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43. Solothurner Literaturtage Literatur macht die Welt besser – ein wenig zumindest

Die Solothurner Literaturtage, das traditionelle «Klassentreffen» der Schweizer Literatur, überzeugten als Online-Festival – und waren eine eindrucksvolle Hommage an die Kraft der Literatur.

Literatur lässt uns in ferne Länder verreisen, uns in Menschen in völlig anderen Lebenssituationen einfühlen oder uns in längst vergangene Epochen reisen. Und das alles vom Sofa aus.

Diese Botschaft vermittelte der Berner Autor Beat Sterchi bei seinem Auftritt an der Eröffnung der Literaturtage am Donnerstagabend.

Die Bündnerin Gianna Olinda Cadonau legte mit ihrem Gedicht «Was kann Literatur?» noch einen drauf. Die Literatur, so Cadonau, habe die ganze Sprache zur Verfügung, «alle Verben, die es gibt» und alle «Substantive, Adjektive, Pronomen». Die Literatur könne somit «alles». Theoretisch zumindest.

Ein Bildschirm mit mehreren Screens, die eine Podiumsdiskussion zeigen.
Legende: Ob Lesungen, Gespräche oder Diskussionen: Die 43. Solothurner Literaturtage fanden dieses Jahr vor allem online statt. Fotomtina

Unter den Eröffnungsrednern war auch der ägyptische Autor Wagdy El Komy. Die Literatur könne die Welt zwar nicht besser machen, meinte er. Aber die Literatur könne eine Gegenstimme zur staatlichen Propaganda sein. Wagdy El Komy hat in seiner Heimat selbst unter Repressionen zu leiden – so wie viele Kulturschaffende.

Ein heimliches Motto?

Die 43. Solothurner Literaturtage hatten kein offizielles Motto. Mit der Eröffnung war jedoch zumindest eine heimliche Leitfrage gelegt: Was ist die Kraft der Literatur?

Die drei Literaturtage – zum ersten Mal unter der neuen Leitung von Dani Landolf – fanden zum grössten Teil als Online-Festival statt. Insgesamt waren rund 11'000 Zuschauerinnen und Zuhörer dabei.

Abgesehen von einigen Startschwierigkeiten überzeugten sie technisch vollumfänglich: perfekte Tonqualität und ansprechendes Design bei den Videostreams.

Wer sich durch das Online-Programm zappte oder eine der wenigen Veranstaltungen mit Publikum im Stadttheater Solothurn besuchte, fand manche Antwort auf die uralte und grosse Frage nach der Wirkungsmacht der Literatur.

Freude an der Sprache

Dass Texte schlicht und einfach Spass machen können, bewiesen etwa die Spokenword-Künstlerin Daniela Dill oder der Mundartpoet Manuel Stahlberger bei seiner Show im Stadttheater.

Ein Mann gestikuliert auf der Bühne.
Legende: Der Auftritt von Manuel Stahlberger war einer der wenigen Programmpunkte, die mit Publikum vor Ort stattfanden. fotomtina

Literatur kann auch dabei helfen, die eigene Situation besser zu verstehen. Dies zeigte sich unter anderem beim lebhaften Austausch der Autorinnen Elke Heidenreich und Melitta Breznik zum Thema «Mütter in der Literatur». Beide Autorinnen greifen in ihren aktuellen Werken das oft ambivalente Verhältnis zwischen Mutter und erwachsenem Kind auf.

Sowohl Heidenreich als auch Breznik erzählten, dass sie viele Reaktionen von ihren Leserinnen und Lesern erhalten hätten. Viele von ihnen hätten sich im Erzählten wiedergefunden und dadurch den Weg zu einem entspannteren Verhältnis mit den eigenen Eltern gefunden.

Hochkarätig besetzte Gesprächsrunden

Zu den mit Spannung erwarteten Höhepunkten der Literaturtage gehörten die Podiumsdiskussionen, in denen sich Fachleute aus der Wissenschaft, Politikerinnen und Politiker sowie Autorinnen und Autoren über grosse Fragen unserer Zeit austauschten: über Populismus etwa, oder über Identität.

Die Bilanz ist durchzogen: Die hochkarätig besetzten Runden führten allesamt packende Diskussionen, denen man gerne folgte. Allerdings blieb zu oft offen, worin der besondere Beitrag von Literatinnen und Literaten zu diesen Fragen der Zeit besteht.

Der Autor Jonas Lüscher sitzt auf einer Bühne mit anderen Gesprächspartnern.
Legende: Keine Angst vor knalligen Farben: Hier beim Podium «Demokratie unter Druck – die Macht des Populismus». fotomtina

Bei einem Podium zum Thema Populismus brillierte der Schweizer Buchpreisträger Jonas Lüscher («Kraft») mit scharfsinnigen Analysen. Er setzt sich seit langem intensiv mit dem Thema auseinander.

Jedoch bediente sich Lüscher in erster Linie politologischer oder soziologischer Argumente. Die spezifischen Möglichkeiten der Literatur, Phänomene mit künstlerischen Mitteln zu durchdringen und so zu ungewohnten Perspektiven vorzudringen, fielen unter den Tisch.

Politik und Literatur

Anders war dies – zumindest ansatzweise – beim Austausch der Autorin Annette Hug mit Nationalrat und «Mitte»-Präsident Gerhard Pfister, der sich selbst als begeisterter Leser bezeichnet. Es ging unter anderem um die Frage, was die Literatur der Politik zu sagen hat.

Gerhard Pfister schlug – ohne es auszusprechen – den Bogen zu Beat Sterchis Auftritt bei der Eröffnung. Er erklärte, dass er Literatur deshalb so schätze, weil sie die Empathie fördere.

Beim Lesen könne man Dinge erleben, die man selbst nie erlebt habe. Pfister sagte es zwar nicht, aber meinte es: Genau dies braucht ein Politiker, und deshalb muss er lesen. Einer der vielen «Magic Moments» dieses Festivals.

SRF 1, Regionaljournal Aarau/Solothurn, 14.05.2021, 17:30 Uhr

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