matthias von Wartburg

Beatrice hatte nie einen Kinderwunsch: «Ich konnte mir nie vorstellen, dass Muttersein mein Lebensinhalt wird.» Sie identifiziert sich eher über ihre berufliche Karriere.

Alain und Beatrice waren erst Anfang 20, als sie ein Paar wurden. Kinder waren lange kein Thema. «Wir hatten das nie konkret angesprochen», sagt Alain. Beatrice ergänzt: «Angesprochen wurde es zwar nie, für mich war aber schon damals klar, dass ich keine Kinder will.»

Zerreissprobe für die Beziehung

Die beiden hatten die Kinderfrage lange vor sich hergeschoben. Beatrice machte eine Weiterbildung nach der nächsten. Es war nie der richtige Zeitpunkt. Irgendwann kam das Thema dann doch auf den Tisch und Beatrice redete Klartext: «Ich kann mir nicht vorstellen, Kinder zu kriegen.»

Wenn ich mich gegen Kinder entscheide, müssen wir uns trennen.
Autor: Beatrice

Für Alain brach eine Welt zusammen. «Ich kam an den Punkt, wo ich mich fragen musste, was ist mir wichtiger: Meine Frau oder der Kinderwunsch.» Alain entschied sich für die Beziehung.

In ihrem Umfeld löste der Entscheid auch Unverständnis aus. «Als Frau keine Kinder zu wollen, passt nicht in die Gesellschaft», sagt Beatrice. Oft sei sie für ihre Haltung belächelt worden.

Vom Hamsterrad in die Achterbahn

Nach dem Klartext von Beatrice war das Problem nicht gelöst. Das Paar war gefangen im Alltagstrott. Während rund vier Jahren lebten sie aneinander vorbei. «Wie im Hamsterrad», sagt Beatrice heute.

Bis Alain in einem Streit sagte, was ihn umtrieb: «Tief in mir drin fehlt irgendetwas.» Alain sagte, der Kinderwunsch sei zu gross, als dass er ihn ignorieren könnte. Für das Paar begann eine turbulente Zeit. Aus dem Hamsterrad wurde eine Achterbahn.

Alain ist jemand, der eher Mühe hat, klare Entscheidungen zu treffen. Für Beatrice wurde klar: «Wenn ich mich gegen Kinder entscheide, müssen wir uns trennen.»

Ausweg: Trennung

Zurück zu Janina und Manuel. Nachdem sie sich ein Ultimatum gesetzt hatten, ging er zu einer Therapeutin und suchte nach Antworten, warum für ihn Kinder kein Thema waren. «Je mehr ich mich damit auseinandersetzte, desto gefestigter wurde ich, dass ich keine Kinder will.»

Wenn du Kinder willst und er keine, dann musst du dich trennen.
Autor: Freundinnen von Janina

Janina war vor den Kopf gestossen. Sie war überzeugt, dass sich ihr Partner ein paar Monate mit der Kinderfrage befassen muss, und dann werde es eine klare Sache sein. «Als sich die Situation anders darstellte, war ich überfordert. Ich habe mich nicht darauf eingestellt», so Janina.

Manuel wollte nicht, dass sie seinetwegen ihren Kinderwunsch nicht erfüllen konnte. Er war bereit, sie loszulassen. Und die Ratschläge im Umfeld von Janina waren deutlich: «Wenn du Kinder willst und er keine, dann musst du dich trennen.»

Bei beiden Paaren, Janina und Manuel sowie Alain und Beatrice, stand die Beziehung wegen der Kinderfrage auf der Kippe. Bei einem Paar kam es zur Trennung.

Wer Nein sagt, gibt den Ton an

Ein ungleicher Kinderwunsch sieht wie eine klassische Pattsituation aus. Die Kräfteverhältnisse in dieser Frage seien aber klar verteilt, sagt die Paartherapeutin Veronika Schmidt. «Wer Nein sagt, sagt, wie es läuft.» Ein Nein könne nur durch Zwang zu einem Ja werden und das gehe nicht. «Das ist auch beim Sex so. Wer weniger Sex will, bestimmt das Sexleben», so Schmidt.

«Sobald sich ein Paar in diesem Konflikt klar wird, wer die stärkere Position hat, wird es einfacher.» Für die Person, welche den Kinderwunsch vielleicht loslassen müsse, könne das helfen. «Man kann sich dann sagen, ich hätte mir Kinder gewünscht, aber die andere Person hat anders entschieden.»

Manchmal muss man mutig sein und sich trennen.
Autor: Veronika Schmidt Paartherapeutin

Wer Nein sagt, solle aber auch Verantwortung dafür übernehmen, so Schmidt. Dann könne die andere Person auch besser trauern. Denn einen Kinderwunsch loszulassen, sei mit einem Trauerprozess vergleichbar.

