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Apfelernte im Thurgau Ein Mostjahr zum Vergessen

Im April war es zu kalt, im Sommer zu nass. Die Ernte der Thurgauer Mostproduzenten ist um einen Drittel geschrumpft.

Es ist Erntezeit. Überall im Kanton Thurgau schütteln die Obstbauern und Obstbäuerinnen ihre Äpfel von den Bäumen. Auch Philipp Dickenmann aus Schönholzerswilen im Bezirk Weinfelden sammelt sein Mostobst ein. Eigentlich wären es für ihn und seine Familie die schönsten und wichtigsten Tage im Jahr. Doch heuer will die Freude nicht so recht aufkommen. Ein nasser und kalter April und ein nasser Sommer haben dazu geführt, dass Dickenmann nur halb so viele brauchbare Äpfel ernten kann als im guten letzten Jahr. Dieses Jahr kommt er auf gut 100 Tonnen.

«Wir hatten ein ganz schwieriges Jahr. Mit Frost fing es an, dann haben die Bienen nicht schön bestäubt und dann kamen Regen und Hagel. Pflanzenschutz war ganz schwierig», sagt er.

Ausgeklügeltes System

Die Schweiz verbraucht pro Jahr ziemlich genau 65 000 Tonnen Mostäpfel. Im Thurgau ist die Ernte dieses Jahr allerdings um 30 bis 50 Prozent eingebrochen. Bedeutet das nun, dass wir bald auf Most und Apfelsaft verzichten müssen? Und muss Obstbauer Dickenmann nun um seine Existenz fürchten?

Wir hatten ein ganz schwieriges Jahr.
Autor: Philipp Dickenmann Obstbauer und Präsident Produktezentrum Mostobst

Weder noch. Obwohl Dickenmann einen Drittel seines Einkommens mit Äpfeln erwirtschaftet, reisst ihm die schlechte Ernte kein massives Loch in die Kasse. Dank einem ausgeklügelten System herrscht eine gewisse Preisstabilität.

Fonds gleicht Preisschwankungen aus

Der Kilopreis für Äpfel ist abhängig vom Ertrag, den aktuellen Lagerbeständen und einem jährlich festgelegten Abzug, der in einen Fonds einfliesst. Das Zusammenspiel dieser Faktoren führt dazu, dass die Bauern und Mostproduzenten den Preis einigermassen stabil halten können.

Pro Kilo Äpfel werden normalerweise zwischen 4 und 6 Rappen abgezogen, die in den Fonds laufen, erklärt Dickenmann, der auch Präsident der Schweizer Preiskommission ist. Letztes Jahr waren es gar 13 Rappen. Das ist rund ein Fünftel des Kilopreises.

Den Bauern garantiert der Fonds, dass ihnen die Mostproduzenten die Ernte abnehmen – egal wie sie ausgefallen ist. Den Mostproduzenten wiederum gleicht das Geld aus dem Fonds finanzielle Einbussen aus. Etwa, wenn eine mögliche Überproduktion zu Essig oder Tierfutter verarbeitet werden muss, wofür die Produzenten weniger Geld erhalten als für Most und Apfelsaft.

Die Lager sind trotzdem voll

Bei der Mosterei Möhl AG in Arbon arbeiten die Angestellten derzeit auf Hochtouren. Innerhalb von 24 Stunden verarbeiten sie die angelieferten Äpfel zu Konzentrat. Die Lager wurden in den letzten Jahren ausgebaut. Trotzdem sind sie voll – dank der Vorjahre. Die letzten Jahre waren sogenannte «Gross-Erntejahre», in denen viele Äpfel geerntet wurden. Das Problem: Die Corona-Pandemie kam und die Mosterei ist auf der Ware sitzen geblieben. «Wir haben jetzt eine Phase der Überbestände», sagt Michael Artho, Geschäftsführer der Mosterei Möhl AG.

Es sollten keine neuen Mostobstanlagen mehr gepflanzt werden.
Autor: Michael Artho Geschäftsführer Mosterei Möhl AG

Über 70 Prozent der Ware liefert die Mosterei Möhl nämlich direkt an die Gastronomie und die Getränkehändler. Während der Corona-Pandemie ging der Bedarf an Apfelsaft und Most allerdings stark zurück. Das Konzentrat blieb in den Lagern.

Damit sind die Mostbetriebe fast schon froh, dass weniger Äpfel als gewohnt geliefert wurden, denn sonst wären ihre Lager an den Anschlag gekommen. Deshalb spricht Michael Artho Klartext: «Wir sind der Ansicht, dass es im Moment genug Mostobst-Anlagen gibt und keine neuen mehr gepflanzt werden sollten.» Sonst wüssten sie kaum noch, wohin mit den Äpfeln.

Schweiz Aktuell, 06.10.2021, 19:00 Uhr ; 

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