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Abstimmung Kanton Zürich Zürich sagt Nein zum Stimmrechtsalter 16

Jugendliche können im Kanton Zürich weiter nicht abstimmen und wählen. Das Stimmvolk lehnt das Stimmrechtsalter 16 ab.

Mit dieser Deutlichkeit haben die Wenigsten gerechnet: Fast 65 Prozent der Zürcherinnen und Zürcher wollen nicht, dass Jugendliche schon mit 16 Jahren abstimmen und wählen können. Und dies, obwohl im Vorfeld eine Mehrheit der Parteien die Ja-Parole beschlossen hatte. Zürich wäre nach Glarus erst der zweite Kanton gewesen, der das Stimmrechtsalter auf kantonaler und kommunaler Ebene von 18 auf 16 Jahre gesenkt hätte.

Hans-Jakob Boesch, Präsident der kantonalen FDP, ist zufrieden mit diesem deutlichen Entscheid. Er glaube zwar, dass sich Jugendliche trotz des jungen Alters in Abstimmungsfragen durchaus eine Meinung bilden könnten, aber es gehe nicht, dass 16-Jährige zusätzliche Rechte bekämen, ohne dabei auch zusätzliche Pflichten zu erfüllen. «Auch bei einem Ja zur Vorlage hätten Jugendliche beispielsweise im Strafrecht keine volle Verantwortung übernehmen müssen.» Diese Diskrepanz mache keinen Sinn.

Für die Befürworterinnen und Befürworter von links bis in die Mitte ist dieser Entscheid eine wuchtige Niederlage. Ihre Argumente, wonach es für die Demokratie wichtig sei, schon Jugendlichen eine Stimme zu geben, kamen bei der Bevölkerung nicht an. «Es fehlte das Vertrauen in die Jugendlichen», bilanzierte GLP-Kantonsrätin Sonja Gehrig. Durchgesetzt habe sich am Schluss eine misstrauische Haltung.

Elternzeit von je 18 Wochen scheitert deutlich

Ebenfalls klar gescheitert ist die SP-Initiative für einen Betreuungsurlaub von je 18 Wochen für Mütter und Väter nach der Geburt des Kindes. Knapp 65 Prozent der Zürcherinnen und Zürcher, die abgestimmt haben, ging diese Forderung zu weit. Aktuell können Frauen 14 Wochen Mutterschaftsurlaub beziehen, Männer seit 2021 zwei Wochen Vaterschaftsurlaub.

Ein Mann spielt mit seinem Kleinkind.
Legende: Es bleibt bei zwei Wochen Vaterschaftsurlaub: Eine Betreuungszeit nach der Geburt des Kindes von 18 Wochen hatte keine Chance. Keystone

So sprach dann auch die Zürcher SP-Co-Kantonalpräsidentin Priska Seiler-Graf von einer grossen Enttäuschung. «Ich hätte mit einem grösseren Ja-Stimmen-Anteil gerechnet.» Seiler-Graf gesteht ein, dass es womöglich eine nationale und keine kantonale Lösung gebraucht hätte. Und dass die Initiative für viele vermutlich zu radikal gewesen sei. Diese Ansicht teilt der Grüne Kantonsrat Florian Heer nicht. «Viele europäische Länder haben heute schon bessere Regeln zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie zur Elternzeit», sagt er. Wenn man die Initiative aus dem Kanton Zürich damit vergleiche, sei man noch weit weg von einem radikalen Vorschlag.

Analyse zur Abstimmung über die Elternzeit

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Porträt von Zürich-Korrespondent Dominik Steiner.
Legende: Zürich-Korrespondent Dominik Steiner zur gescheiterten Elternzeit-Initiative. SRF

Der erste Gehversuch ist gescheitert
Die SP ist aufgelaufen. Und hart gelandet. Ihre Idee einer Elternzeit lehnt die Zürcher Stimmbevölkerung deutlich ab. Fast zwei Drittel der Stimmbevölkerung wollen nichts wissen von einer kantonalen Lösung. Über das links-grüne Lager hinaus konnte das Anliegen niemanden überzeugen. Es ist ein Dämpfer für die SP und ein weiterer Rückschlag für dieses Modell, nachdem sich auf nationaler Ebene die Koalition für eine Elternzeit zerstritten hat.

