«Die Tochter schätzt die Hilfe, wünscht sich aber sofort mehr Distanz, sobald die Mutter ihr Haus betritt.» Wer so einen Satz liest, denkt vielleicht: Kenn ich. Und dann: Mist, ja. Es ist das ewige Schwanken zwischen Dankbarkeit und Genervtheit, zwischen Nähe und Enge, zwischen «Danke, Mama» und «Geh bitte wieder».
Sarah Trentzsch, Psychologin und Beraterin, hat ein Buch darüber geschrieben. Nicht als Therapeutin, die alles besser weiss, sondern als Frau, die viele andere hat sprechen hören. «Wofür wir Töchter unsere Mütter brauchen» ist eine Annäherung an eine komplizierte Nähe. Die Beziehung zur Mutter. Ausgehend von der Wut der erwachsenen Töchter.
Zwischen Nähe und Kontrolle
Das Buch beginnt mit einer stillen Provokation: Die Tochter schaut – immer. «Wie geht’s Mama?» Wenn alles gut ist, darf sie Kind sein, oder als Erwachsene frei. Wenn nicht, ist sie abrufbereit – innerlich, jederzeit. Die Forderung des Buches: sich davon nicht länger steuern zu lassen.
Dazwischen ein ständiger Drahtseilakt zwischen Kontrasten: Nähe, die erst tröstet – und dann zu viel wird. Liebe, die kippt und als Kontrolle zurückkommt. Töchter, die frei sein wollen – und Mütter, die das persönlich nehmen.
«Mütter merken oft gar nicht, wie sehr die Tochter mit ihnen beschäftigt ist. Wie sehr sie innerlich auf sie ausgerichtet bleibt», sagt Trentzsch im Gespräch. «Frauen in meiner Praxis erzählen, dass sie mit 40, 50 noch immer das Gefühl haben, ihrer Mutter etwas schuldig zu sein – als müssten sie es ihr recht machen, statt einfach ihr eigenes Leben zu leben.»
Wir geben Belastungen von Frau zu Frau weiter.
Es geht Trentzsch nicht um Versöhnung, sondern um Verstehen. Um das überhöhte Ideal der Mutterrolle, das wenig Spielraum lässt für Widersprüche. Um das Begehren der Mutter jenseits von Haushalt und Kind. Um Töchter, die stützen, wo sie gehalten werden sollten. Um Fürsorge, die zur Schuld wird, weil sich die Tochter zu oft zuständig fühlt.
Schnell wird klar: Diese Beziehung, uralt, gesellschaftlich geprägt, emotional überladen, ist nicht nur privat. Sie betrifft uns alle. «Wir geben Belastungen von Frau zu Frau weiter», sagt Trentzsch.
Undankbare Töchter?
Im Zentrum stehen nicht nur ihre psychologischen Analysen, sondern auch Erfahrungen. Fünf Frauen erzählen, was es heisst, Tochter zu sein. Etwa Elena, 45 Jahre alt: «Diese Leidenschaft, es allen recht zu machen, lieb sein, keine Ansprüche zu haben – das ist wirklich gruselig.» Oder Nicole, 49 Jahre alt: «Meine Mutter war auf eine schweigsame Weise aggressiv.» Und Anouk, 39 Jahre alt: «Mein grösster Vorwurf ist, dass es immer um sie ging.» Was sie erzählen, klingt mal wehleidig, mal verdächtig vertraut.
Töchter lernen früh, dass Wut unerwünscht ist.
Und die Söhne? Trentzsch findet Gründe, warum die Beziehung von Söhnen zu ihren Vätern oder Müttern eben nicht dasselbe ist. «Jungs wird mehr Differenz zugestanden», sagt Trentzsch. Mehr Raum, mehr Wut, mehr Welt. Sie können sich ungestraft lösen. «Männer gehen mehr über Hierarchie und Abgrenzung in Kontakt zueinander.» Mädchen nicht. Deren Differenz werde moralisch vermessen: als Undank, als Abkehr, als Illoyalität.
Aggression, sagt Trentzsch, ist nicht das Problem – ihre Abwesenheit ist es. «Töchter lernen früh, dass Wut unerwünscht ist.» Was bleibt, ist Anpassung mit innerem Druck: das Dauerlächeln, das nie ganz stimmt. «Dabei ist Aggression kein Beziehungsbruch – sie ist ein Zeichen von Lebendigkeit», sagt Trentzsch. Und Wut verschwindet nicht – sie kehrt zurück, als Müdigkeit, Selbstzweifel, stille Erschöpfung.
Unerfüllte Träume
Trentzsch beschreibt, wie Mütter nicht nur durch ihr Verhalten prägen, sondern auch durch das, was sie selbst nie leben durften. Ihre unerfüllten Träume, ihr Schweigen, ihre Opfergänge schreiben sich fort – in Töchter, die sich schuldig fühlen für das Unglück anderer.
Das Überraschende: Trentzsch tastet das Tabu der weiblichen Konkurrenz an. Sie schreibt über den Neid der Mütter auf ihre Töchter, über die oft stumme Rivalität um Raum, Glück und Sichtbarkeit. Über die Weigerung, der Tochter jene Freiheit zu geben, die die Mutter selbst nie hatte. Das ist ungemütlich. Und fast unverständlich, wenn man es nicht kennt.
Das Buch macht keinen Hehl daraus: Es geht um mehr als familiäre Schieflagen. Trentzsch denkt die Mutter-Tochter-Beziehung als gesellschaftlichen Raum – als Ort, an dem Begehren, Fürsorge, Ohnmacht und Macht neu verhandelt werden müssen. Sie will Mütter entidealisieren, Töchter entlasten. Denn erst, wenn die Mutter nicht alles ist, kann die Tochter jemand sein. Und umgekehrt.
Lieben, ohne zu klammern
Wie man dieses Buch liest, hängt wohl auch davon ab, wo man steht – als Tochter, als Mutter, als Mutter kleiner Töchter mit dem Wunsch, alles besser zu machen. Aus dieser Perspektive kann leicht der Eindruck entstehen: Am Ende liegt wieder alles bei der Mutter.
Trentzsch verlangt von ihnen, dass sie sich selbst genügen, ihre Töchter loslassen, die eigenen Enttäuschungen durchleuchten und zugleich nicht auf ihre mütterliche Rolle verzichten. Sie sollen lieben, ohne zu klammern, fördern, ohne zu vereinnahmen – kurz: alles richtig machen, was ihnen niemand vorgemacht hat. Es liest sich wie ein Appell an Frauen, die alles schultern. Fast unmenschlich. Und doch irgendwie notwendig.
Dass Trentzsch dabei oft vom Einzelfall zur strukturellen Diagnose springt, macht ihr Buch angreifbar. Es fehlt die Trennschärfe zwischen individuellem Erleben und dem Anspruch, daraus allgemeine Tendenzen abzuleiten. Und doch bleibt ihre zentrale Forderung bestehen – nicht als Abrechnung, sondern als Einladung zur Aufrichtigkeit: Es reicht nicht, wenn Töchter sich befreien. Die Mutter muss es auch wollen.