Aber was soll man nun tun? Jemanden wegen des unterschiedlichen Kinderwunsches verlassen, oder auf Kinder verzichten? «Es kommt auf die Beziehung an», sagt die Paartherapeutin: «Wenn ich die andere Person wirklich liebe und mit ihr zusammen sein möchte, dann muss ich mich fragen, ob mein Glück allein von Kindern abhängt.»

Und was, wenn die Beziehung auch ohne den Kinderwunsch-Konflikt schwierig war? «Dann muss man vielleicht mutig sein und sich trennen», sagt Veronika Schmidt.

Ende des Liebesglücks

Bei Janina und Manuel kam es zum Bruch. Sie zogen aus der gemeinsamen Wohnung aus. In der Zeit nach der Trennung machte sich Janina grundlegende Gedanken: Woher kam der Kinderwunsch? Sie versuchte, das gesellschaftliche Paradigma «Jede Frau sollte Kinder haben» zur Seite zu schieben und in sich hineinzufühlen. Wie würde ein Kind wirklich zu ihr und in ihr Leben passen?

«Ich kam schnell zum Schluss, dass ich nicht einfach mit dem nächstbesten Mann ein Kind haben möchte», sagt Janina. Sie und Manuel trafen sich weiterhin. «Wir konnten plötzlich ohne Druck über das Kinderthema reden», erinnert sich Manuel. Dabei hätten sie gemerkt, dass sich bei Janina gedanklich langsam etwas veränderte.

Ein Paar in ihrer Wohnung steht und blickt aus dem Fenster.
Legende: Für Janina und Manuel wurde der Kinderwunsch zur Zerreissprobe – es kam zur Trennung. Matthias von Wartburg

Sie habe gemerkt, dass ihr Kinderwunsch hauptsächlich auf gesellschaftliche Erwartungen aufgebaut war. «Mit der Zeit legte ich den Fokus darauf, was in einem kinderfreien Leben alles möglich wird.»

Kinderfrei: Vom Umfeld infrage gestellt

Nach einem Jahr Trennung wurden Janina und Manuel wieder ein Paar. Die Kinderfrage war geklärt. Im Umfeld gab es viele, die an der Entscheidung von Janina zweifelten. Das fand sie unfair. Jemand, der nie Kinder wollte und dann in kürzester Zeit seine Meinung dem Partner zuliebe ändert, dem werde sofort geglaubt, so Janina. «Ich, mit der umgekehrten Variante, wurde von allen Seiten infrage gestellt.»

Hat sie denn nicht Angst, diesen Entscheid zu bereuen? Nein, sagt sie: «Ich bin dankbar, dass ich gezwungen war, meinen Kinderwunsch kritisch zu hinterfragen.» Eine Garantie habe man nie, sagt sie weiter. «Auch wer Kinder hat, ist nicht davor gefeit, dies einmal zu bereuen.»

Auf den Kompromiss kommt es an

Auch bei Alain und Beatrice hat sich die Kinderfrage geklärt. Alain hält die Antwort auf seinem Arm. «Vor acht Wochen ist unsere Tochter zur Welt gekommen. Sie ist unser neues Glück», sagt Beatrice.

Das Paar sitzt am Tisch. Alain hält die Tochter auf dem Arm.
Legende: Kompromiss zum Kind: Dafür soll es bei einem Kind bleiben. Matthias von Wartburg

Sich wegen des unterschiedlichen Kinderwunsches von Alain zu trennen und nochmal eine neue Beziehung aufzubauen, war es ihr nicht wert.

Zwei-, dreimal habe ich auch gedacht, eigentlich will ich doch kein Kind.
Autor: Beatrice

Beatrice hatte aber klare Bedingungen. Sie geht nach der Babypause 80 bis 90 Prozent zurück in ihren Beruf. Alain reduziert auf 60 Prozent und übernimmt den grösseren Teil der Kinderbetreuung.

Die ersten acht Wochen seien sehr intensiv gewesen, sagt Beatrice. Manchmal habe sie auch an der Entscheidung gezweifelt. «Zwei-, dreimal habe ich auch gedacht, eigentlich will ich doch kein Kind.» In diesen Momenten sei sie froh um die Unterstützung und den Beistand von Alain.

Bleibt es also bei einem Kind? «Ja, das war der Deal», sagt Alain. Er hätte sich auch zwei oder drei Kinder vorstellen können. «Das war der Kompromiss: wenn Kinder, dann ein Einzelkind», sagt Alain und Beatrice fügt an: «Ein Kompromiss für ein Thema, bei dem es eigentlich keine Kompromisse gibt.»

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Radio SRF 3, Input, 16.04.2023, 20:03 Uhr

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