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Berührendes Buch Was macht uns zu guten Freunden?

Der flämische Bestsellerautor Stefan Hertmans erkundet im Roman «Dius» meisterhaft die Geheimnisse einer Freundschaft. In seiner Heimat ist Hertmans ein Star. Sein Durchbruch bei uns ist überfällig.

Drei Romane hat der 1951 geborene Flame Stefan Hertmans bisher in deutscher Übersetzung herausgebracht. Mal für Mal grosse Literatur: Packende Geschichten von Menschen, die in die Mühlen des Ersten Weltkriegs geraten. Oder in die Wirrnisse der Kreuzzüge – oder des Faschismus.

Und nun Roman vier: «Dius». Filigran und frei von sentimentalem Pathos schildert er die Geschichte einer Freundschaft von zwei Männern – fernab aller Erotik und Sexualität.

Der Verlust als Anfang

«Dius» sei sein persönlichstes Buch, sagt Stefan Hertmans. Er habe kürzlich einen Freund verloren, mit dem ihn eine Seelenverwandtschaft verbunden habe, ein Musiker, mit dem er gemeinsame Projekte realisiert habe.

Porträt von Mann mit grau-weissen Haaren
Legende: Stefan Hertmans ist 1951 in Gent, Belgien, geboren. Er gilt als einer der wichtigsten niederländischsprachigen Autoren der Gegenwart. IMAGO/opale.photo

Der plötzliche Tod habe ihn zur Frage des neuen Romans gebracht: «Was macht eine echte Freundschaft aus?» Durch den Verlust sei ihm bewusst geworden, dass es «etwas vom Schönsten» sei, über einen anderen Menschen sagen zu können: «Das ist mein Freund, dem ich vorbehaltlos traue. Und von dem ich nichts zurückverlange.»

Literarische Erkundung

In «Dius» schildert Hertmans eine so geartete Freundschaft am Beispiel von zwei fiktionalen Figuren: Da ist der junge und unbändige Kunststudent Dius. Und da ist dessen etwa zehn Jahre älterer Lehrer an der Kunsthochschule, der rational-intellektuelle Mittdreissiger Anton.

Der Roman beginnt damit, dass Dius jenen Anton unerwartet in dessen Wohnung aufsucht und ihn bittet, sein Freund sein zu dürfen. Der überrumpelte Anton lässt sich dazu überreden, seinen Studenten zu dessen Bleibe auf dem Land zu begleiten. Sie erweist sich als heruntergekommenes Anwesen.

Landschaft in Flandern mit Wiese und zwei Eulen im Flug
Legende: Die flämische Region Belgiens, auch als Flandern bezeichnet, zeichnet sich (sofern nicht verbaut) durch Polder, Dünen, Wiesen, Wälder und Gärten aus: ein Mosaik aus Naturgebieten. Hier spielt sich der Roman hauptsächlich ab. IMAGO/alimdi

Doch es wird zum Ort, den Anton zu lieben beginnt. Hier sitzen die beiden fortan in langen Stunden, arbeiten, kochen, lachen, hören Musik, diskutieren über Kunst. Die Freundschaft nährt sich zusätzlich auf Wanderungen durch die Natur.

Verbunden im Unterschied

Dius und Anton sind grundverschieden. Zwar verbindet sie die Leidenschaft für die Kunst. Doch während Dius grossen Künstlern durch eigene Werke nachzueifern versucht, begegnet Anton Kunstwerken distanzierter, mit analytischem Sachverstand.

In dieser Verschiedenheit liege das tiefe Geheimnis dieser Freundschaft, sagt Stefan Hertmans: «Die beiden werden erst durch das andersgeartete Gegenüber zu ganzen Menschen.» Anton formuliert es an einer Stelle des Romans so: «Dius hatte mich schon immer besser gekannt als ich mich selbst.»

Helle Statue, liegend in altarartigem Schrein aus Gestein
Legende: Die Freunde finden durch die Kunst zueinander. So finden sich im Roman auch immer wieder plastische Beschreibungen von Kunstwerken, wie etwa die einer Statue der römischen Märtyrerin Cecilia aus dem Jahr 1600. IMAGO/imagebroker

Die Gegensätzlichkeit der zwei Freunde führt gelegentlich auch zu Unverständnis. Zum Beispiel in der Liebe: Anton hängt über Jahrzehnte seiner verlorenen Liebe nach und vergräbt sich in eine bittere Melancholie. Dies nicht ohne Zutun von Dius.

Dieser verhielt sich in einem entscheidenden Moment abseitig: Er vertrieb die Frau, weil er glaubte, Anton vor ihr schützen zu müssen. Es kommt zum Zerwürfnis zwischen den Freunden – und schliesslich zu einer feinsinnig gezeichneten Szene der Vergebung.

Bin ich ein Freund?

Der Roman verfolgt das Auf und Ab dieser Männerbeziehung über Jahrzehnte. Er entwickelt dabei einen enormen Sog. Und er animiert Leserinnen und Leser zur Selbstbefragung: Wie halte ich es beim Thema Freundschaft?

«Dius» ist ein literarischer Wurf erster Güte. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Roman seinem Autor endlich auch im deutschsprachigen Raum zum Durchbruch verhilft. Er ist überfällig.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 18.12.2025, 7:06 Uhr

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