Claire Hajaj weiss, wovon sie schreibt. Sie selbst hat eine jüdische Mutter und einen palästinensischen Vater. Bereits als Fünfjährige musste sie sich damit auseinandersetzen, was es heisst, «anders» zu sein. «Wann werden denn die beiden Völker mit dem Streit endlich aufhören?», fragte die heute 42-Jährige damals ihre Mutter. «Bald», bekam sie zur Antwort.
Der Nahost-Konflikt hat Hajajs Leben geprägt. Wohl auch deshalb sucht sie mit ihrem Roman einen Weg in eine mögliche Versöhnung. Sie sieht «Ismaels Orangen» als einen kleinen Baustein einer Brücke zwischen den verfeindeten Völkern.
Rache oder Neuanfang?
Die beiden Hauptfiguren in «Ismaels Orangen» sind Jude, eine Jüdin, und Salim, ein arabischer Palästinenser. Salim ist der Sohn eines Orangenbaumzüchters, der mit seiner Familie 1948 bei der «Nakba» von jüdischen Milizen vertrieben und enteignet wurde. Jude entstammt einer konservativen jüdischen Familie, ist aber selbst liberal und sucht sich ihre Freundinnen nach Interessen und nicht nach deren Religionszugehörigkeit aus.
Jude und Salim treffen und verlieben sich im London der 1960er-Jahre. Als Jude ihr erstes Kind erwartet, stehen die beiden vor einer zentralen Entscheidung: Gehen sie zusammen einen neuen Weg und schaffen etwas Eigenes? Oder ist das Verlangen nach Rückkehr in die Heimat und der Wunsch nach Rache grösser? Sie heiraten und wählen den Neuanfang. Aber sie werden sich je länger desto mehr bewusst, dass sie einen sehr schwierigen Weg gehen. Sie müssen gegen die eigene Familien bestehen und haben heftige Auseinandersetzungen mit sich selbst und miteinander.
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Klischierte Vorstellungen
Sie entwickeln sich in unterschiedliche Richtungen. Hier folgt der Roman gängigen Klischees. Für Jude, die Mutter, ist die oberste Priorität klar: Sie stellt das Wohlergehen ihrer Kinder über alles und ist bereit, dafür ihre eigenen Vorstellungen anzupassen.
Salim liebt seine Kinder auch, aber er kommt nicht über die Ungerechtigkeiten hinweg, die ihm und seinem Volk angetan wurden – er wird zunehmend verbittert. Trotz diesen Differenzen erlöscht die Liebe zueinander nie ganz. Offen bleibt, ob sie ausreicht.
Der Roman stellt wichtige Fragen
«Ismaels Orangen» ist in einer einfachen, oft geradezu standardisierten Sprache geschrieben. Es sind deshalb auch nicht die literarischen Qualitäten, die diesen Roman auszeichnen.
Aber «Ismaels Orangen» gibt einem Krieg, der in den Medien fast omnipräsent ist, ein Gesicht. Und stellt wichtige Fragen: Was bedeutet es für die eigene Identität, zu einem bestimmten Volk zu gehören? Was tun, wenn die eigene Identität und diejenige des eigenen Volkes nicht miteinander vereinbar sind? Und wie geht man auf jemanden aus einem verfeindeten Volk zu? Die beiden Hauptfiguren in Claire Hajajs Roman handhaben es so: «Ich bin noch nie einem Araber begegnet», meinte sie. «Und offen gestanden dachte ich, dass ihr uns hassen müsst.» «Ich muss überhaupt nichts. Du bist ein Mensch, ich bin ein Mensch. Warum sollte ich dich hassen, ohne dich zu kennen?»