Die überlasteten Aargauer Familiengerichte erhalten nicht wie geplant deutlich mehr Personal. Der Grosse Rat hat am Dienstag beschlossen, einzig die sieben bereits bestehenden Projektstellen bis Ende 2017 weiterzuführen. Das Parlament bewilligte dazu gut eine Millionen Franken.
Das Wichtigste in Kürze:
- Das neue Bundesrecht verlangt professionelle Strukturen beim Erwachsenen- und Kinderschutz: Im Aargau wurden dafür Familiengerichte geschaffen
- Die neuen Familiengerichte stehen vor einem Pendenzenberg
- Die Justizleitung verlangte deshalb mehr Stellen
- Der Grosse Rat hat nun einen höheren Verpflichtungskredit genehmigt
- Der Grosse Rat hat nur sieben bereits bestehende Projektstellen genehmigt, nicht aber elf zusätzliche Stellen, wie sie die Justizleitung und der Regierungsrat gefordert hatten
Der Grosse Rat hiess damit einen Antrag der FDP-Fraktion gut. Das Parlament bewilligte den um 1,039 Millionen Franken auf 8,043 Millionen Franken aufgestockten Verpflichtungskredit. Der Entscheid fiel vor allem mit den Stimmen der SVP und der FDP. Die SP lehnte den Antrag ab.
Nur sieben statt 18 neue Stellen
Der vom Regierungsrat unterstützte Antrag der Justizleitung wollte elf zusätzliche Stellen für die Familiengerichte. Die Kosten dafür hätten 5,2 Millionen Franken betragen. Mit den bereits früher bewilligten sieben Stellen wären damit 18 zusätzliche Stellen geschaffen worden. Alle Stellen wären bis 2017 befristet gewesen.
Es gebe erhebliche Mängel bei der Zusammenarbeit der Familiengerichte mit den Gemeinden und den Sozialdiensten. Verbesserungen seien notwendig, begründete die FDP-Fraktion den Antrag. Die SVP kritisierte das Bundesgesetz, das zu einer übergrossen Organisation geführt habe. Sie lehnte den Zusatzkredit ab.
Auch alle anderen Parteien wiesen auf die Probleme bei der Umsetzung des neuen Kindes- und Erwachsenenschutzrechtes hin. Sie machten sich für zusätzliche Stellen stark. CVP, BDP, EVP und SP sprachen sich für den Antrag der Justizleitung aus, also für 18 befristete Stellen. Die SP und die Grünliberalen machten sich für weitere Stellen stark.
Emotionale Debatte
Für die gute Umsetzung des Gesetzes seien notwendige Personalressourcen notwendig. Die Debatte im Grossen Rat wurde teilweise emotional geführt. FDP-Grossrätin Renate Gautschi kritisierte als Präsidentin der Gemeindeammänner-Vereinigung, dass eine «Sozialindustrie» entstanden sei. Die Gerichte würden entscheiden, die Gemeinden müssten bezahlen.
SP-Grossrat Jürg Caflisch setzte sich vehement für Kinder in schwierigen Verhältnissen ein. «Wenn uns diese Kinder nichts mehr wert sind, müssen wir zum Verdingkindwesen zurückkehren», sagte er.
Die «KESB-Debatte» in Solothurn
Pendenzenberg wird grösser
Die Familiengerichte, die seit Anfang 2013 an der Arbeit sind, können der hohen Fallbelastung mit ihren 70 bestehenden, unbefristeten Stellen nicht gerecht werden. Es habe sich rasch gezeigt, dass die Geschäftslast grösser sei als angenommen, hält die Justizleitung in ihrer Botschaft an den Grossen Rat fest.
Diese könne mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen nicht bewältigt werden. Um den stetig wachsenden Pendenzenberg abbauen zu können, sei mehr Personal notwendig. Der ordnungsgemässe Gerichtsbetrieb sei «ernsthaft infrage gestellt», heisst es in der Botschaft. Auch in anderen vergleichbaren Kantonen seien zum Teil massive Verstärkungen nötig (vgl. Linkbox).
Präsident des Obergerichtes kämpft für Stellen
Man habe es sich nicht leicht gemacht, dem Parlament ein Personalbegehren zu stellen, sagte Guido Marbet, Präsident des Obergerichts und der Justizleitung, im Parlament. Ohne Aufstockung des Personals sei der Erfolg der Familiengerichte klar in Frage gestellt. Man stehe noch am Anfang der Umsetzung des nach 100 Jahren revidierten Rechts. Es würden laufend Optimierungen gemacht.
«Selbstverständlich kann noch nicht alles rund laufen», sagte Marbet. Die Familiengerichte würden überlastet bleiben. Die Glaubwürdigkeit der Rechtsprechung stehe auf dem Spiel.
Regierungsrat Urs Hofmann (SP) sagte, die Zusammenarbeit zwischen den Familiengerichten und den Gemeinden müsse wieder verbessert werden. Gegenseitige Schuldzuweisungen seien falsch. Die kommenden zwei Jahre müssten genutzt werden.