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Literaturredaktorin Nicola Steiner über den Bachmann-Preis
Aus Kultur-Aktualität vom 06.07.2018. Bild: SRF
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Ingeborg-Bachmann-Preis 2018 Der zweite Tag in Klagenfurt: Endlich eine richtige Geschichte!

Ein starker Tag, mit mindestens drei Favoriten für den Ingeborg-Bachmann-Preis 2018.

Das Wettlesen begann am Morgen mit einem Text, der vermutlich alle Anwesenden auf einen Schlag wach werden liess: Die in Zürich lebende Autorin Corinna T. Sievers erzählt von einer Zahnärztin, die einen um sehr viele Jahre jüngeren Mann auf ihrem Zahnarztstuhl verführt.

Frau mit langen blonden Haaren und Brille liest von einem Blatt
Legende: Es wird heiss auf dem Zahnarztstuhl: Corinna Sievers liest in Klagenfurt. Johannes Puch

Umkehrung einer Männerfantasie

Das heisst, «verführt» ist eigentlich das falsche Wort: In technisch-kalter Sprache – und äusserst explizit – erzählt die Erotomanin über ihre besondere Art von Liebe. Dass die Mehrheit der Jury dieser Umkehrung einer Männerfantasie anschliessend mangelnde Radikalität vorwarf, entbehrt bei diesem mutigen Text nicht einer gewissen Komik.

Wettlesen in Klagenfurt

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Das Wettlesen in Klagenfurt ist eine mehrtägige Veranstaltung im Rahmen der «Tage der deutschsprachigen Literatur». Gelesen wird um den Ingeborg-Bachmann-Preis, eine der wichtigsten literarischen Auszeichnungen im deutschen Sprachraum – und eine der höchstdotierten. Der Preis wird seit 1977 vergeben. Die diesjährigen 42. Lesetagen finden vom 4. bis zum 8. Juli statt. Eine siebenköpfige Jury hatte im Vorfeld jeweils zwei Teilnehmer oder Teilnehmerinnen bestimmt, die am Wettlesen teilnehmen dürfen. In der Jury sitzt unter anderem die Schweizer Autorin Nora Gomringer; als Autorinnen sind die Schweizer Martina Clavadetscher und Anna Stern dabei.

Ally Klein war im Anschluss das komplette Gegenteil von Sievers: Während der erste Text des Tages eindeutig zu den «plotgetriebenen Texten» des Wettbewerbs zählte, war «Carter» ein Sprachexperiment, bei dem niemand so recht sagen konnte, was eigentlich verhandelt wird. Trotzdem kam der Text mit seiner Sinnlichkeit und Atmosphäre gut an.

Einzig die Überlegung, dass Ally Klein hier eine Panikattacke abbilden könnte, kam der Jury offenbar nicht in den Sinn.

Eine Frau sitzt aufgestützt an einem Tisch und hört jemandem zu.
Legende: Was im Text von Ally Klein genau verhandelt wurde, konnte keiner so genau sagen. Trotzdem kam er gut an. Johannes Puch

Drei Favoriten für den Bachmann-Preis

Die letzten drei Texte des Tages haben sich alle drei als eindeutige Favoriten des Wettbewerbs erwiesen.

Mein persönlicher Favorit bisher: Tanja Maljartschuk und ihr Text «Frösche im Meer». Darin erzählt die in der Ukraine geborene und in Wien lebende Autorin von einer ungewöhnlichen Freundschaft zwischen einem eingewanderten Hilfsarbeiter und einer alten dementen Frau; zwei Randständige unserer Gesellschaft, die das Gefühl der Einsamkeit miteinander verbindet.

Eine Frau sitzt an einem Tisch, nach vorne gelehnt.
Legende: Eine richtige Geschichte! Tanja Maljartschuk fand bei Jury und Publikum Gefallen. Johannes Puch

Eine «ganz einfache Geschichte ohne Gefühlsduselei, die aber kompliziert ist», urteilte Jurorin Insa Wilke. Endlich eine richtige Geschichte! Das konstatierte nicht nur die Jury, das dachte sich offenbar auch das Publikum, als es im Anschluss an die Lesung frenetisch applaudierte.

Starker Tag mit viel Diskussion

Noch mehr Lob von der Jury erhielt Bov Bjerg für seinen Text «Serpentinen»: eine motivisch dicht verwobene Vater-Sohn-Geschichte mit gelungenen Dialogen.

Ein Autor mit Brille liest vor, vor ihm steht ein Wasserglas.
Legende: Bov Bjergs Vater-Sohn-Geschichte kam bei der Jury gut an. Johannes Puch

Auch Anselm Neft überzeugte die Jury mit seinem Text «Mach’s wie Miltos!» über einen Obdachlosen mit Hund, der seine Familie verloren hat.

Der Bachmannpreis im Netz

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Die Lesungen und Diskussionen des Bachmann-Preises sind als Video online verfügbar. Die gelesenen Texte werden ebenfalls online bereitgestellt.

Alles in allem also ein starker Tag mit mindestens drei Favoriten am Start für den Ingeborg Bachmann-Preis 2018 und mehreren Texten, die ordentlich für Diskussion sorgten.

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