Felsabbrüche, Erdrutsche, Sturzfluten – wird das Leben in den Bergen allmählich zu gefährlich? Der Bergsturz von Blatten bringt die Frage wieder auf, die auch im Fall von Brienz/Brinzauls in Graubünden und nach der Katastrophe von Bondo die Schweiz aufgewühlt hat. Alpenforscher Boris Previšić von der Universität Luzern dazu, ob nun – nach Jahrtausenden, in denen Menschen in Bergen gelebt haben – ein Umdenken nötig werde.
SRF News: Lässt sich das steigende Risiko in den Alpen beziffern?
Boris Previšić: Studien zeigen, dass wirklich grosse Bergstürze mit über einer Million Kubikmetern sich zwischen 1900 und 1980 viermal ereignet haben. Inzwischen haben wir fast alle zwei Jahre ein solches Ereignis. Wir müssen davon ausgehen, dass es mindestens eine Verzehnfachung gegeben hat. Statistisch ist das natürlich noch nicht so hart erwiesen, aber klar ist – es hat stark zugenommen.
Der Klimawandel ist sicher hauptverantwortlich dafür, dass es jetzt diese Häufung gibt.
Doch nicht jeder Bergsturz passiert wegen des Klimawandels. Bergstürze hat es schon immer gegeben und wird es immer geben. Aber der Klimawandel ist sicher hauptverantwortlich dafür, dass es jetzt diese Häufung gibt.
Was bedeutet das für die Menschen, die in den Bergen daheim sind? Müssen sie ihr Zuhause aufgeben?
Das muss man situativ und punktuell betrachten, schauen, wo die Gefahrenherde sind. Da sind wir in der Schweiz relativ gut, was Hochwasser, was zum Teil auch Murgänge betrifft – alles, was quasi mit dem Wasser zu tun hat. Was das Auftauen von Permafrost angeht, sind vor allem steile Flanken im Hochgebirge betroffen. Das sind grosse Ereignisse, die nicht so regelmässig sind, dass man sagen könnte: Da kommt in den nächsten zehn Jahren etwas.
Die Alpen sind gross, man kann nicht jeden Gipfel überwachen, oder?
Es gibt nicht so viele Orte mit Permafrost. Mit etwa 2500 km² entspricht das nicht einmal einem Zehntel der Alpen. Man muss einfach die steilen Flanken, die aus nicht ganz so stabilem Gestein geschichtet sind, in den Blick nehmen.
Müssen sich Personen, die in den Bergen leben, jetzt vermehrt anpassen?
Ich glaube, die Alpenbewohner waren schon immer an diese Herausforderungen angepasst. Sicher werden die Herausforderungen grösser, aber nicht so, dass man die Alpen oder ganze Talschaften verlassen muss. Ich glaube nicht, dass man das Lötschental verlassen muss.
Die Alpenbewohner waren schon immer an diese Herausforderungen angepasst.
Vielleicht muss man bei einzelnen Orten schauen, vielleicht einen anderen Schutzwald nehmen, einen ganz spezifischen Ort finden. Vielleicht muss man sich auch mental damit abfinden oder kann wieder auf Traditionen zurückgreifen, die man aus der Alpwirtschaft kennt – dass man zum Beispiel wieder nomadisch lebt, etwa im Winter woanders als im Sommer.
Das Gespräch führte Arthur Honegger.