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«Bannmeilen» von Anne Weber Die Pariser Banlieues sind brutal – brutal vielfältig

Betonklötze, Kriminalität, Krawalle: Der Ruf der Pariser Banlieues könnte schlechter nicht sein. Die Autorin Anne Weber schreibt in «Bannmeilen» die Banlieues aus ihrem Tabu heraus.

Die mit höchsten Literaturpreisen ausgezeichnete deutsche Autorin Anne Weber durchwandert in ihrem neusten Werk «Bannmeilen» die Pariser Banlieues. Jene verstädterten Randzonen von Paris. Sie gelten als «Orte der Finsternis»: Betonwüsten, Brutstätten des Drogenhandels und des Aufruhrs.

Stadtstrasse mit Fahrzeugen und Radfahrer, überdachte Brücke im Hintergrund
Legende: La Courneuve, nördlich von Paris, gehört zu den Gemeinden Frankreichs mit dem geringsten Durchschnittseinkommen und mit dem höchsten Anteil an Einwanderern. IMAGO / PanoramiC

In unheilvoller Erinnerung ist Nicolas Sarkozys verbale Entgleisung nach besonders heftigen Krawallen 2005: Als damaliger französischer Innenminister verkündete er in La Courneuve, die Banlieues mit dem Hochdruckreiniger, dem «Kärcher», zu reinigen und das «Pack» zu beseitigen.

«Ich war schockiert!»

Anne Weber, 1964 in Offenbach am Main geboren, lebt seit vier Jahrzehnten in Paris. Im inneren und privilegierten Teil der Stadt. In all den Jahren sei sie – wie die meisten ihrer Bekannten – «kaum je in die Banlieues gelangt», sagt die Autorin im Interview.

Wer ist Anne Weber?

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Porträt einer Frau mit lockigem braunem Haar in schwarzem Blazer, die ernst in die Kamera blickt.
Legende: KEYSTONE/Alessandro della Valle

Die Autorin Anne Weber ist mehrfach preisgekrönt, unter anderem mit dem Deutschen Buchpreis und dem Preis der Leipziger Buchmesse. Sie erhält den diesjährigen Solothurner Literaturpreis, der mit 15'000 Franken dotiert ist – für ihr «schriftstellerisches Werk von formaler und thematischer Vielseitigkeit und Experimentierfreude», wie die Jury begründet.

In ihrem Roman schildert die Autorin, dass sie auf Einladung eines Freundes, eines gewissen Thierry, der in den Banlieues aufgewachsen ist, das Unbekannte in unmittelbarer Nähe zu erkunden beginnt. «Ich war schockiert», sagt Anne Weber. Vom sozialen Elend. Aber auch, «wie wenig Neugierde ich all die Jahre aufgebracht hatte für diese Quartiere ganz in meiner Nähe».

Während der Streifzüge mit Thierry, erzählt Anne Weber, habe sie ein neues Bild erhalten. Der Roman benennt zwar die Misere: Arbeitslose, kriminelle Jugendliche, triste Wohnsiedlungen an Schnellstrassen. Gleichzeitig stossen die beiden auf ihren Touren auch auf hochmoderne Gebäude. Des französischen Nationalarchivs etwa. Oder der Banque de France. Oder sie besuchen eine Kirche, die im deutsch-französischen Krieg 1870/71 eine Rolle spielte.

Moderne Fassade eines Gebäudes mit geometrischem Muster und Vordach, eine Strasse im Vordergrund.
Legende: Die Archives nationales in Pierrefitte-sur-Seine: Hätten Sie gedacht, dass so ein futuristisches Gebäude in den Pariser Banlieues stehen würde? IMAGO / Hans Lucas

All dies passt nicht ins Klischee. «Mir haben die Streifzüge geholfen, Vorurteile abzubauen», sagt Anne Weber. Dies geschieht insbesondere auch in einem Café, in dem die beiden regelmässig einkehren. Hier treffen sie Ansässige. Und lauschen ihren Geschichten. Und es stellen sich auch neue Fragen. Etwa, weshalb viele Menschen der Banlieues ausgerechnet der Rechtsaussenpartei Rassemblement National anhängen. Weshalb nur? «Ich versuche zu beschreiben und Fragen zu stellen. Ich bin keine Bescheid-Wisserin», sagt Anne Weber.

Kein Blick durch die Brille der Privilegierten

Die Schilderung wirkt nie überheblich, weil die Erzählerin im Buch ihre eigenen Vorurteile thematisiert. So schreibt sie etwa in Anbetracht der sich auftürmenden Sperrmüllberge: «Warum erwarte ich von Menschen, die in Betonkisten neben der Autobahn leben müssen, dass sie sich mit der Reinlichkeit und Ordnung ihrer Umgebung befassen?»

Total-Tankstelle im Vordergrund mit Hochhaus im Hintergrund unter bewölktem Himmel.
Legende: Viel Beton und wenig Grün in Aubervilliers: Wie wirkt sich der Lebensraum auf die Menschen aus, die darin leben (müssen)? IMAGO / PanoramiC

Es gehört zu den Verdiensten dieses Buchs, dass es dort hin leuchtet, wo vergleichsweise privilegierte Menschen meistens wegblicken. Aus Gleichgültigkeit. Vielleicht auch aus Scham. Auch sie habe «immer wieder Zweifel gehabt», erklärt Anne Weber. Aber sie habe sie überwunden, weil sie «die Menschen nicht vorführe».

Tatsächlich: Die Autorin begegnet den Menschen der Banlieues auf Augenhöhe. Und dies lässt bei der Lektüre jenes Gefühl entstehen, das dieses Buch durchzieht und zu einer beglückenden Lektüre macht: das einer allgemeinmenschlichen Verbundenheit mit dem vermeintlich Fremden.

Buchhinweis

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Anne Weber: «Bannmeilen: Ein Roman in Streifzügen». Matthes und Seitz, 2024.

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SRF 1, Tagesschau, 11.5.2024, 19:30 Uhr. ; 

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