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Heimatschutz oder Tabula Rasa? Debatte um Kulturbauten: Sanieren oder abreissen?

Die Zukunft des Zürcher Schauspielhauses Pfauen ist ungewiss. Ein Blick zurück zeigt: Die Debatte um Abriss oder Erhalt von Kulturbauten kennt man gut in der Schweiz.

Der Standort Pfauen des Schauspielhauses Zürich ist baulich in einem schlechten Zustand. Das Haus entspricht nicht mehr den Anforderungen eines modernen Theaters.

Das Publikum ist mit schlechter Sicht und Akustik konfrontiert, die extrem engen Platzverhältnisse im Bühnenbereich schränken die künstlerischen Möglichkeiten von Regie und Schauspiel ein. Kurzum: Der Zürcher Stadtrat ist besorgt.

Um den Pfauen fit für eine erfolgreiche Zukunft zu machen, gibt es für ihn darum eigentlich nur eine Lösung: Der Pfauensaal wird aus dem Inventar der Denkmalpflege entlassen, damit es für Bühne und Zuschauersaal einen Ersatzbau gibt. Die stimmungsvolle Fassade am Heimplatz dürfte stehenbleiben.

Diese Idee versetzt den Heimatschutz und viele Theaterbegeisterte in Rage. Für sie ist der Pfauensaal ein sozial- und kulturhistorisches Denkmal. Namhafte deutsche Schauspielerinnen wie Therese Giehse und Schauspieler wie Wolfgang Langhoff haben zu Zeiten des Naziterrors hier Asyl gefunden und das Haus künstlerisch zum Strahlen gebracht.

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Stücke von Bertold Brecht wurden hier uraufgeführt. Dieser Stützpunkt der geistigen Landesverteidigung und des Widerstandes während des Zweiten Weltkriegs könne nicht einfach den Komfortansprüchen und Anforderungen zeitgenössischer Inszenierungsformen geopfert werden, lautet der Vorwurf.   

Dieser Nasenstüber hat den Zürcher Stadtrat vorsichtig gemacht. Darum hat er für die Sanierung und Modernisierung des Pfauensaals vier Varianten ausarbeiten lassen. «Bestandessanierung» ist die Minimalvariante. Die Variante «Umfassende Erneuerung» sieht einen Ersatzneubau für Bühnen und Saal vor.

Der Stadtrat hat bereits eine Favoritin: den Ersatzbau. Es sei mit 115 Millionen Franken die billigste Lösung mit dem höchsten Nutzwert. Als Vergleich: Eine sanfte Sanierung würde sieben Millionen mehr kosten und nur halb so viel Nutzwert bringen.

Ein mit Theatergeschichte getränkter Saal oder ein Ort für zeitgemässes Theater? Das Dilemma ist gross. Auch wenn der Fall für den Stadtrat klar ist: Das letzte Wort haben der Gemeinderat und später die Stimmbürgerinnen.

In Zürich ist eine leidenschaftliche Debatte angerollt. Ein Blick zurück zeigt aber, dass das Ringen um den Pfauensaal nicht neu ist.

1964 präsentierte der dänische Architekt und Pritzker-Preisträger Jørn Utzon, der in Sydney mit dem Bau seiner berühmten Oper begonnen hatte, Pläne für ein neues Schauspielhaus in Zürich. Sein Projekt hätte beinah den ganzen Heimplatz besetzt.

Die Jury des Architekturwettbewerbes hatte Utzons Vorschlag aus knapp 100 Eingaben ausgewählt. Max Frisch war Mitglied dieser Jury.

Futuristisches Gebäude aus Beton
Legende: Um Jorn Utzons Pläne für das Schauspielhaus in Zürich entbrannte in den 1960er-Jahren eine Debatte. Das Projekt scheiterte schliesslich. (Bild: Visualisierung) VIRTUAL DESIGN UNIT GMBH, ZÜRICH

Seine anfängliche Begeisterung verwandelte sich in Skepsis. Frisch kritisierte den riesigen Theatersaal: «Theater beruht auf einer erotischen Magie der leiblichen Anwesenheit.»

Frisch war überzeugt, dass es für gutes Theater Enge braucht. Und dies bot der Pfauensaal. Auch damals entbrannte die Debatte. Utzons Projekt, das das Zeug zum Kulturleuchtturm gehabt hätte, scheiterte.

Während in Zürich die Theaterdebatte dampft, lohnt sich ein Blick zurück auf andere Beispiele. Denn auch in anderen Kulturhäusern wurde das räumliche Korsett zu eng und deren Veränderung heiss debattiert – mit unterschiedlichen Ausgängen.

