«Bombed» von Oleksiy Sai wirkt wie eine Satellitenaufnahme. Man erkennt Landschaften, Strassen und Häuser, dazwischen sind Krater, Bombenanschläge – topografische Spuren eines Krieges. Der Künstler hat sie in eine übermalte Blechplatte gefräst. Ihre Ränder sind dadurch scharfkantig.
«Oleksiy Sais Ansatz ist die Katharsis. Er zeichnet nicht nur den Blick von oben nach, sondern arbeitet sich regelrecht körperlich an diesen Bombenanschlägen ab, um das Geschehene zu begreifen», sagt die dänische Kuratorin Faye Dowling über Sais Werke.
Die Arbeit von Oleksiy Sai ist zwei Jahre alt. Damals hatte Russland die Ukraine noch nicht überfallen, im Osten der Ukraine wurde aber bereits gekämpft. Mit dem Kriegsbeginn diesen Februar wurde das Werk plötzlich noch aktueller.
«Für Freiheit und Unabhängigkeit»
Auch die Arbeiten von Pavlo Makov wirken wie ein Kommentar auf das Zeitgeschehen. Makov bespielt derzeit den ukrainischen Pavillon auf der Biennale in Venedig.
Die Ausstellung in Rapperswil zeigt drei seiner grossformatigen Grafiken. Die Titel «City with Independence Square» und «City with Freedom Square» sind Wunsch und Appell zugleich.
«Beide Titel sind eine Annäherung an die ukrainische Stadt Kiew, die mit dem Majdan einen Platz der Unabhängigkeit hat, und an Charkiw, die Stadt mit dem Platz der Freiheit», sagt die ukrainische Co-Kuratorin Natalia Matsenko: «Es geht um die Ukraine, die seit langem für Freiheit und Unabhängigkeit kämpft.»
Der Kampf steht nicht im Fokus
Der Titel der Ausstellung «Unfolding Landscape», auf Deutsch «Entfaltende Landschaften», ist so mehrdeutig wie metaphorisch. Die 43 ukrainischen Künstlerinnen und Künstler erzählen von inneren und äusseren Landschaften, von Identität und Brüchen, von Deutungen und Umdeutungen. Sie erzählen auch davon, wie Geschichte und Gegenwart an einem Ort zusammentreffen.
Das Panoramagemälde von Oleksandr Hnylytskyi und Oleg Holosiy zeigt die Schlacht um Sewastopol im 19. Jahrhundert. Heute wird dort wieder gekämpft. Die Künstler, die sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion der Kunstströmung «Ukraine New Wave» angeschlossen hatten, schufen allerdings kein heroisches Gemälde.
«Als Erstes fällt die Weite der Landschaft auf. Erst auf den zweiten Blick sieht man Soldaten», sagt die Co-Kuratorin. Das habe damit zu tun, dass sich die ukrainischen Kunstschaffenden nach dem Sturz der Sowjetunion auch von der militaristischen Mythologie distanzierten. «Das Problem ist, dass das heutige Russland diese Mythologie fortschreibt», erklärt Natalia Matsenko.
Tour durch Europa
Sämtliche Werke befanden sich bei Ausbruch des Krieges in Dänemark. Mit dem Ende der Ausstellung allerdings wurden sie heimatlos. Es war zu riskant, sie ins Kriegsgebiet zurückzuschicken. Seitdem touren sie durch Europa.
Nach Brüssel sind sie nun in Rapperswil-Jona zu sehen.«Die ukrainische Kultur ist in Gefahr: Museen, Kunst, Archive wurden zerstört, Künstler wurden getötet», sagt Matsenko.
Die Ausstellung schützt die Kunst vor Bomben und Raketen. Daneben eröffnet sie den Besuchenden einen Blick auf die Kunstszene eines Landes, das für viele Westeuropäer bis vor kurzem ein weisser Fleck auf der Landkarte war.
Vor dem Hintergrund des Krieges sind die Motive bedrückend. Die Kunst aber ist eine Entdeckung.