Die Highlights des Jahres
Augustin Rebetez im Aargauer Kunsthaus: «Vitamin» hiess die Ausstellung. Klar, ein paar Muntermacher kann man immer brauchen. Die Ausstellung von Augustin Rebetez war ein Vitaminschub der Extraklasse. Wie ein Ingwershot: laut, wild und ein wenig mysteriös.
In einem Saal ratterten bizarre Maschinen, die aussahen, als sei Tinguely eine Kooperation mit der Hexe aus «Hänsel und Gretel» eingegangen. In einem anderen stand eine anheimelnd-gruselige Friedhofskapelle, aus alten Möbelteilen gebaut. Es gab niedliche Katzenfotos, die Rebetez in Reaktion auf die beliebten Katzenvideos im Internet in irre Monster verwandelt hatte und ein mit schwarzem Teppich ausgekleidetes Kabinett, in dem hin und wieder seltsame Figuren aufleuchteten.
Rebetez richtete im Aargauer Kunsthaus eine fabelhafte Gegenwelt ein: einen Parcours, der herrlich prickelnde Gänsehautmomente erzeugen konnte. Der aber auch immer wieder daran erinnerte, dass die wahren Schrecken dieser Welt sich nicht in Museumskabinetten ereignen. Sondern in der taghellen Wirklichkeit. (Alice Henkes)
Silvie Defraoui im Musée cantonal des Beaux-Arts in Lausanne:
Die Kunst von Silvie Defraoui kennt keine Angst. Im Gegenteil: Die 87-jährige Schweizerin lässt in ihren Werken mit kühlem Kalkül Gegensätze aufeinanderprallen, um Bilder genau zu analysieren.
Die Lausanner Retrospektive «Das Wanken der Gewissheiten» zeigte im Frühling einen Überblick über Silvie Defraouis Werke seit 1994. Deutlich wurde dabei: Sie vermischt in ihrer Kunst Sachen, legt Schichten übereinander: Bilder über Klänge über Codes über Worte über Bilder. «In unseren Köpfen schaut es genauso aus», sagt Defraoui. «Gedanken stehen nie allein, daneben sind immer 1000 andere Dinge, wie die Frage: ‹Was gibt’s heute eigentlich zum Mittagessen?›»
Dem Mischmasch analytisch zu begegnen, Genauigkeit im Umgang mit Bildern und ihren Lektüren zu pflegen, dazu regt die Kunst der Altmeisterin an. Das ist hochaktuell in einer von Bildern und ihrer schnellen Lektüre geprägten Welt. (Ellinor Landmann)
Die Überraschung des Jahres
Markus Raetz im Kunstmuseum Bern: Der Schweizer Künstler Markus Raetz war eine Art Magier. Ab den 1970er-Jahren machte er international Karriere: mit Zeichnungen, Bildern, Installationen und Plastiken. Er zauberte seinem Publikum ein Lächeln ins Gesicht, egal wo er ausstellte.
Das klingt wohl kitschig, stimmt aber. Überprüfen lässt es sich derzeit mit viel Gaudi in der Ausstellung «Oui Non Si No Yes No» im Kunstmuseum Bern, der ersten grossen Retrospektive nach Markus Raetz' Tod 2020.
Überraschend ist, wie gut das alles noch immer funktioniert. Das «Ja» verwandelt sich bei Raetz nach wie vor mühelos in sein Gegenteil und schaut dabei auch noch gut aus. Wenn etwas mühelos sowohl «Ja» als auch «Nein» sein kann, wird der Dualismus, der spätestens seit der Digitalisierung wieder weite Teile unseres Lebens prägt, kunstgerecht aufs Kreuz gelegt. (Ellinor Landmann)
Der Flop des Jahres
«Zeit» im Kunsthaus Zürich: Ein grosses Thema vor allem. Riesig. Uferlos geradezu. Vieles könnte man dazu sagen: Über das Werden und Vergehen philosophieren, dem eigenen Altern in Sekundenschritten nachspüren.
Die Vielfalt der Gedanken und Fragen, die dem Thema Zeit innewohnen, wurde der Ausstellung zum Verhängnis. Denn: Sie will alles. Kann man verstehen. Trotzdem wünscht man sich beim Besuch eine entschiedenere Auswahl. Um nicht in der Uferlosigkeit der Zeit verloren zu gehen. (Alice Henkes)