Eigentlich befürworten viele Parteien die Grundanliegen einer Elternzeit: Mehr Gleichberechtigung? Gut und recht. Die Väter stärker in die Kinderbetreuung einbinden? Klingt sinnvoll. Die Stellung der Frauen auf dem Arbeitsmarkt stärken? Sicher. Nur: Kosten soll es nicht zu viel. Jedenfalls nicht 423 Millionen Franken. So viel hätte den Kanton Zürich die Elternzeit gekostet. Das könne sich der Wirtschaftsstandort nicht leisten – dieses Argument hat heute offenbar überzeugt.

Vor allem in Kombination mit einem zweiten Argument: Zürich könne keinen Alleingang wagen. Wenn nur Zürcher Firmen den Eltern je 18 Wochen Urlaub geben, wäre das ein immenser Standortnachteil, so die Gegenseite, angeführt vom KMU- und Gewerbeverband. Eine Firma mit Filialen in Zürich und anderen Kantonen müsste ihre Mitarbeitenden – je nach Standort – unterschiedlich behandeln, das sei unfair. Ergo brauche es eine national einheitliche Lösung.

Doch da beisst sich die Katze in den Schwanz. National ist das Geschäft blockiert, die Allianz zerstritten. Zwar stehen viele Politikerinnen und Politiker von links bis Mitte-Rechts einer Elternzeit wohlwollend gegenüber, doch über die konkrete Ausgestaltung konnten sie sich nicht einigen. Wie viele Wochen, wie verteilt auf Mütter und Väter? An diesen Fragen zerbrach die Koalition, national ist in den nächsten Jahren kein mehrheitsfähiger Vorschlag zu erwarten.

Und genau deshalb hat die SP die Idee in die «progressiven» Kantone verlagert. Von Genf über Bern und Luzern bis Zürich hat sie kantonale Vorlagen lanciert. Jeweils leicht anders ausgestaltet. Die Kantone sollen als Versuchslabor dienen. Dort soll sich zeigen, welche Ausgestaltung bei der Bevölkerung ankommt. Als Pioniere sollen die urbanen Kantone vorangehen und der Elternzeit auf nationaler Ebene den Weg bereiten. Doch der erste Gehversuch ist heute im Kanton Zürich grandios gescheitert. Einfacher wird es nach dem wuchtigen Zürcher Nein in den folgenden Abstimmungskämpfen in den anderen Kantonen damit nicht.

Anderer Ansicht ist hier Mitte-Politikerin Yvonne Bürgin. Die Initiative mit der Forderung nach 18 Wochen Betreuungsurlaub für Mütter und Vater sei schlicht zu extrem gewesen. Und für den Zürcher Sicherheitsdirektor Mario Fehr (parteilos) war klar, dass die Bevölkerung dem Zürcher Gewerbe nach der Corona-Pandemie nicht noch zusätzliche Kosten in Millionen-Höhe auferlegen wollte.

Klimaschutz in der Verfassung

Die anderen beiden Kantonalzürcher Vorlagen wurden klar angenommen. So wird etwa der Klimaschutz künftig in der Verfassung verankert. Der Ja-Stimmen-Anteil beträgt 67 Prozent. Das ist ein Signal für mehr Klimaschutz und ein Auftrag an Kanton und Gemeinden, sagt Baudirektor Martin Neukom.

Und auch beim Bürgerrechtsgesetz, das Einbürgerungskriterien festlegt, gibt es mit rund 69 Prozent der Stimmen ein klares Ja. Vermutlich auch, weil es kaum Verschärfungen gegenüber den Bundesvorgaben vorsieht. Einzig straffällige Jugendliche müssen in Zürich neu etwas länger mit einem Einbürgerungsgesuch warten.

SRF 1, Regionaljournal Zürich Schaffhausen, 15.05.2022, 12:03 Uhr ; 

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