In der Stadt Zürich wacht die SP heute mit einem dunkelblauen Auge auf. Stadtpräsidentin Corine Mauch ist wiedergewählt, die Partei hat auch einen Regierungssitz dazugewonnen, aber im Stadtparlament ganze sechs Sitze verloren. Politologin Sarah Bütikofer über aktuelle Trends.
SRF News: Die SP hat im Stadtparlament neu nur noch 37 Sitze, so schwach war sie zuletzt vor 100 Jahren. Auch anderswo konnte man beobachten, dass die Städte linker werden. Ist dieser Trend gestoppt?
Sarah Bütikofer: Das Erstarken von linksgrünen Parteien in den Städten zeigt sich in der Schweiz schon seit etwa 30 Jahren. Auch dass die Sozialdemokratie Wähleranteile und Sitze verliert, ist eine Entwicklung, die schon etwas länger andauert, nicht nur in der Schweiz.
Ich gehe nicht davon aus, dass sich der Kurs der Zürcher Stadtregierung grundlegend ändert.
Allerdings profitieren davon häufig auch andere Linksparteien, vor allem die Grünen. Unter dem Strich gehen die Städte eben doch nach links oder zumindest in Richtung progressiv. Um von einer Trendwende zu sprechen, müssen wir aber noch etwas mehr städtische Wahlgänge abwarten – und zuerst vor allem auch noch die Analysen zu gestern.
Grüne gewinnen dazu, aber den Verlust der SP hebt das nicht auf. Ihre Mehrheit schrumpft auf nur einen Sitz mehr. Was tut die SP nun?
Aufgrund der knappen Mehrheitsverhältnisse und der grösseren Diversität im Stadtparlament ist davon auszugehen, dass manche Vorlagen nun behutsamer angegangen werden. Die anstehenden Probleme der Stadt bleiben aber bestehen und ich gehe nicht davon aus, dass sich der Kurs der Regierung grundlegend ändert.
Auch die Grünliberalen haben dazugewonnen. Wie erklärt sich das?
Das ist ein Trend, der sich seit den letzten nationalen Wahlen in der Schweiz abzeichnet. Bei fast allen kantonalen Wahlen, die seither stattgefunden haben, gehörten Grüne und Grünliberale zu den Gewinnern. Gerade für jüngere Wählerinnen und Wähler sind die beiden Parteien attraktive Alternativen zu den etablierten Parteien.
Auch die SVP als andere Polpartei verlor Wähleranteile. Ist das neu?
Die SVP hat bei den letzten nationalen Wahlen ebenfalls an Stärke verloren und seither auch in einigen Kantonen. Trotzdem ist sie schweizweit nach wie vor die mit Abstand stärkste Partei. In grossen Städten erreichte sie ihre Höchstwerte allerdings vor etwa 20 Jahren. Sie ist in der Stadt Zürich jetzt nur noch fünftstärkste Partei.
In Zürich hat jetzt auch die politische Mitte wieder an Kraft gewonnen.
Auf der anderen Seite verliert die SP laut neueren Analysen Wähleranteile in alle Richtungen. Konkret an die Grünen und andere Linksparteien, aber auch hin zu progressiven und Mitteparteien. Was festgehalten werden kann, ist, dass die Bundesratsparteien unter dem Strich – und gerade die Polparteien – von den Parteien mit grün im Namen vermehrt bedrängt werden. Und in Zürich hat jetzt auch die politische Mitte wieder an Kraft gewonnen.
Sind die Resultate aus Zürich insgesamt überraschend?
Das würde ich nicht sagen, denn im Stadtrat hat ja das linksgrüne Lager immer noch sechs von neun Sitzen, ist also klar in der Mehrheit, und auch im Parlament konnte eine hauchdünne Mehrheit verteidigt werden.
Dass die EVP und die Mitte wieder im Parlament mitmischen, ist wohl auch eine der eigentlichen Überraschungen, die diese Wahlen gebracht haben.
Wie bereits in der letzten Legislatur gehe ich davon aus, dass im Parlament nun die linksgrüne Seite zusammen mit der GLP vor allem bei Vorlagen im Bereich des Umweltschutzes oder der Gesellschaftspolitik eine progressive Allianz bilden wird. Das gleiche gilt auch für eine Allianz in der Mitte bei gewissen Vorlagen im Bereich der Sozialpolitik. Dass die EVP und die Mitte wieder im Parlament mitmischen, ist wohl auch eine der eigentlichen Überraschungen, die diese Wahlen gebracht haben.
Das Gespräch führte Isabelle Maissen.