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Londoner Museum für die Sinne «Bitte berühren!» In diesem Londoner Museum ist Anfassen gewollt

Im Storehouse des Museums V&A East in Ost-London dürfen Besuchende Sammlungsobjekte bestellen und vor Ort diskret anschauen. Anfassen, Massnehmen und Fotografieren ist erlaubt.

Dieser nüchterne, grau-schwarz verglaste Bau am östlichen Stadtrand Londons hat es in sich: Im neu eröffneten Lagerhaus des Londoner Museums V&A East dürfen Objekte angefasst werden. Hier kann man Iggy Pop begegnen, hier wird Prinzessin Diana wieder lebendig, und hier darf eine goldene Rolex anziehen – wer dies möchte.

Doch der Reihe nach: Der Glasbau ist ein Lagerhaus des weltgrössten Kunstgewerbe- und Design-Museums, dem Londoner Victoria and Albert Museum. Das «Storehouse» hat Ende Mai seine Türen geöffnet – und hier darf nun zwischen eingelagerten Marmorbüsten, Gemälden, Bassgeigen oder geflochtenen Stühlen flaniert, fotografiert und geträumt werden. Doch das ist noch nicht alles.

Fühlen Sie bitte: Das T-Shirt von Iggy Pop

Im Storehouse lagern über 250’000 Objekte. Ein grosser Teil davon kann online zur Ansicht bestellt werden. Bis zu fünf Objekte können rund zwei Wochen im Voraus bestellt werden – und liegen dann am Tag X in einem Studierzimmer bereit. Nicht nur für Forschende, sondern für alle.

Schwarz-weiss-Foto eines Sängers mit Mikrofon auf der Bühne.
Legende: 1977 hängt es noch am Künstler selbst – und heute im Storehouse des V&A-Museums: Iggy Pops T-Shirt mit dem eigenen Konterfei. imago images/Gus Stewart/Redferns

Wie wäre es zum Beispiel mit einem T-Shirt von Iggy Pop, das sich der Punkrocker am 27. September 1977 im Birmingham Odeon vom Leib gerissen hatte? So liesse sich erschnüffeln, ob es bald 50 Jahre später noch nach Iggy riecht. Dieses Detail ist im ausführlichen Beschrieb in der Sammlungsdatenbank nicht vermerkt. Alles andere schon.

Brautpaar in festlicher Kleidung bei Hochzeit.
Legende: Traumhaft schön – und zum Greifen nah: Auch ein Vorläufer von Lady Dianas Hochzeitskleid kann in Ost-London bestaunt und betastet werden. (1981) Keystone/AP Photo/PA

Fans von Prinzessin Diana können ebenso ihrem Idol recht nahe sein: Im Storehouse lagert ein überaus romantisches Seiden-Taft-Hochzeitskleid der britischen Modeschöpfer Elizabeth und David Emanuel. Sie haben es 1979 entworfen – und schufen zwei Jahre später für Lady Diana Spencer eine noch üppigere Version für ihre Hochzeit mit dem britischen Thronfolger Prinz Charles.

Sogar dieses Seidenkleid darf angefasst werden. Aber natürlich nur mit Handschuhen und unter kundiger Anleitung. Will heissen: unter strenger Aufsicht, um Schäden zu vermeiden.

Ein Museum für alle

Das Victoria and Albert Museum hat Erfahrung damit, das Publikum ganz nah an die Sammlungsstücke heranzulassen. Den Ausleihdienst gibt es im Stammhaus in South Kensington schon länger.

Es regnet Lob und hagelt Kritik

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«Wie wunderbar.» – «Fantastisch!» – «Das will ich sehen. Ich buche sogleich eine Reise nach London», schreibt eine Userin vom andern Ende der Welt.

Doch weil das Museum offen zeigt, was es hat – hagelt es auch Kritik. «Ihr könnt gestohlene Objekte euch damit nicht zu eigen machen. Ungeachtet, wie hart ihr es auch versucht», reagiert ein User auf den V&A-Werbe-Post auf Instagram. Und schon nimmt die Raubkunst- und Kolonisierungsdebatte Fahrt auf.

«Transparenz über die Herkunft der Objekte und wie sie in unsere Sammlung kamen, ist ganz zentral», räumt Chef-Kurtorin Georgia Haseldine ein. «Wir erforschen dies intensiv und machen unser Wissen zugänglich.»

Tatsächlich gibt es bei mehreren Objekten ausführliche Hinweise: Zum Beispiel wird im Detail beschrieben, wie die Marmor-Ausstattung eines Hammams aus Agra Fort in Indien von der britischen East-Inda-Company verhökert worden ist und mehrere Marmor-Säulen nach England gebracht worden sind.

Im Storehouse in Ost-London soll dieser Dienst nun im ganz grossen Stil praktiziert werden, wie Chef-Kuratorin Georgia Haseldine sagt: «Im Durchschnitt stellen Museen nur zwischen eins und fünf Prozent ihrer Sammlungen öffentlich aus. Das ist zu wenig: Es handelt sich hier um eine nationale Sammlung. Das Publikum sollte Zugang haben.»

Und siehe da: Schon wenige Wochen nach seiner Eröffnung ist das V&A East Storehouse ein Publikumsmagnet. Alt und Jung aus nah und fern flanieren durch das dreigeschossige Gebäude. Sie machen Fotos, suchen via QR-Code in der Datenbank nach detaillierten Informationen zu den gezeigten Objekte – und stellen reihenweise Selfies und Videos in die sozialen Medien.

Und die goldene Rolex?

Auch die Schweizer Luxus-Uhr im Storehouse hat eine bewegte Geschichte. Sie wurde 1982 gefertigt – und zwar in Taiwan. Echt jetzt?

Ja, es ist eine Fälschung. Die Uhr war von 1994 bis 1995 in einer Ausstellung über Surfer, Soulies, Skinheads and Skater zu sehen – als Teil deren rebellischen Street-Styles. Und nun kann sie im V&A East Storehouse – weniger rebellisch – ums behandschuhte Handgelenk gelegt werden.

Victoria and Albert Museum: Die royale Wunderkammer

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Das Victoria and Albert Museum, kurz: V&A, ist 1852 von Prinz Albert gegründet worden, dem Prinz-Gemahl der damaligen britischen Königin Victoria. Das V&A besitzt mit über 2.8 Millionen Sammlungsstücken die weltgrösste Kunstgewerbe- und Design-Sammlung.

Das Stammhaus des V&A befindet sich in South Kensington, im Westen Londons. Es betreibt heute mehrere Zweigstellen, darunter das V&A East, in Ost-London – bestehend aus dem Ende Mai eröffneten Storehouse und einem neuen Design-Museum, das im kommenden Jahr eröffnet werden soll.

Der Besuch der V&A-Sammlung ist kostenlos. Sonderausstellungen sind kostenpflichtig.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 19.06.2025, 16:30 Uhr

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