Das KKL: Der Kultur-Supertanker, der mehr kann

1996 donnert in Luzern die Abbruchbirne auf das alte Kunst- und Kongresshaus nieder. Luzern wollte auf zu neuen Ufern und war bereit, das vorbildliche Gebäude von Armin Meili zu opfern. 1933/34 wurde es gebaut, um Konzerte der Extraklasse stattfinden zu lassen und ein internationales Publikum anzuziehen.

«Schon die Mitwirkung berühmter Dirigenten würde eine Sensation bedeuten und die Veranstaltungen durch ihre propagandistische Wirkung auch wirtschaftlich rechtfertigen», heisst es in einem Protokoll der Initiantinnen der Internationalen Musikfestwochen aus den 1930er-Jahren. Jahrzehnte später ist das Kunst- und Kongresshaus zu mickrig geworden, die schlechte Akustik ein Ärgernis.

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Die Verlegerin und Mäzenin Alice Bucher schenkt der Stadt 960’000 Franken für die Durchführung eines Architekturwettbewerbs. Der französische Architekturmagier Jean Nouvel gewinnt den Wettbewerb.  

Blick auf das KKL Luzern von aussen
Legende: Viel Wasser um und durch das Gebäude: Der Architekt Jean Nouvel erschuf das KKL in Luzern wie ein Schiff auf dem See. © KKL Luzern

Nouvel wollte das KKL wie ein Schiff in den See hinausbauen. Das löst Proteste aus. Stattdessen gruppiert er die drei Gebäudeteile Konzertsaal, schwarzer Saal und das Kunsthaus wie Schiffe nebeneinander, zieht Wasserkanäle ins Haus und legt dem Ganzen ein enormes, weit auskragendes Dach obendrauf.

Ohne eigentliche Oppositionsbewegung haben die Luzernerinnen und Luzerner einen Kredit von 94 Millionen Franken bewilligt. Selbst der spätere Geschäftsführer des Schweizer Heimatschutzes, Adrian Schmid, hat für den Neubau geweibelt und hat den Verlust eines architekturhistorisch interessanten Gebäudes in Kauf genommen. Warum? Ganz einfach: Schmid war überzeugt, dass Luzern so etwas Grossartiges erhält.

Tatsächlich hat das KKL architektonische und akustische Massstäbe gesetzt. Die Internationalen Musikfestwochen heissen heute Lucerne Festival. Als Intendant hat Michael Häfliger es geschafft, das Festival zu öffnen und neue Musik und jungen Akteuren ordentlich Platz zu bieten.

2016 hat das KKL erstmals eine über eine Milliarde Franken Wertschöpfung ausgelöst. Der Kultursupertanker, der stolze 226.5 Millionen gekostet hat, ist auf Kurs.

Das Zürcher Kongresshaus: Eine Architektur-Ikone überlebt

Was Luzern glanzvoll mit dem KKL geschafft hat, bringt Zürich mit links zustande, wird sich der Zürcher Stadtrat mit Blick auf das marode Kongresshaus mit Baujahr 1939 gedacht haben.

Auch er lancierte einen internationalen Architekturwettbewerb. Das Projekt des renommierten spanischen Architekten Rafael Moneo ging als Sieger hervor. Allerdings hatte der Stadtrat die Rechnung ohne die Architektenschaft gemacht.

«Rettet das Kongresshaus!» – mit diesem Schlachtruf stieg ein Komitee in den Abstimmungskampf und brachte den Zürcherinnen ein Stück Architekturgeschichte bei.

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Diese lautet wie folgt: Auf die legendäre Landi hin hat das Architekten-Trio Haefeli Moser Steiger 1939 das Kongresshaus in Windeseile gebaut. Sparsam gingen die Architekten mit dem damals raren Baumaterial um und schufen trotzdem einen Bau mit fantastischen Raumstimmungen und heiterer Dekoration. Damit boten sie elegant der dogmatischen, auf Einheitlichkeit ausgerichteten Moderne Paroli.

Das Zürcher Kongresshaus wurde für Jahrzehnte zum Leitgebäude für die Schweizer Architektur. Auch wenn das Kongresshaus durch teure Umbauten verunstaltet worden sei, sei das Haus ein erstklassiges Baudenkmal voller Schweizer Geschichte. Ein Denkmal, das nicht durch einen drittklassigen, groben Klotz ersetzt werden dürfe, argumentierte das Komitee.

Visualisierung vom Kongresshaus Zürich
Legende: Die Zürcherinnen und Zürcher haben 2016 dem Kredit für Instandsetzung und Umbau von Kongresshaus und Tonhalle mit überwältigender Dreiviertel-Mehrheit zugestimmt. Kongresshaus Zürich AG

Viele Zürcherinnen und Zürcher schauten sich das ursprüngliche Kongresshaus zum ersten Mal richtig an und erkannten seinen Wert. Im Juni 2008 lehnte das Stimmvolk die Weisung des Stadtrates ab. 2016 genehmigte es mit einem wuchtigen Ja rund 240 Millionen Franken für den Umbau und die Sanierung von Kongresshaus und Tonhalle.

Wie St. Gallen zum Gratis-Theater kam

Als «schönstes Theater der Schweiz» wurde das St. Galler Stadttheater 1857 mit Mozarts «Don Giovanni» eröffnet. 100 Jahre später hatten sich Geschmack und Ansprüche verändert: Der klassizistische Bau von Johann Christoph Kunkler schien den St. Gallern doch etwas dürftig. Man wünschte sich einen grosszügigen Neubau und fand einen guten Bauplatz am nahen Stadtpark.

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Um möglichst günstig zu einem Neubau zu kommen, wurde das stattliche Stadttheater kurzerhand an den Meistbietenden, den Warenhauskonzern Maus Frères, 1960 verkauft. Maus Frères zahlte sieben Millionen und hatte vor, das Gebäude abzureissen, um ein Warenhaus zu erstellen.

Mit diesem Geld kam St. Gallen 1968 quasi gratis zu einem neuen Theater. Der Bau des Architekten Claude Paillard zeigt sich von aussen als hochaufragende Betonskulptur, die auf einem regelmässigen Sechseck steht.

Das ergibt spannende Wege im Innern und ideale Sichtverhältnisse für die Zuschauerinnen und Zuschauer im Theatersaal. 50 Jahre später hat die St. Galler Kantonsbevölkerung einen Sanierungskredit von 48 Millionen Franken bewilligt.

Blick auf ein betonartiges Gebäude
Legende: Das Theater St. Gallen soll für rund 48 Millionen Franken erneuert und umgebaut werden. Keystone / GIAN EHRENZELLER

Und das alte Theater? Das wurde 1971 auf Vorrat abgerissen. Dem Gemeinderat kam es damals in der ganzen Bau-Euphorie nicht in den Sinn, dass der Kunkler-Bau bauhistorisch interessant und erhaltenswert sein könnte und dass die Stadt den Baugrund an prominenter Lage behalten müsse.

Statt in St. Gallen zu bauen, haben Maus Frères das riesige Shopping-Center in Emmen erstellt. 20 Jahre lang klaffte mitten in St. Gallen eine riesige Baulücke. Heute steht dort eine McDonald’s-Filiale.

Genf: Die «Nouvelle Comédie» als gesellschaftlicher Brennpunkt

Eigentlich liegt das Stadttheater «Comédie» in Genf perfekt: im Stadtzentrum und in der Umgebung der Oper und der Victoria Hall. Doch der Kulturtempel aus dem Jahr 1913 zeigt immer deutlicher Alterserscheinungen und leidet unter Platzmangel. Weil das alte Haus für einen moderne Theaterbetrieb viel zu unflexibel ist, kommt 1987 die Idee auf, ein neues Theater zu bauen.

Blick auf ein stattliches, altes Gebäude in Genf.
Legende: Zwar perfekt gelegen, aber etwas zu klein: Was aus dem alten Theater in Genf wird, ist noch ungewiss. Wikimedia / Erdrokan

Der Ruf nach einem Neubau wird lauter, bis sich Stadt und Kanton Genf 2016 endlich einigen, dass die Stadt 53 Millionen zahlt, und der Kanton 45 Millionen übernimmt. Soviel Geld hat der Kanton Genf noch nie für ein Kulturprojekt ausgegeben.

2020 ist die «Nouvelle Comédie» fertig. Das neue Genfer Stadttheater ist zwei Kilometer vom alten Standort stadtauswärts entstanden.

Damit liegt es unmittelbar neben dem von Jean Nouvel entworfenen Bahnhof Eaux-Vives, der Teil ist der neuen Bahnlinie «Léman Express». Mit der «Nouvelle Comédie» verfolgen Stadt und Kanton gleichermassen eine kulturelle und eine städtebauliche Absicht: Bahnhof und Theater sollen das Quartier aufwerten.

Glasgebäude in Genf
Legende: Die Sprache der 2020 eröffneten «Nouvelle Comédie» in Genf ist klar: Offenheit und Transparenz. Niels Ackermann / Lundi13

«Es ist ein Theater in der Stadt und eine Stadt im Theater», sagen die FRES-Architekten aus Paris. Mit den grossen Glasfassaden an der Vorder- und Rückseite des langen Gebäudes demonstrieren sie die Offenheit zur Nachbarschaft.

So hat die «Nouvelle Comédie» neben den beiden Theatersälen ein grosses Foyer mit Restaurant, einen Vorplatz, wo Veranstaltungen stattfinden können und gläserne Werkstätten, die von aussen einsehbar sind. Es spricht nichts dagegen, dass die «Nouvelle Comédie» zu einem neuen Hotspot avanciert. Was aus dem alten Theater wird, ist noch offen.

Radio SRF 2 Kultur. Kontext, 28.5.2021, 9:03 Uhr

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